Hamburg. Ein Trend im Wassersport begeistert die Szene. Im Hamburger Shop Freerider erklärt Christian Harbacek die Gründe.
Christian Harbacek kommt aus dem Schwärmen gar nicht mehr heraus. „Selbst bei wenig Wind hat man schon Spaß, es ist wie Snowboarden im Pulverschnee“, sagt der Inhaber des Surfshops Freerider. „Und meine ganze Familie ist dabei“, freut sich der 51-Jährige, „mein Sohn, der mit mehr oder weniger Freude kitesurft, aber auch meine Frau steht schon sicher auf dem Foil“, berichtet der Unternehmer über sein sonst weniger vom Wassersport begeistertes Umfeld.
Mit großer Euphorie spricht der drahtige Mann mit dem sonnengegerbten Gesicht über das Wingsurfen – eine neue Möglichkeit, sich mit Windkraft über Seen und Meere zu bewegen. In der Hand hält der Sportler dabei eine Art Flügel (wing ist das englische Wort für Flügel). Unter den Füßen hat er ein Brett. Ein SUP, ein Surfbrett oder bestenfalls ein Foilboard lassen sich dafür nutzen. Mit der Kürze des Boards und der Option, per Foil, also auf einem Tragflügel unter dem Brett, über dem Wasser zu schweben, wachsen hier die Möglichkeiten, richtig schnell über den See zu fahren.
Die Flügel gibt es ab etwa 800 Euro
Damit treffen zwei neue Surftrends aufeinander. Mit konventionellen Boards hielt sich der Fahrspaß mit den Flügeln bisher in Grenzen. Aber mit dem Aufkommen der großen Foils, die schon bei minimaler Geschwindigkeit abheben, kippstabil und damit einfach zu fahren sind, erschließen sich neue Einsatzbereiche für die Wings. Schon ab etwa acht Knoten (abhängig vom Surfer-Gewicht und gewählten Board) ist das Wingsurfen möglich. Die neuen Wingsegel haben dabei den Vorteil, dass sie so klein wie ein Rucksack zu verpacken und aufblasbar sind - damit sind sie deutlich leichter zu transportieren und einfacher aufzubauen als frühere Modelle, die Mitte der 1980er-Jahre schon einmal die Wassersportszene interessierten. Damals stand der Entwickler Tom Magruder auf dem Surfbrett, auf dem ein frei rotierendes Segel fest montiert war. Diese Sportart brachte es zwar zur Marktreife, konnte sich jedoch nicht durchsetzen.
Beim Wingsurfen sitzen heute aber bereits etliche große Marken mit im Boot: wie Slingshot, Naish und einer der Kite-Weltmarktführer, Duotone, die zur Saison 2020 allesamt ihre neuesten Modelle auf den internationalen Markt gebracht haben. Die Wings, die es ab etwa 800 Euro gibt, entsprechen in Machart, Technologie und Materialien den Kitesurfschirmen, daher das Engagement der bekannten Hersteller.
„Wingsurfen ist sicherer als Kitesurfen“
Auch Lena Middendorf vom Onlineshop Windstärke 7 ist überzeugt: „Wingsurfen ist sicherer als Kitesurfen, weniger materialaufwendig als Windsurfen, technisch herausfordernder und spannender als das Stand-up-Paddling und ortsunabhängiger als Wellenreiten.“ „All diese Faktoren sprechen dafür“, so die Meinung bei der Verkaufsplattform für Surfequipment, „dass wir in Sachen Wingsurfen trotz der großen Wachstumsraten erst am Anfang stehen. Wer weiß – vielleicht gibt es für das Wingsurfen ja sogar auch bald einen World Cup?“
Christian Harbacek hat vor einigen Jahren als Pionier das Kitesurfen in Deutschland mit verbreitet, er hat in Hamburg den SUP-Club am Isekai gegründet – und auch beim neuesten Wassersport, dem Wingsurfen, will der Unternehmer ganz vorne mit dabei sein. „Wenn man einen kleinen Shop hat, muss man die Trends erkennen. Sobald ein Thema die Masse erreicht hat, wird der Preis immer wichtiger, und da sind wir dann gegenüber großen Anbietern benachteiligt“, sagt der gebürtige Österreicher, der einst wegen seiner Gattin nach Hamburg zog. Im Freeridershop, der im urban-szenigen Umfeld unter den Bahnschienen am Alsterglacis seit Jahrzehnten für Surfsport steht, verkaufen Christian Harbacek und sein Geschäftspartner Philipp Heindl (53) alles, was die Hamburger zum Kite- und Windsurfen, für den SUP-Ausflug, aber auch zum Snowboarden benötigen.
Enorme Wachstumspotenziale
In der laufenden Sommersaison dürften sie ihre Erlöse um zehn Prozent auf rund 500.000 Euro steigern. „Die Leute fahren nicht weit weg in den Urlaub, haben Geld übrig und wollen hier in der Umgebung trotzdem Freiheit auf dem Wasser erleben“, sagt Philip Heindl. Den Löwenanteil mache der stark wachsende SUP-Bereich aus, an zweiter Stelle rangiert der Markt mit Kitesurf-Artikeln. Allerdings beschränkten die coronabedingten Lieferschwierigkeiten der Produkte, die vornehmlich in Asien gefertigt werden, die Chancen zum Geldverdienen bisher erheblich.
Das Wingsurfen bringt nun zusätzliches Potenzial. Auch wenn sich im Shop bisher nur eine Handvoll Kunden mit dem Material für die neue Wassersportoption eingedeckt hätten, seien die Wachstumspotenziale enorm: „Du kannst mit Welle, ohne Welle, bei viel und wenig Wind aufs Wasser“, beschreibt Christian Harbacek die Einsatzmöglichkeiten. Selbst auf dem Oortkatener See im Südosten Hamburgs sei der Sport möglich. „Überall dort, wo Surfen erlaubt ist.“ Also leider nicht auf der Alster.
Surfschulen bieten bereits Kurse an Ostsee an
Auf Fehmarn, in Pelzerhaken und auf der Halbinsel Zingst können Interessierte das Wingsurfen erlernen. Ein Basiskurs kostet an der Lübecker Bucht 200 Euro, eine Privatstunde schlägt mit 70 Euro zu Buche. „Unsere Wingsurf-Kurse laufen echt gut, das Klientel reicht vom Wassersporteinsteiger bis zum Windsurfer, Kiter und Segler, es ist alles dabei“, sagt Julia Bleich von Sail & Surf in Pelzerhaken. Die Leiterin der Surfschule, die an einem der windreichsten Spots in dem ansonsten recht ruhigen Revier arbeitet, prophezeit dem Trend eine große Breitenwirkung.
„Meiner Meinung nach ist es eine eigenständige Sportart“, sagt Julia Bleich. „Sie wird auf jeden Fall ihre Freunde finden in Menschen, die noch nie etwas gemacht haben im Wassersport“, ist die 35-Jährige sicher, „aber eben auch unter Windsurfern, die Lust haben im leichten und mittleren Windbereich eine Alternative zu finden. Ähnlich wie die Kitesurfer.“ Lernen könne es jeder, der Schwimmen kann. „Bisher geben wir Kurse auch für Jugendliche ab 12 Jahren“, berichtet die Surflehrerin über die neuen Trainingsangebote ihrer Wassersportschule am Ostseestrand.
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Auch die Surfschule Zingst bietet Anfängern die Möglichkeit, Wingsurfen zu lernen. In dem Ostseeheilbad kostet der Kurs für den „neuesten Trend auf dem Wasser“ 399 Euro. Mit einer auf das Wingsurfen spezialisierten Surfschule besetzt der Wassersportspot Fehmarn eine besondere Nische in der Branche. Die Schule am Strand von Burgstaaken startet den Kurs auf einem großen SUP-Board, um Einsteigern bei den ersten Versuchen auf dem Meer mit viel Stabilität auf dem Brett zu helfen. Dabei ist das Material schnell startbereit, denn anders als bei anderen Windsportarten wird der Wing weder am Board fixiert noch über irgendwelche Schnüre indirekt gesteuert. Durch die geschickte Positionierung des Flügels fangen die Surfer den Wind so ein, dass er sich über die Füße schließlich in eine Vortriebskraft für das Surfbrett verwandelt.
„Dabei wird der Flügel praktisch schwerelos“, schwärmt Christian Harbacek, bei dem auch die Freizeit neuerdings ganz im Zeichen des Wingsurfens steht. In der Bretagne hat er in diesem Sommer bereits das neueste Material ausprobiert. Und an einem der letzten Wochenenden zog es ihn mit dem Handsegel gleich noch mal ans Meer, zum Hotspot Meldorf bei Büsum.