Hamburg. Die Schiffe der „Weißen Flotte“ sollen bis 2030 umgerüstet werden. Ein bekannter Segelverein will es vormachen.
Am Ende nahm Anjes Tjarks das Steuer selbst in die Hand. Mit Tobias König (57), dem Vorsitzenden des Norddeutschen Regatta-Vereins (NRV), sowie Senatskollege und Parteifreund Jens Kerstan glitt Hamburgs Verkehrsminister mit einem grauen, strombetriebenen Schlauchboot sanft und umweltfreundlich über das größte Binnengewässer der Stadt.
„Das hat richtig Spaß gemacht“, befand der Grünen-Politiker nach der kleinen Außenalsterrundfahrt. Bis auf ein paar Wasserspritzer auf Kerstans Jackett überstand das Trio den Kurztrip trocken und schadlos.
Die Alster soll (noch) sauberer und (jetzt auch) geräuschärmer werden. Das ist einer von rund 400 Punkten des ambitionierten Senatsplans hin zu einer klimaneutralen Stadt – und eine logistische wie auch finanzielle Herausforderung.
Erst zwei Alsterdampfer sind emissionsfrei
235 Jahresfahrerlaubnisse hatten nach der Alsterschifffahrtsverordnung die Behörden im vergangenen Jahr für Wasserfahrzeuge mit unterschiedlichen Motoren und Antrieben erteilt. Nur 29 Fahrzeuge hatten bislang einen emissionsfreien Antrieb, darunter zwei der 18 Schiffe der „Weißen Flotte“ der Alstertouristik: die „Alstersonne“ (Solarzellen) und die „Alsterwasser“ (Brennstoffzellen). Die restlichen 16 sollen nach und nach umgerüstet werden. Anjes Tjarks (39), als Senator auch zuständig für die Mobilitätswende, wird dazu jetzt eine Konzeptstudie in Auftrag geben.
Die größte Herausforderung: Sieben der 16 Schiffe sind älter als 60 Jahre, die „Aue“, das älteste, wurde 1926 fertiggestellt. Die „Seebek“, 1959 gebaut, ist das jüngste dieser Kategorie. „Die Schiffe der Alster-Touristik sind Wahrzeichen unserer Stadt. Sie sind weiter voll funktionstüchtig. Sie drohen jedoch nach einer Umstellung auf zum Beispiel E-Motoren ihre Zulassung zu verlieren, weil sie als Schiffstypen nicht mehr gebräuchlich sind“, sagt Tjarks. Das soll verhindert werden. „Es bleibt unser Ziel, die gesamte Alsterflotte für die Zukunft nachhaltig und umweltfreundlich zu machen.“
Welche Schiffe unter welchen Voraussetzungen umgestaltet werden können, welche Fördermittel die Stadt dafür von der Bundesregierung und von der EU erhalten kann, soll in den nächsten Monaten geklärt werden. Die Kosten dieser Mobilitätswende sind noch nicht abzusehen. „Fest steht aber schon jetzt: Jede Alster-Kreuzfahrt wird noch schöner, wenn die Schiffe leiser und sauberer werden“, sagt Tjarks.
NRV will Motorboote austauschen
Bis 2030 will Umweltsenator Jens Kerstan (54) alle Boote und Schiffe mit Verbrennungsmotoren von der Alster verbannt haben. „Eine rein elektrische Bootsflotte auf der Alster ist ein Gewinn für Hamburg, für das Klima und den Wassersport“, sagt Kerstan. Die Umstellung für die Alsterdampfer sowie Vereins- und Regatta-Begleitboote will seine Behörde für alle an der Alster und ihren Nebengewässern ansässigen Vereine mit einer Förderung erleichtern. Eine Million Euro werden den Segel-, Ruder- und Kanuclubs dafür in den kommenden Jahren bereitgestellt.
Der Norddeutsche Regatta-Verein, 1868 gegründet, ist einer der ältesten, mit 2100 Mitgliedern einer der größten und mit seinem im Jahr 2000 gegründeten Olympia-Team auch einer der erfolgreichsten Segelclubs Deutschlands. Er geht bei der Umrüstung der Vereinsflotten voran. Bis zu 70 Motorboote stehen noch an den Stegen der Wassersport-Clubs. Der NRV besitzt fünf. Sie werden vor allem als Sicherungsboote bei Trainingsfahrten genutzt, wenn Kinder und Jugendliche auf dem Wasser sind.
Vor zwei Jahren ergriff Sven Jürgensen (57), Delegierter des NRV-Vorstands, die Initiative für das Projekt E-Mobilität Alster. „Als Wassersportfotograf ist mir immer wieder aufgefallen, wie störend die uns täglich begleitenden Motoren sind, und das, obwohl es technisch längst nicht mehr sein muss. Schön, dass das nun anders wird“, sagt Jürgensen. Vor einem Jahr holte er Umwelt-, Verkehrs- und Sportbehörde mit ins Boot.
E-Boote haben ihren Preis
„Wir wollen über den Sport die Lebensqualität in unserer Active City steigern. Dazu gehört ein gestiegenes Umweltbewusstsein“, sagt Sportstaatsrat Christoph Holstein (SPD). Der organisierte Sport übernehme hier bei einem großen gesellschaftlichen Anliegen wieder mal Verantwortung, wie schon bei der Integration von Geflüchteten oder bei der Sicherung des sozialen Zusammenhalts in der Großstadt. „Auch beim Thema Ressourcenschutz hat der Vereinssport viel zu bieten.“
Das Elektro-Gefährt, das Senator Tjarks über die Alster steuerte, hatte in fachlichem Austausch mit Jürgensen Anfang des Jahres der (Schlauch-)Bootsbauer Conrad Pischel (R.I.B.-Line) aus Troisdorf bei Bonn entwickelt. Es kostet 32.000 Euro, wiegt 98 Kilogramm, der E-Motor bringt eine Leistung von zehn Kilowatt, das entspricht 13,6 PS. Geschwindigkeit: bis zu 25 km/h. Nach vier bis sechs Stunden muss der Motor aufgeladen werden, noch an einer Steckdose, eine Ladestation soll folgen.
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Ein leichteres und schnelleres Boot aus Kohlenstofffasern liegt zwar ebenfalls am Anleger des NRV, das ist aber geliehen und wäre im Preis doppelt so teuer. Dafür hat sich der Regatta-Verein bereits ein zweites E-Boot angeschafft, in drei bis vier Jahren sollen alle Motorboote ausgetauscht sein. Das ist der Plan.
Am heutigen Freitag ist Tjarks wieder in Sachen Mobilitätswende mit seinem Fahrrad unterwegs. Im Hochbahn-Busbetriebshof Alsterdorf erhält er einen millionenschweren Förderbescheid des Bundesumweltministeriums für E-Busse und Ladestationen. Ob Tjarks dann auch einen dieser Busse fahren darf, ist fraglich. Für das E-Boot brauchte er nämlich keinen (Sportboot-)Führerschein.