Saint-Malo. Extremsegler sieht die Wettfahrt aus Frankreich in die Karibik als ersten wichtigen Test für sein Boot – und sich selbst auf Platz 15.

Fast auf den Tag genau zwei Jahre ist es her, dass Boris Herrmann zu seinem bisher wohl größten Abenteuer startete, der Vendée Globe im Jahr 2020. An diesem Wochenende, genauer gesagt am Sonntag, dem 6. November, wird der Hamburger Extremsegler nun wieder einmal mit seiner Rennyacht eine Startlinie vor der Küste Frankreichs überqueren, die zur Wettfahrt Route du Rhum. Wieder geht es alleine hinaus aufs weite Meer, dieses Mal allerdings nur für knapp zwei Wochen von Saint-Malo nach Guadeloupe in der Karibik.

Für den erfahrenen Segler, der zum zweiten Mal an der Regatta teilnimmt, ist es dennoch etwas Besonderes. Er wird zum ersten Mal alleine auf seiner neuen „Malizia – Seaexplorer“ unterwegs sein. Und damit ist die Teilnahme auch der erste ernsthafte Test für ihn und seine Yacht auf dem Weg zur Teilnahme an der Vendée Globe 2024, der härtesten Einhand-Regatta der Welt.

Borus Herrmann: „Dieses Mal wird es eher der 15. Platz“

Herrmann hat sich ein auf den ersten Blick vielleicht eher ungewöhnliches Ziel gesetzt: Heil ankommen will der Hamburger mit seiner Yacht, mehr eigentlich nicht. „Wenn ich dort mit einem einigermaßen heilen Schiff über die Ziellinie fahre, dann bin ich überglücklich“, sagt er am Telefon wenige Tage vor dem Start. Einen fünften Platz, wie er ihn 2018 bei der Wettfahrt ersegelte, der läge in weiter Ferne. „Dieses Mal wird es eher der 15. Platz.“ Das sei allerdings ganz normal. „Schließlich ist das Schiff komplett neu, alle Systeme müssen auch einwandfrei funktionieren. Da gehört eine Menge dazu.“

Boris Herrmann auf seiner Rennyacht, der „Malizia – Seaexplorer“.
Boris Herrmann auf seiner Rennyacht, der „Malizia – Seaexplorer“. © Mark Sandten / FUNKE FOTO SERVICES

Die neue „Malizia – Seaexplorer“ wurde nach dem Ende der Vendée Globe im Frühjahr 2021 geplant und gebaut. Erst in diesem Sommer konnte das Schiff erstmals zu Wasser gelassen werden. „Wir sind in der Lernkurve für dieses Schiff höchstens bei 40 Prozent angekommen“, sagt Herrmann. Etwa zwei Jahre brauche man, um ein neues Schiff wirklich genau zu kennen. Und alle technischen Geräte auf einem fehlerfreien Stand zu haben. „Das sind die zwei Jahre, die nun bis zur nächsten Vendée Globe 2024 vor uns liegen.“

Ersten Tage "immer die härtesten"

Also diene die Wettfahrt vor allem dazu, Erkenntnisse über sein Schiff zu sammeln, Fehler zu entdecken und beheben zu können. „Und bei einem technisch so hochgerüsteten Boot kann der Ausfall eines der vielen Systeme auch dazu führen, dass ich aufgeben muss.“ Es sei also durchaus realistisch, dass er nach wenigen Tagen schon abdrehen müsse. „Diese Szenarien haben wir alle eingeplant.“

Respekt hat Herrmann vor allem vor den ersten Tagen auf der Strecke. „Die sind immer die härtesten.“ Zum einen erwarte er teilweise heftige Winde und Stürme. Oftmals sei das Wetter in Küstennähe deutlich unbeständiger als weit draußen auf dem Meer. „Der Nordatlantik ist im Winter eine echte Herausforderung.“ Erst wenn er in den Passatwinden angekommen sei, werde es ruhiger zugehen. Außerdem herrscht vor der Küste Frankreichs ein reger Schiffsverkehr. „Da werde ich nicht zum Schlafen kommen, weil ich mir keine Unaufmerksamkeit leisten kann.“

Route du Rhum nicht nur Testregatta

Dabei hat der Hamburger sicherlich immer noch den Moment im Hinterkopf, als er bei der Vendée Globe Anfang 2021 kurz vor dem Ziel in Les Sables-d’Olonne einen Fischtrawler mit seinem Schiff rammte und sich damit die Chance auf einen Podiumsplatz nahm. Zudem, so Herrmann, müsse man auch als erfahrener Segler immer erst mal in einen Rhythmus an Bord finden. „Mir müssen wieder die Seebeine wachsen.“ So lange werde er sich voll und ganz auf das Schiff, das Wetter und den Kurs konzentrieren. „Erst danach kann ich wieder so richtig Kontakt zur Außenwelt aufnehmen.“ Sollten die Tage überstanden sein, würden auch die Chancen steigen, heil ins Ziel zu kommen.

Die Route du Rhum ist allerdings nicht nur eine Testregatta für Herrmann. Mit dem Überqueren der Startlinie ersegelt er sich einen der begehrten 40 Plätze für die Vendée Globe im Jahr 2024. „Um mich endgültig zu qualifizieren, muss ich allerdings auch durchs Ziel fahren.“ Sollte ihm das nicht gelingen, gebe es in den kommenden zwei Jahren weitere Einhand-Transatlantikregatten, an denen er zur Qualifikation teilnehmen könne.

Die Wettfahrt Route du Rhum ist in Frankreich legendär

Die „Malizia – Seaexplorer“ von Herrmann ist bereits seit gut einer Woche in dem kleinen Ort in der Bretagne. Eine Crew brachte sie aus dem nahe gelegenen Lorient zum Start nach Saint-Malo. Herrmann selbst reiste dann am vergangenen Wochenende an, um an den Sicherheitseinweisungen und Skipperbesprechungen teilnehmen zu können.

Die Route du Rhum – Kultstatus in Frankreich

Die Route du Rhum ist eine Transatlantik-Einhand-Segelregatta, die seit 1978 alle vier Jahre im späten Herbst ausgetragen wird. Start ist die kleine Stadt Saint-Malo in der Bretagne, Ziel die Karibikinsel Guadeloupe. Dazwischen liegen 3540 Seemeilen (6540 Kilometer) über das Meer nonstop. In Frankreich hat die Wettfahrt einen gewissen Kultstatus. Jedes Mal gehen eine Reihe der dort hochverehrten Hochseesegler an den Start. Zudem gilt die Route du Rhum als Vorbereitungsregatta für die ebenfalls alle vier Jahre stattfindende Vendée Globe, die härteste Einhand-Regatta einmal um die Welt.

Die insgesamt 138 Segler treten in sechs verschiedenen Klassen gegeneinander an. Die schnellsten Schiffe werden bereits nach einer Woche über die Ziellinie in der Karibik fahren.

Die Einhand-Regatta ist in Frankreich eine Wettfahrt mit Kultstatus. Bereits seit Tagen kommen Tausende Menschen in das sogenannte Race-Village, um die Rennyachten zu bewundern und an den verschiedenen Veranstaltungen im Vorfeld des Starts teilzunehmen. Bis zum Start des Rennens rechnen die Veranstalter mit Hunderttausenden Besuchern. Rund zwei Millionen Menschen werden den Start der Regatta außerdem live im französischen Fernsehen verfolgen. Damit gehört das Event zu den größten Sportveranstaltungen im Land.

„Es sind im Feld sieben neue Yachten dabei“

Insgesamt 138 Frauen und Männer werden dann am Sonntag auf die 3540 Seemeilen (6560 Kilometer) lange Strecke von Nordfrankreich auf die französische Überseeinsel gehen. Darunter sowohl Profis als auch Amateure. Sie treten in sechs verschiedenen Klassen an. Herrmann wird in der IMOCA-Klasse mit seiner „Malizia – Seaexplorer“ und 36 weiteren Seglern starten. Mit dabei auch große Namen aus der Hochseeseglerszene wie Charlie Dalin, Jérémy Beyou oder Kevin Escoffier.

Letzterer mit einem neuen Schiff. Sein altes zerbrach bei der Vendée Globe vor zwei Jahren im Südpolarmeer und versank. Herrmann war damals an der dramatischen Rettungsaktion beteiligt. „Es sind im Feld sieben neue Yachten dabei“, sagt Herrmann. „Und um ehrlich zu sein, rechne ich damit, dass nur etwa die Hälfte dieser Schiffe auch in der Karibik ankommen wird.“

Boris Herrmann: Im Januar steht das Ocean Race an

Für die „Malizia – Seaexplorer“ und Skipper Herrmann gibt es einen genauen Zeitplan nach dem Ende der Regatta Mitte November. Die Crew, die mit ihm zusammen am Ocean Race einmal um die Welt teilnehmen wird, segelt das Schiff aus der Karibik zurück nach Alicante in Spanien. Der Hamburger selbst fliegt zurück in die Heimat zu Ehefrau Birte und Tochter Malou. In Spanien wird die Yacht komplett überholt, schließlich steht ab Mitte Januar das anspruchsvollste Segelrennen der Welt, das Ocean Race, an. Bereits Anfang Januar beginnt das Team, zu dem die Co-Skipper Will Harris, Rosalin Kuiper, Nicolas Lunven und Onboard-Reporter Antoine Auriol gehören, für die Wettfahrt zu trainieren. Bis dahin muss die Yacht wieder in einem guten Zustand sein.

Ganz nebenbei wird Herrmann auch auf dieser Wettfahrt wieder Daten für die Meeresforschung sammeln. Auf der Rennyacht ist – wie schon auf der alten „Seaexplorer“ – ein kleines Labor installiert worden, das Informationen über CO2-Gehalt, Wassertemperatur und vieles mehr sammelt. „Mir ist diese Aufgabe extrem wichtig, deshalb wollen wir bei allen Fahrten Daten sammeln und an die Forscher weitergeben.“ Je mehr Daten zur Verfügung stünden, desto mehr Erkenntnisse über Veränderungen könnten die Wissenschaftler auch erhalten. damit ist ein weiteres hoch kompliziertes technisches Gerät an Bord, das Herrmann auf seine Funktionsfähigkeit überprüfen wird.