Hamburg. Nach dem Insolvenzantrag des Oberligaclubs Crocodiles befürchten Experten gravierende Auswirkungen auf den Nachwuchs in Hamburg.

Als am Mittwoch das Unangenehme erledigt und der Antrag auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens gegen die Spielbetriebs GmbH eingereicht war, da tat Sven Gösch das, was anständige Menschen tun, wenn sie sich schuldig fühlen.

Der 50-Jährige, in Personalunion Geschäftsführer und Sportchef des Eishockeyteams Crocodiles Hamburg, bedankte sich schriftlich bei allen Partnern, bat um Entschuldigung dafür, dass der drittklassige Club wegen einer kurzfristig entstandenen Etatlücke den Spielbetrieb in der Oberliga Nord nicht aufrechterhalten kann, und warb bei den Sponsoren darum, den Neustart des Farmsener Clubs zu unterstützen.

„Ich bin der Letzte, der sagt, dass er keine Fehler gemacht hätte“, sagte Gösch. „Ich bin seit neun Jahren bei den Crocodiles, das Aus tut mir richtig weh. Ich bin dafür verantwortlich und megaenttäuscht von mir selber, dass ich die gesteckten Ziele nicht erreicht habe. Aber die persönlichen Anfeindungen, die vor allem meine Familie belasten, gehen doch zu weit“, sagte er.

Eishockey-Crocodiles insolvent: Einige Fans sehen Gösch als Schuldigen

Vor allem Teile der Fans sehen in Gösch den Hauptschuldigen für das Aus des professionellen Eishockeys in Hamburg, das nun der vom Amtsgericht eingesetzte Insolvenzverwalter abwickelt, der innerhalb der nächsten Tage berufen wird.

Tatsächlich hatte am Donnerstag vergangener Woche die Versammlung der fünf Gesellschafter beschlossen, die im mittleren fünfstelligen Bereich aufgelaufenen Mehrkosten der abgelaufenen Saison 2022/23 nicht mehr tragen zu wollen.

Hauptgrund dafür war die Perspektivlosigkeit des Clubs, der wegen einer fehlenden Spielstätte – das Eisland Farmsen ist aus infrastrukturellen Gesichtspunkten für den Spielbetrieb in der DEL 2 nicht zugelassen – nicht aufsteigen kann. Weil der unterschriftsreife Deal mit einem Hauptsponsor für die kommende Saison platzte, fehlten am rund eine Million schweren Etat für die Spielzeit 2023/24 bereits wieder rund 180.000 Euro. Eine Lücke, die die Gesellschafter als zu groß ansahen.

Rolle von Mäzen Jebens unklar

Warum der Sponsorendeal platzte, dazu gibt es verschiedene Versionen. Fakt ist, dass der mächtige Gesellschafter Klaus-Peter Jebens federführend in die Gespräche eingebunden war. Der Multiunternehmer, der seit vielen Jahren Pläne für eine neue Spielstätte hegt und im Dezember 2018, als die Crocodiles schon einmal einen Insolvenzantrag stellen mussten, ebenfalls eine undurchsichtige Rolle spielte, wollte sich auf Abendblatt-Anfrage zu der Thematik nicht äußern.

Was das Aus der Crocodiles für das Eishockey in Hamburg bedeutet, kann Irmelin Otten beurteilen. „Zum einen schwindet die mediale Präsenz des Sports, die schon in der Oberliga deutlich geringer geworden ist im Vergleich zu dem, was über die 2016 vom DEL-Spielbetrieb zurückgezogenen Freezers berichtet wurde“, sagte die Präsidentin des Hamburger Eis- und Rollsportverbands.

„Zum anderen, und das ist deutlich schwerwiegender, wird der Nachwuchs leiden.“ Von den rund 850 Mitgliedern, die bei den Crocodiles, dem HSV, dem Molot Hockey-Club und dem Altonaer Schlittschuhläufer Verein (ASV) gemeldet sind, gehören zwei Drittel den Kinder- und Jugendabteilungen an.

Nachwuchs brechen die Vorbilder weg

„Dem Nachwuchs brechen die Vorbilder weg. In der Oberliga gab es in Farmsen immerhin ein paar bekannte Spieler und Trainer zu sehen, dazu war die Atmosphäre bei einem Zuschauerschnitt von 1300 so, dass es für Kinder und Jugendliche ein besonderes Erlebnis war. Das wird in der Regionalliga nicht mehr in der Form möglich sein“, befürchtet die 53-Jährige.

Vor allem aber wird es für die verbleibenden Clubs immer schwieriger, überhaupt noch Talente in der Stadt zu halten. „Schon jetzt wandern die Besten zu Clubs aus der DEL und der DEL 2 ab“, sagt Boris Capla. Der frühere Geschäftsführer der Freezers ist seit 2019 Jugendkoordinator des Farmsener TV, Stammverein der Crocodiles.

Der Exodus der besten Nachwuchsspieler dürfte ohne ein wenigstens halbprofessionelles Team nicht mehr aufzuhalten sein. „Das ist sehr schade, weil wir bei den Crocodiles in den vergangenen Jahren doch einiges im Nachwuchs aufbauen konnten“, sagt der 60-Jährige.

Stadt trage keine Verantwortung

Weder Capla noch Otten sehen die Stadt in der Hauptverantwortung. Natürlich sei die Hallensituation teilweise prekär. Neben dem 1978 eröffneten und in die Jahre gekommenen Eisland Farmsen gibt es das Eisstadion Stellingen an der Hagenbeckstraße, für das eine umfangreiche Renovierung zwar angekündigt, aber derzeit wegen Überlastung der zuständigen Behörden auf Eis gelegt ist.

Außerdem kann in der q.beyond Arena im Volkspark ganzjährig und in der Indoo-Freiluftarena in Planten un Blomen zwischen November und März trainiert werden. Man könne der Stadt aber nicht vorwerfen, keine Infrastruktur vorzuhalten, wenn die Nutzungskonzepte fehlten oder die entsprechenden Perspektiven nicht aufgezeigt werden könnten. Zumal sich, wie die beiden Tabellen auf dieser Seite zeigen, auch andere deutsche Großstädte mit der Förderung von Profisport schwer tun.

Überraschung in der Sportbehörde

In der Sportbehörde wurde die erneute finanzielle Schieflage der Crocodiles mit Verwunderung aufgenommen. Dass Gösch, der während der Corona-Phase für jede Kleinigkeit um Hilfe gebeten habe, sich nach Bekanntwerden der Geldnöte nicht direkt mit den Verantwortlichen in Verbindung gesetzt hatte, stieß auf Unverständnis.

„Uns hat die Nachricht überrascht. Es ist zu hoffen, dass dem Team ein Neustart gelingt, so wie das in der Vergangenheit Mannschaften aus anderen Disziplinen geschafft haben“, sagte Sportstaatsrat Christoph Holstein.

Warum, wie einige Kritiker bemängeln, ein Drittligaetat eine Million Euro betragen muss, und ob seine Doppelfunktion Gösch überfordert hat? „Klar ginge es deutlich günstiger. Aber in Hamburg kann man es sich in keiner Liga leisten, im unteren Tabellendrittel rumzudümpeln, und wer in der Oberliga konkurrenzfähig sein will, der braucht einen entsprechenden Etat“, sagt Gösch.

Neustart in der Regionalliga möglich

„Und dass wir in vielen Bereichen personell breiter aufgestellt hätten sein müssen, ist auch klar, aber nicht so einfach darstellbar.“ Vereins-Urgestein Tobias Bruns, der seine aktive Karriere nach der Saison beendet hatte, wollte zur neuen Spielzeit in die Geschäftsführung einscheren. Daraus wird nun nichts.

Wobei Gösch sich sicher ist, dass ein Neustart in der Regionalliga möglich ist – und im Hintergrund daran bereits gearbeitet wird. Dafür allerdings braucht es mindestens 150.000 Euro und eine konkurrenzfähige Mannschaft. Die Spieler, die für kommende Spielzeit unter Vertrag standen, sind frei und müssen sich neue Arbeitgeber suchen. Gösch selbst steht schon aus insolvenzrechtlichen Gründen für einen Neuanfang nicht zur Verfügung, im Eishockey allerdings will er bleiben. „Das ist seit 35 Jahren mein Leben.“