Hamburg. Der Norddeutsche Regatta Verein erweitert sein olympisches Segelteam und hofft in den Surf-Disziplinen mit Foil und Kite 2024 auf Medaillen.
Eine berechtigte Frage, findet Klaus Lahme, schließlich ist das Surfen auf der Alster wegen der vorrangigen Schifffahrt verboten. Dazu bietet das Binnengewässer weder einen Strand noch die perfekte Welle. Und auch auf der Elbe ist Surfen vielerorts wegen der gefährlichen Strömung untersagt. Warum also erweitert der Norddeutsche Regatta Verein (NRV) sein Olympic Team gleich um ein halbes Dutzend der besten deutschen Wind- und Kitesurfer?
„Ganz einfach“, sagt Clubmanager Lahme, „weil der NRV wie kein zweiter Verein in Deutschland das olympische Segeln fördert.“ Gut die Hälfte der Ringe-Segler der vergangenen Jahrzehnte konnte klassenübergreifend auf die Unterstützung des NRV bauen. Dies ist auch aktuell der Fall, wenn der bayerische Laser-Weltmeister Philipp Buhl (30) und die Berliner WM-Zweiten und -Dritten Erik Heil (31)/Thomas Plößel (32) im 49er in Tokio 2021 ihre Karrieren krönen wollen.
„Unsere Strahlkraft ist enorm“, sagt Lahme. Die Neuzugänge hätten sich initiativ um die Mitgliedschaft beworben, in einer Art Kettenreaktion ihre Kollegen gleich mitgebracht. Der NRV investiert pro Jahr im sechsstelligen Bereich ins Olympic Team, hilft mit Sponsoren und stellt das Material. Knapp 10.000 Euro pro Surfer.
Kitesurfen mit Lenkdrachen und Foil erstmals olympisch
Sie alle eint ein Ziel: Die olympischen Sommerspiele 2024 in Paris und Marseille, wo in vier Jahren an der Côte d’Azur um Medaillen gesegelt wird. Das Kitesurfen mit Lenkdrachen und Foil wird erstmals olympisch sein, im Mixed-Racing eine Medaille vergeben. Beim Windsurfen löst die Einheitsklasse IQ Foil als Hochgeschwindigkeitsdisziplin (bis 30 Knoten/55 km/h) mit Tragflügel unterm Brett das seit 2008 olympische RS:X-Board ab. Frauen und Männer kämpfen weiterhin jeweils um eine Medaille.
Die Vorschusslorbeeren für die NRV-Surfer sind groß. Innen- und Sportsenator Andy Grote (SPD), der als Schirmherr des Olympic Teams fungiert, spricht angesichts der zahlreichen nationalen und internationalen Erfolge von einer „hochattraktiven Verstärkung“ für den NRV (und die Active City).
Surferin Lena Erdil wagt Sprung in die olympische Klasse
Die Kieler Kiterin Leonie Meyer (27) segelte bereits im 49FX für den NRV mit olympischen Ambitionen. Die deutsche Kite-Meisterin im Racing gehört seit rund zwei Jahren gemeinsam mit dem Bayern Florian Gruber (26) zur internationalen Spitze. Da olympisch im Mixed gekitet wird, ist der Schritt von Gruber, der bei den World Beach Games 2019 Gold gewann, zum NRV nur logisch.
Lena Erdil (31), zweifache Windsurfweltmeisterin im Slalom und 13-fache türkische Meisterin, lebt in Harburg. Sie wagt den Umstieg von der offenen in die olympische Klasse, vom selbstorganisierten Surfen dank Sponsorenunterstützung auf der World Tour hinein in Vereins- und Verbandsstrukturen.
Die Deutschtürkin, geboren in Çeşme/Izmir, aufgewachsen in Göppingen, Brüssel und Bodrum (Türkei), startet künftig für Deutschland. „Ich wollte für den besten Verein im olympischen Segeln antreten“, sagt Erdil. Sie überzeugte zudem den in Tarifa in Spanien lebenden Vizeweltmeister Sebastian Kördel (29) von einer olympischen Kampagne unter Hamburger Flagge. Dieser wiederum schlug zusätzlich Nico Prien (25/Schönberg) vor, den Meister der deutschen Windsurf-Tour 2019. Mit der früheren Hamburger 470er-Juniorenweltmeisterin und IQ-Foil-Umsteigerin Helena Wanser (21) versammelt der NRV nun jeweils drei moderne Surfer-Girls und -Boys unter seinem traditionellen Dach.
Kite-Europameisterschaft in Polen
Ihre erste Bewährungsprobe gibt es noch in diesem Jahr. Trotz zahlreicher coronabedingter Absagen stehen jetzt EM- und WM-Regatten an. Die Kiter ermitteln von heute an ihre Einzeleuropameister im polnischen Puck, die Mixed-EM soll Mitte September auf dem Traunsee in Österreich folgen. Im Windsurfen beginnt heute auf dem Schweizer Silverplanersee die offene WM, die EM im IQ Foil schließt sich direkt an, die WM in der olympischen Materialklasse ist im Oktober auf dem Gardasee geplant.
„Einige Nationen sind deutlich weiter als wir. Dort werden die Athleten seit Jahren mit Trainern, Workshops und Material gefördert. Wir verlieren den Anschluss, müssten jetzt mehr investieren“, klagt Leonie Meyer. Die finanziellen Mittel des Deutschen Segler-Verbands (DSV) sind im wegen der Olympia-Verschiebung auf 2021 ausgeweiteten Förderzyklus anderweitig gebunden. Parallel laufende Förderstrukturen gibt das deutsche System nicht her.
Wenig Zeit für Pionierarbeit
„Die Klassen Kite und IQ Foil sind noch nicht olympisch und damit in der Förderung des Deutschen Olympischen Sportbundes nicht bedacht“, sagt Leon Delle. Der 29-Jährige kümmert sich seit 1. Mai im DSV um den Aufbau der Verbandsstrukturen im Surfen. Dank Sponsorenunterstützung und Umverteilung konnten erste Mittel freigemacht werden. Rund 20 Interessenten wurden im Juni/Juli aus dem gesamten Bundesgebiet nach Kiel geladen, darunter die sechs NRV-Mitglieder. Erste Trainingsgruppen am Olympiastützpunkt wurden gebildet, den Aktiven je nach EM- und WM-Ergebnissen Kaderstatus in Aussicht gestellt. „Wir sind gewillt, die Förderung zeitlich vorzuziehen. Das hat es im DSV so noch nie gegeben“, sagt Delle.
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Für Pionierarbeit über Nachwuchs- und Trainerausbildung an der Vereinsbasis bleibt bis 2024 wenig Zeit. „Ich kann Vereine nur ermuntern, das Surfen aufzunehmen“, wirbt Delle. Die 260 Kinder und Jugendlichen im NRV dagegen werden weiter im Piraten und Opti lernen. Das Surfen auf der Alster bleibt auch im neuen Surfspot Hamburg verboten.