Leimen. Auch im dritten Zweitligajahr nimmt der Club die Kampfspiele nicht an. Die Profis haben ein mentales Problem. Diskussion um Thioune.
Für die HSV-Profis begann der Freitagmorgen mit dem obligatorischen Corona-Schnelltest im Hotel Villa Toskana in Leimen. Erst als alle Ergebnisse negativ ausgefallen waren, durften die Spieler ihr Zimmer verlassen. Um 11 Uhr verließ der HSV-Tross den Geburtsort des früheren deutschen Tennisstars Boris Becker wieder und begab sich auf den rund dreistündigen Weg nach Herzogenaurach.
Dort, im Hotel Herzogspark, residieren die Hamburger für eine Nacht, ehe es am Sonnabend weiter nach Regensburg zum nächsten Zweitligaspielort geht. Doch bevor die Spieler erneut ihre Sachen packten, stand am Freitagabend eine Teambesprechung auf dem Programm. Und zu bereden gab es einiges nach dem blamablen 1:2 beim Tabellen-16. SV Sandhausen.
Thioune: Hartes Urteil über HSV-Profis
Der Auftritt der Hamburger ließ viele ratlose Gesichter zurück. Selbst Daniel Thioune, der sich bislang nach schlechten Spielen stets schützend vor seine Spieler gestellt hatte, legte diesen Schutzschild unmittelbar nach der Niederlage ab. „Die Sandhäuser wollten ihr Leben auf dem Platz lassen, sie waren in den Zweikämpfen drin. Das ist der Unterschied zu uns: Die eine Mannschaft hat es mehr gewollt“, klagte der HSV-Coach.
Ein vernichtendes Urteil für seine Profis, die auch im dritten Zweitligajahr in den entscheidenden Phasen die Grundtugenden des Fußballs vermissen lassen. Leidenschaft, Aggressivität – nichts davon war beim Aufstiegsanwärter zu sehen. Der HSV will den Aufstieg nicht. Ganz anders präsentierte sich Sandhausen. Und das, obwohl die Kurpfälzer gerade erst eine 14-tägige Quarantäne hinter sich gelassen hatten. „Erst als das Spiel verloren war, haben wir angefangen, Fußball zu spielen“, schimpfte Thioune. „Das war zu wenig.“
Warum ließ sich der HSV von Sandhausen überraschen?
Dabei war die Spielweise der Sandhäuser seit Wochen bekannt, wie auch ein fassungslos wirkender Thioune hinterher einräumte. Es sei „kein Geheimnis“ gewesen, dass der SVS die Hamburger mit hohem Pressing früh unter Druck setzen und auf Fehler im Spielaufbau spekulieren werde. Auch auf die konsequent durchgezogene Manndeckung, auf die der HSV keine Antwort fand, habe das Trainerteam im Vorfeld hingewiesen.
„Wir haben kaum Räume geöffnet und hatten keine Dynamik“, sagte Thioune. Dadurch, so der Trainer, sei es für Sandhausen „relativ einfach“ gewesen. „In der ersten Stunde war es überhaupt keine Herausforderung für den Gegner.“ Es sind Sätze, die wie Ohrfeigen für seine Spieler wirken. Thiounes niederschmetterndes Fazit: „Wir haben 60 Minuten nicht stattgefunden, das haben wir in keiner Weise erwartet.“
Was wird aus Thioune beim HSV?
Unerwartet war für den Club nicht nur der spielerische Offenbarungseid, sondern auch die Trainerdiskussion, die von der „Bild“-Zeitung noch in der Nacht eröffnet worden war. „Ist Thioune noch der Richtige für den HSV?“, fragte das Boulevardblatt und brachte Nachwuchschef Horst Hrubesch als Interimslösung ins Spiel. Doch nach Abendblatt-Informationen spielt eine Trainerentlassung in den Gedanken der Club-Verantwortlichen (noch) keine Rolle. Stattdessen komme es aus Sicht des HSV nun darauf an, welche Profis der Situation gewachsen sind.
Ohnehin scheint das Problem viel tiefer zu sitzen als auf der Trainerbank. Solange der HSV nicht bereit zu sein scheint, solche Kampfspiele bei Abstiegskandidaten wie Sandhausen oder auch vor zwei Monaten beim Tabellenletzten Würzburg (2:3) anzunehmen, wird der Club auch im dritten Anlauf die Rückkehr in die Bundesliga verpassen. Denn nach nur zwei Siegen aus den vergangenen zehn Spielen droht ein ähnliches Szenario wie in den beiden zurückliegenden Spielzeiten, als jeweils im Endspurt eine komfortable Ausgangsposition verspielt wurde. Es wirkt, als wiederhole sich die Geschichte.
Einen Lerneffekt scheint es nicht zu geben. Führungsspieler wie Kapitän Tim Leibold, Sonny Kittel und Jeremy Dudziak tauchen ab, wenn es darauf ankommt. Torhüter Sven Ulreich ist zwar auf der Linie stark, seine fußballerischen Defizite verunsichern jedoch seine Vorderleute. Simon Terodde geht noch am ehesten voran, hat aber gerade mit seiner Abschlussschwäche zu kämpfen.
Lesen Sie auch die Einzelkritik:
Löst Thioune das mentale HSV-Problem?
Daniel Thioune hat längst ein Kopfproblem seiner Spieler erkannt. Als Knackpunkt in dieser Saison könnte sich das Hannover-Spiel vor drei Wochen erweisen, als der HSV nach einer 3:0-Führung noch den Ausgleich kassiert hatte. Ein Rückschlag im Aufstiegskampf, der noch tief in den Köpfen der Spieler sein Unheil anzurichten scheint. „Wir haben es in den vergangenen Spielen nicht geschafft, clever zu sein. Das macht etwas mit dem Kopf“, gestand Thioune, ehe er zur nächsten denkwürdigen Aussage ansetzte. „Uns fehlt momentan sicherlich die Stabilität im Kopf und auf dem Platz.“ Demnach habe der HSV also nicht nur ein mentales, sondern auch ein Qualitätsproblem.
In Anbetracht solcher Aussagen bleibt die Frage, wie die Hanseaten in dieser Verfassung noch den Aufstieg schaffen wollen. Tabellenführer Bochum (60 Punkte) scheint bereits enteilt. Verfolger Fürth (54) wirkt stabil und strotzt vor Spielfreude, an der es dem HSV (50) momentan fehlt. Die Schwächephase der Hamburger hat dazu geführt, dass Mannschaften wie Düsseldorf (49) und Heidenheim (48) plötzlich ebenfalls um den Aufstieg mitspielen. Die große Unbekannte bleibt Holstein Kiel (46), das drei Spiele weniger als der HSV absolviert hat, nach zwei Quarantäne-Phasen allerdings vor einem Marathon von sechs Spielen in 16 Tagen steht.
Und der HSV? Der spielt im Saisonendspurt bis auf Karlsruhe ausschließlich gegen Mannschaften aus dem unteren Tabellendrittel. Das Gute daran ist: Wie in Sandhausen ist schon jetzt klar, mit welcher Leidenschaft und Kampfbereitschaft diese Teams antreten werden. Das Schlechte: Genau gegen diese Spielweise tut sich der HSV nach wie vor schwer, Lösungen zu finden.
Folgen die HSV-Profis noch Thioune?
Das von Thioune angesprochene Qualitätsproblem wird bis Ende Mai nicht mehr zu lösen sein. Die mentalen Defizite will der Coach dagegen bis zum Regensburg-Spiel am Sonntag (13.30 Uhr/Sky) in den Griff bekommen. „Wir müssen wieder Spaß haben auf dem Platz“, gibt Thioune die Richtung vor. „Ich bin niemand, der liegen bleibt, sondern jemand, der aufsteht. Und das erwarte ich auch von meiner Mannschaft. Aufgeben ist keine Option.“ Für den HSV-Coach ist die Marschroute also klar. Aber folgen ihm auch seine Spieler?