Hamburg. Literaturhauschef Rainer Moritz darüber, was der abgestiegene Bundesliga-Dino und die Union im Superwahljahr gemeinsam haben.

Früh hat mir meine Mutter beigebracht, Großspurigkeit zu meiden und Bescheidenheit an den Tag zu legen – selbst dann, wenn ich tief in meinem Inneren gar keinen Grund zur Bescheidenheit sähe. Beim Hamburger SV scheint man von solchen Sekundärtugenden leider nichts zu halten, und meine Mutter ist nun zu alt, um auf die Verantwortlichen aus der süddeutschen Ferne einzuwirken.

Machen wir es konkret: In einer Phase, da der HSV drauf und dran ist, zum dritten Mal hintereinander den Aufstieg in die Bundesliga gegen eine keineswegs furchteinflößende Konkurrenz zu verspielen, redet sich der Verein die Welt mal wieder schön und sieht Anzeichen der Hoffnung, wo alle anderen nur Deprimierendes wahrnehmen.

Der HSV tut sich bis heute schwer, den Abstieg in die Zweite Liga zu akzeptieren

Kaum ist eine Halbzeit – die zweite gegen Kellerkind Jahn Regensburg – nicht ganz so grauenvoll wie die vorangegangenen gegen Würzburg, Darmstadt oder Sandhausen, meint Kapitän Tim Leibold, dass „noch alles drin“ sei, und beharrt Sportvorstand Jonas Boldt auf einer nur von ihm geteilten Sichtweise: Wenn Regensburg frecherweise den „Spielfluss“ des HSV unterbrochen habe, habe man sich „dagegen gewehrt“ – wohl das Mindeste, was man von einem Erstliga-Aspiranten erwarten darf, oder?

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Woran liegt die permanente Aufstiegsunfähigkeit des HSV? Wohl daran, dass man so agiert, wie es die CDU/CSU auf politischer Ebene seit einiger Zeit tut. Wie Laschet, Merz, Söder & Co. bis vor Kurzem davon ausgingen, dass eine Mehrheit für die Partei auf Bundesebene eine gottgegebene Selbstverständlichkeit sei, tut sich der HSV bis heute schwer, den Abstieg in die Zweite Liga zu akzeptieren und diese als ihm angemessenes Ambiente zu sehen.

 Wir sind zu Höherem berufen

Nein, eigentlich wollen wir nicht gegen Aue oder Osnabrück spielen. Wir sind zu Höherem berufen, und dass man noch immer nicht um Europa-League-Plätze kämpft, muss ein ärgerliches Versehen der Vorsehung sein. Bochum oder Fürth vor dem HSV – das kann nur eine hässliche Momentaufnahme sein, denkt man sich im Volkspark ... bis die Saison plötzlich zu Ende ist, man sich verblüfft die Augen reibt und den nächsten Trainer holt.

Auch das verbindet den HSV mit der CDU. Dass es Annalena Baerbocks Grünen glücken könnte, auf Platz eins der Wählergunst zu gelangen und die Kanzlerschaft an sich zu reißen, wollen die meisten in der CDU nicht akzeptieren und empfinden Hochrechnungen dieser Art als Kränkung. Lediglich Markus Söder scheint diese Entwicklung zu sehen und nicht von einem Machtdauerabonnement seiner Partei auszugehen.

Steckt hinter dem latenten HSV-Hochmut etwas Hanseatisches?

Vielleicht steckt hinter dem latenten HSV-Hochmut ja sogar etwas sehr Hanseatisches. Denn betont man – so mag es zumindest Zugereisten manchmal erscheinen – nicht immer verdächtig gern die Bescheidenheit des Hamburger Hanseatentums, während man insgeheim von der eigenen Überlegenheit tief überzeugt ist?

Das übrigens ist kein Problem der CDU allein. Denn auch Olaf Scholz, Kanzlerkandidat einer gerade mal 15-Prozent-Partei, ist sich ganz sicher, dass er allein zum Häuptling tauge und über „die notwendige Erfahrung und Kenntnisse für diese Aufgabe“ verfüge. Eine HSV-Denke.

So kompliziert ist das mit den Zusammenhängen von Politik und Fußball, und am Ende schauen CDU und HSV in die Röhre, und die Grünen und Holstein Kiel haben die Nase vorn.