Lorient. Der Segler spricht über die nächsten Schritte mit der „Malizia – Seaexplorer“. Der nächste Meilenstein erfolgt in Hamburg.

Der Stapellauf war erfolgreich, der erste Segeleinsatz ist für Sonnabend geplant: Boris Herrmann redet über sein neues Boot „Malizia – Seaexplorer“, Glücksscherben vor dem Stapellauf und Team Malizias Regatta-Pläne.

Glückwunsch zum neuen Boot. Wie haben Sie den Stapellauf in Lorient erlebt?

Boris Herrmann: Ich hatte schon starke Emotionen. Vor allem beim Ankommen am Dock. Das hat mich an meine erste Vendée-Globe-Kampagne erinnert. Da war die Fahrt zum Dock noch etwas entspannter, weil schon alles funktionierte. Damals standen wir mit ein paar Leuten zusammen und haben Sekt getrunken. Diesen Moment wollte ich jetzt nachempfinden. Doch dieses Mal lagen 18 Monate intensive Bauzeit hinter uns, und wir sind ein viel größeres Team. Alle haben die letzten zwei Wochen ohne Pause durchgearbeitet. Und waren trotzdem gut drauf. Das war toll nach der harten Zeit.

Boris Herrmann wurde von Windstoß geweckt

Wie hat der große Tag für Sie begonnen?

Herrmann: Ich bin um 4.30 Uhr von einem Windstoß aufgewacht, der durch unsere Wohnung ging und ein Glas vom Tisch gefegt hat.

Scherben sollen ja Glück bringen …

Herrmann: Ja (lächelt), stimmt! Dann bin ich in den Hafen gefahren. Ich wusste, dass ich sowieso nicht mehr schlafen kann. Da habe ich mal nach dem Rechten geschaut. Dann habe ich versucht, im Auto zu schlafen, bin dann aber doch wieder nach Hause. Und dann wieder in den Hafen.

Ihr Boot schwimmt, wird aber noch weiter ausgerüstet. Am Sonnabend werden Sie erstmals Segel setzen. War die Erstwasserung schon ein Erfolg?

Herrmann: Ja, sie hat Energie freigesetzt. Bei so einem Schiff ist man beim Stapellauf ein bisschen abergläubisch. Ein Schiff kann gut geboren werden oder ständig Probleme haben. Jetzt ist alles gut gelaufen.

Farben symbolisieren Nachhaltigkeitsziele

Die „Malizia - Seaexplorer“ trägt ein buntes Farbkleid. Welche Idee steckt dahinter?

Herrmann: Das Design ist aus dem Kreis entstanden, dessen 17 Farben die 17 Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen symbolisieren. Den wollten wir groß abbilden.

Ihre Klimaschutz-Botschaften aus dem letzten Rennen tragen Sie weiter um die Welt …

Herrmann: Auf der einen Seite steht „Climate Action now“, und hier, wo wir gerade an Deck sitzen, steht „A race we must win“. Unsere Partner unterstützen diese Botschaften, nehmen sich selbst bewusst zurück. Sie nehmen in Kauf, kein eigenes großes Billboard für sich zu beanspruchen, sondern als Gruppe gemeinsam diese Mission zu unterstützen.

Sind Sie in Gedanken schon mit dem neuen Boot auf See?

Herrmann: Ich habe das vergangene Jahr viel Zeit in Gedanken auf dem Boot und auf See verbracht. Es ist auch manchmal so, dass ich beim Einschlafen denke: Oh, jetzt bin ich mal auf dem Boot. Ich stelle mir vor, was ich von der Koje aus sehe. Wir haben 3-D-Brillen gemacht, mit deren Hilfe man sich den Innenraum vorstellen kann. Dadurch kommt es mir schon so vor, als wäre ich bereits ein Jahr mit dem Schiff unterwegs.

Kielbombe wird durch neue Konstruktion leichter

Das neue Boot hat einen auffällig hohen Kajütaufbau mit 1,90 Metern Stehhöhe unter Deck. Für Laien sieht das auf den ersten Blick fast ein bisschen wie ein Hausboot aus …

Herrmann: Ja. Natürlich war es beim alten Boot schön, das große freie Achterdeck zu haben. Man kam schnell rein und raus, konnte sich frei bewegen und hatte auch beim Segeln mit Gästen viel Raum. Aber Fakt ist, dass wir durch die neue Konstruktion im Rahmen der Imoca-Regeln die Kielbombe leichter machen konnten. (Anm. der Red.: Mit leichterer Kielbombe kommt eine Rennyacht schneller auf ihre Foils, die Tragflächen, auf denen der Rumpf sich aus dem Wasser erhebt) Hinzu kommt, dass man auf langen Strecken, wenn man nicht gerade in den Tropen segelt, immer in der Kajüte ist.

Deshalb befinden sich wichtige Arbeitseinheiten jetzt im Innenraum?

Herrmann: Man verliert einfach Performance, wenn man immer durch den Niedergang rausklettern muss, um etwas zu tun. Du willst beispielsweise ein Reff einziehen, also die Segelfläche verkleinern. Dann musst du dich anziehen, die Schuhe sind nass, du bist eigentlich schon müde, und der Wind wird vielleicht gleich wieder weniger. Auf dem neuen Boot muss man fürs Reffen nicht mehr rausgehen. Ich kann aus der Koje einen Meter zur Winsch gehen und das Reff einlegen. Funktioniert das gut, dauert es drei Minuten.

Ihr Boot macht einen sehr robusten Eindruck. Die Konstruktion deutet darauf hin, dass es bei leichten Winden Nachteile haben könnte, weil der bullige Bug vorne hochkommt. Auch verfügt das Boot bei weniger Wind über weniger benetzte Fläche. Wie kann die fehlende Wasserlinienlänge im Verdrängermodus kompensiert werden?

Herrmann: Gar nicht. Wir haben uns gesagt: Dann werden wir bei wenig Wind und flacher See wahrscheinlich langsamer sein. Aber es gibt nie flache See. Sagen wir mal, ab zwölf Knoten Wind ist auf dem Ozean eine Welle. Darunter, bei sechs, acht Knoten, sind wir langsamer. Wir haben versucht, es so zu berechnen, dass wir nicht mehr als einen Knoten langsamer sind.

Erstes großes Rennen wird die Route du Rhum

Wo holen Sie sich diese theoretischen Verluste zurück?

Herrmann: Wir haben es mit dem alten Schiff nie geschafft, bei rauer See über 18 Knoten Durchschnittsgeschwindigkeit zu erreichen, jetzt sind es hoffentlich 22 Knoten, irre viel. Wir haben auch deutlich größere Foils als beim letzten Boot. Und wir haben uns an anderen Stellen Gedanken gemacht. Wir haben vielleicht keinen Vorteil bei leichtem Wind, doch das dürfte ab zwölf, 13 Knoten keine Rolle spielen.

Ihr erstes großes Rennen mit dem neuen Boot wird der Transatlantik-Klassiker Route du Rhum ab 6. November sein. Können Sie da mit dem neuen Boot schon Vollgas geben? Oder werden Sie sich zurückhalten, um nur nichts kaputtzumachen, weil das The Ocean Race schon im Januar startet?

Herrmann: Es wird unserem Team und mir Selbstbewusstsein geben, wenn wir bei der Route du Rhum solide, sicher ins Ziel kommen. Wir müssen das nicht gewinnen. Das ist nicht das Ziel. Und es wäre auch schwierig gegen die sehr ausgereiften Top-Boote der aktuellen Generation. Es ist nicht realistisch, mit einem neuen Boot in der kurzen Zeit auf das Niveau zu kommen. Wir haben bis dahin nur eine Nettosegelzeit von rund vier Wochen. Das ist zu wenig. Wir werden also noch nicht voll wettbewerbsfähig sein. Natürlich versucht man immer das Beste, aber ich werde auch Rücksicht darauf nehmen, dass unser nächstes großes Ziel das Ocean Race ist, also nicht über die Maße auf Risiko fahren.

Ihr Kern-Team ist auf 50 Leute angewachsen. Bis zu 250 Menschen haben rund 80.000 Arbeitsstunden ins Boot gesteckt …

Herrmann: Wir haben nicht nur ein Boot, sondern auch ein Team gebaut. Die Hierarchien sind aber flach geblieben. Ein bisschen Freestyle von unserer Teamdirektorin Holly Cova und mir steckt immer drin. Wenn wir jetzt wieder kleiner werden – auf etwa zehn technische und insgesamt rund 20 Leute zurückgehen –, wird das eine unheimlich starke Einheit sein. Weil jeder extrem gut mitdenken kann und jeder jeden versteht. Dieses Team kann jetzt eigentlich alles erreichen. Wir können vielleicht keine America’s-Cup-Yacht bauen, aber ich denke, dass es für Imoca- und Ocean-Race-Herausforderungen das perfekte Team ist.

Boris Herrmann: Jetzt beginnt der schönste Teil

Sie haben mal gesagt, dass Ihnen die Bootsentwicklung besonders viel Spaß macht. Beginnt jetzt der harte Teil?

Herrmann: Nein. Es hat uns allen sehr gefehlt, ein Schiff zu haben. Es ist ein bisschen wie unser Gral. Alles gravitiert um das Schiff. Wenn es nur im Computer existiert, ist es ein wenig wie die moderne Arbeit in vielen Firmen. Wo man eigentlich um was Virtuelles herumgravitiert, um Abschlusszahlen, Kennzahlen und Dinge kreist, die man nicht anfassen kann. Das Schiff ist etwas, da kann man draufgehen, da kann man reingehen. Da kann man mal drauf schlafen oder auch ein Bier mit Freunden trinken. Es ist sichtbar, anfassbar, nutzbar. Das ist also der schönere Teil. Und ich will gar nicht mehr zu viel entwickeln. Eigentlich hoffe ich, dass alles funktioniert und wir das Schiff mit dem Ocean Race mehr oder weniger validieren können.

Der nächste große Meilenstein wird in Hamburg gesetzt. Dort will Ihr Team das Boot am 6. September in der HafenCity taufen.

Herrmann: Darauf freuen wir uns sehr! Zum einen, weil Hamburg unser Heimathafen und Gravitationszentrum ist. Zum anderen wissen wir, dass das Boot dann schon kompletter ist, wir es also schon sehr viel besser kennen werden. Wir laden alle Hamburger herzlich ein, bei der öffentlichen Zeremonie dabei zu sein!

Das Magazin „Collector’s Edition Boris Herrmann“ erzählt auf 100 Seiten das große Abenteuer der Vendée Globe und beschreibt den Menschen Boris. Erhältlich in der Abendblatt-Geschäftsstelle, auf abendblatt.de/magazine oder per Telefon 040/333 66 999.