Hamburg. Abendblatt-Gespräch mit Regina Halmich und Susi Kentikian. Es geht um Flüchtlinge, Geldverdienen und die Frage, ob Boxen sexy ist.

Regina Halmich, 38, war zwölf Jahre lang als Profibox-Weltmeisterin ungeschlagen, sie geht als Ikone ihres Sports in die Geschichte ein, weil sie sich ihre Position hart erkämpft hat – in vielerlei Hinsicht. Susianna Kentikian, 27, musste einen anderen Weg nehmen: Vom Flüchtlingsheim in die Boxhalle, zum Weltmeistertitel. Beide kennen sich gut. Für das Hamburger Abendblatt unterhielten sie sich über Durchsetzungsfähigkeit, das Geldverdienen, Politik und letzte Geheimnisse aus der Kabine einer Profisportlerin.

Hamburger Abendblatt: Mal frisch von der Leber weg: Wer würde gewinnen, wenn Sie beide gegeneinander boxen?

Regina Halmich: Susi! Ich wäre chancenlos. Die Reflexe sind nicht mehr da. Ich habe jahrelang nicht im Ring gestanden. Aber ich bin gut trainiert.

Susianna Kentikian: Ich bin ja mit Regina befreundet und sehe, wie fit sie noch ist. Das ist unglaublich. Du hättest noch zehn Runden drauf.

Halmich: Damals wäre es ein interessanter Kampf gewesen. Susi ist heute die Stärkere, vielleicht auch die Schnellere. Ich bin vielseitiger geworden und probiere viel aus. Ich mache bei Fitness First TRX (ein Ganzkörper-Training, die Red.), habe aber seit sieben Jahren kein Sparring gemacht. Dieses Distanzgefühl hätte ich nicht mehr.

Kentikian: Richtig: Ich habe auch Monate keinen Kampf gehabt. Das Distanzgefühl ist noch in mir, der Körper vergisst das nicht. Aber man muss sich das nach einer Pause wieder erarbeiten.

Regina Halmich: Gegen Freundinnen boxen? Schwierig!
Regina Halmich: Gegen Freundinnen boxen? Schwierig! © Marcelo Hernandez | Marcelo Hernandez

Hamburger Abendblatt: Hätten Sie sich vor zehn Jahren getraut, gegen Regina Halmich zu boxen?

Kentikian: Ja, ich war verrückt und hungrig – egal, wer vor mir steht, ich bin reingegangen, habe Gas gegeben, das hat die Zuschauer begeistert,

Halmich: Das ist ein Phantom-Kampf wie Dariusz Michalczewski gegen Henry Maske, da kann man philosophieren, was passiert wäre. Aber Susi und ich hätten nicht mehr befreundet sein können.

Hamburger Abendblatt: Fußballspieler können sich auch beharken und Freunde sein. Geht das im Boxen nicht?

Halmich: Schwierig.

Kentikian: Sehr schwierig.

Halmich: Ich hatte mich früher gut mit Daisy Lang verstanden, die auch bei Universum unter Vertrag war. Dann sagte mir mein Promoter: Du musst gegen sie boxen. Ich habe gewonnen, aber ich habe nicht verbissen um jeden Preis gekämpft. Das ist vielleicht auch menschlich, aber es ist nicht professionell.

Kentikian: Das hat man im Kampf gesehen.

Promotet sich selbst: Susi Kentikian
Promotet sich selbst: Susi Kentikian © Marcelo Hernandez | Marcelo Hernandez

Hamburger Abendblatt: Was würden Sie ändern, wenn Sie Ihre Karriere noch mal von vorn beginnen könnten?

Halmich: Nichts! So schwer es am Anfang war, sich als Frau durchzusetzen – ich habe die besten Zeiten erlebt. Da ist ein Märchen wahr geworden. Es ist kein Geheimnis: Ich habe später so gut verdient wie die Männer, das gibt es heute nicht mehr.

Kentikian: Mich hat früher ausgezeichnet, dass ich im Ring ohne nachzudenken einfach voll losgelegt habe. Ich hatte einen verrückten Amateurtrainer, Frank Rieth. Den habe ich jetzt wieder. Zwischenzeitlich habe ich auch von Magomed Schaburow die russische Schule gelernt...

Hamburger Abendblatt: … die russische Schule?

Kentikian: Ja, wie man einen Aufwärtshaken genau schlägt, wie man an Feinheiten arbeitet, abwartet, einen Kampf aufbaut. Jetzt ist für mich wichtig, dass ich im Kampf nur noch das Unterbewusste abrufe, das ich im Training sowieso einübe. Ich muss wieder mehr dem Instinkt folgen und draufgehen, meiner Gegnerin keinen Raum lassen. Alles andere ist langweilig. Ich will den Leuten was zeigen.

Hamburger Abendblatt: Sie hatten andere Startbedingungen als Regina Halmich, kamen mit ihrer Familie nach einer Odyssee als Flüchtlinge aus Armenien. Ihre Eltern waren traumatisiert, Sie haben als Jugendliche mit Putzen entscheidend zum Familieneinkommen beigetragen. Was geht Ihnen durch den Kopf, wenn Sie jetzt die Flüchtlinge in Hamburg sehen?

Kentikian: Ich habe das alles erlebt. Ein Flüchtling zu sein, das hat mich stark gemacht. Ich wollte es allen zeigen und habe für meine Familie gekämpft. Ich wollte es zu etwas bringen. Ich habe Regina im Fernsehen gesehen, sie hat mich fasziniert, ich wollte das auch schaffen.

Hamburger Abendblatt: Boxen durften Sie zunächst nicht.

Kentikian: Ich habe bei Universum im Gym trainiert, durfte aber keinen Kampf machen, weil ich zu jung war. Und mein Vater wollte das nicht. Dann haben wir uns geeinigt, mit 17 habe ich einen Profivertrag bekommen.

Hamburger Abendblatt: Sie wären fast abgeschoben worden.

Kentikian: Die ganze Familie war davon bedroht. Wir sollten eines Tages abgeschoben werden und waren schon am Flughafen in Polizeigewahrsam. Freunde und ein Anwalt haben uns in letzter Sekunde davor bewahrt.

Hamburger Abendblatt: Welche Botschaft haben Sie an die Politik heute?

Kentikian: Man muss den Flüchtlingen eine Chance geben. Diese Menschen sollten so schnell es geht eine Arbeitserlaubnis bekommen, eine Gelegenheit, für sich selbst zu sorgen.

Hamburger Abendblatt: Frau Halmich, Sie waren auf Bitten der CDU mal sehr prominent politisch aktiv...

Halmich: O ja! Ich durfte in der Bundesversammlung den Bundespräsidenten Horst Köhler mitwählen. Diese Ehre zu haben, das bleibt unvergessen. Der Profisport ermöglicht einem vieles, wenn man Erfolg hat und in der Öffentlichkeit steht. Da öffnet sich eine andere Welt.

Hamburger Abendblatt: Frau Kentikian, Udo Lindenberg hat Ihnen ein Lied gewidmet und sing darin: „Ich war nie angekommen...“ Sind Sie seit Ihrer Einbürgerung angekommen?

Kentikian: Ja. Außerdem setze ich mich jetzt schon mal für Flüchtlinge ein. Letztens bin ich mit einer Verwandten, die ihren Aufenthaltstitel verlängern lassen wollte, in die Ausländerbehörde gegangen. Sie musste über vier Stunden warten. Dann kam sie zur Sachbearbeiterin und sah, dass da im Büro Flyer mit meinem Gesicht herumlagen. Sie fragte, ob sie welche mitnehmen könnte, denn die Frau auf dem Flyer sei ja ihre Cousine. Da sagte die Sachbearbeiterin: Warum haben Sie das nicht gleich gesagt, da hätten Sie keine vier Stunden warten müssen...

Hamburger Abendblatt: Jetzt wollen Sie nach der Trennung von der Boxpromotion von Felix Sturm einen eigenen Kampfabend in Hamburg veranstalten, bei dem Sie die Hauptkämpferin sind. Kann das klappen?

Kentikian: Ich bin für alles quasi selbst verantwortlich, habe aber Unterstützung und einen Hauptsponsor. Natürlich gibt es Helfer in der Organisation, denn ich muss den Kopf freihaben. Es ist sehr hart, aber ich schaffe das.

Lindenberg unterstützt Comeback der "Killer Queen"

WBA-Weltmeisterin Susi Kentikian will ihren Titel am 2. Oktober verteidigen
WBA-Weltmeisterin Susi Kentikian will ihren Titel am 2. Oktober verteidigen © dpa | Daniel Reinhardt
Den Kampf in der Wilhelmsburger Inselparkhalle organisiert die Hamburger Boxerin (links: Trainer Artur Grigorian) auf eigene Faust
Den Kampf in der Wilhelmsburger Inselparkhalle organisiert die Hamburger Boxerin (links: Trainer Artur Grigorian) auf eigene Faust © Witters
Mit dem schillernden Sponsor Martin Kristek hat sich die 27-Jährige bereits Unterstützung ins Boot geholt
Mit dem schillernden Sponsor Martin Kristek hat sich die 27-Jährige bereits Unterstützung ins Boot geholt © Witters
Für ihr Comeback hält sich die eingebürgerte Armenierin bei ihrem neuen, alten Trainer Frank Rieth fit
Für ihr Comeback hält sich die eingebürgerte Armenierin bei ihrem neuen, alten Trainer Frank Rieth fit © Witters
Mit Udo Lindenberg hat Kentikian auch ein richtig prominentes Gesicht hinter sich - der Sänger hat sogar einen Song für das Fliegengewicht geschrieben
Mit Udo Lindenberg hat Kentikian auch ein richtig prominentes Gesicht hinter sich - der Sänger hat sogar einen Song für das Fliegengewicht geschrieben © Witters
Das Küsschen gab die
Das Küsschen gab die "Killer Queen" zur Pressekonferenz an die Fans zurück © Witters
Starkes Team: Kentikian mit Grigorian, Kristek, Lindenberg und Rieth im Hotel Atlantic
Starkes Team: Kentikian mit Grigorian, Kristek, Lindenberg und Rieth im Hotel Atlantic © Witters
Für seine neue gute Freundin nahm Udo sogar seine Sonnenbrille ab
Für seine neue gute Freundin nahm Udo sogar seine Sonnenbrille ab © Witters
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Hamburger Abendblatt: Und es ist ein Risiko.

Kentikian: Das sehe ich eigentlich nicht. Ich habe zwar viel reingesteckt, aber der Sponsor ist eine große Hilfe. Wir werden bei Sport 1 im Fernsehen gezeigt.

Halmich: Ich bin gespannt. Ich war nie meine eigene Promoterin, da habe ich großen Respekt. Viele unserer Kollegen sind damit total gescheitert und haben gesagt: „Ich wusste gar nicht, wie viel Arbeit das ist“. Deshalb hoffe ich, dass du gute Leute hast.

Kentikian: Drei Wochen vor dem Kampf ziehe ich mich aus allem zurück, um mich zu konzentrieren, auch vom Internet.

Hamburger Abendblatt: Die berühmte und selten durchgehaltene Smartphone-Diät?

Kentikian: Ja, das muss man alles bedienen: Facebook, Instagram, Twitter... Man muss mit dem Fans in Verbindung bleiben.

Halmich: Ich unterstütze Susi und werde beim Kampf dabei sein und vielleicht co-kommentieren.

Hamburger Abendblatt: Warum sind Sie nicht Trainerin geworden? Es gibt doch Vorbilder: Boris Becker und Novak Djokovic...

Halmich: Dafür habe ich zu viele andere Dinge zu tun. Ich habe mich zwei, drei Jahre vor meinem Karriereende darauf vorbereitet. Das ist kein Zufallsprodukt. Ich bin Markenbotschafterin bei Fitness First, habe ein eigenes Trainingskonzept entwickelt und bilde dort im Boxcamp Trainer aus. Ich halte Vorträge über Motivation, darüber, was der Boxsport mit dem Business zu tun hat. Nächstes Jahr bringe ich eine eigene Adidas-Frauenbox-Kollektion auf den Markt, demnächst coache ich Topleute eines großen Unternehmens, die Manager heute wollen fit sein. Ich habe zwei Menschen an meiner Seite, auf die ich mich hundertprozentig verlassen kann: Christiane Diezemann und Christoph Schickhardt (Beraterin und Anwalt, die Red.). Der Boxsport ist ein Haifischbecken. Ich habe auch schlechte Erfahrungen gemacht, viele Manager haben einem das Blaue vom Himmel versprochen.

Hamburger Abendblatt: Hätten Sie Regina Halmich als Trainerin akzeptiert?

Kentikian: Regina kann motivieren, das ist entscheidend.

Hamburger Abendblatt: Frau Kentikian, es stimmt also der Satz, dass Sie zwischendurch mal faul sind?

Halmich (greift ein): Du warst heute unpünktlich, da hättest du bei mir vorweg 50 Liegestütze extra machen müssen.

Kentikian: Ich brauche ab und an mal einen Tritt in den Hintern...

Hamburger Abendblatt: Frau Halmich, war das bei Ihnen auch so?

Halmich: Absolut! Mein Trainer Torsten Schmitz war mein größter Kritiker. Wenn alle mich gelobt haben, hat er die Fehler aufgedeckt. Nur Schulterklopfer helfen einem nicht weiter.

Hamburger Abendblatt: Die Bundesliga-Fußballer werden oft verhätschelt, protzen mit ihren Tattoos und geben oft nur Sprechblasen von sich. Sind Sie neidisch auf deren Stellenwert?

Halmich: Das ist ein Mannschaftssport, da kannst du dich mal ausruhen. Als Boxer darfst du dir nie einen schlechten Tag erlauben, denn du stehst nur drei-, viermal im Jahr zum Kampf im Ring. Das ist doch der Reiz des Boxens: dass du deine Form an einem bestimmten Tag zu einer bestimmten Uhrzeit im Ring zeigst. Dass du das abrufen kannst, dass das passt mit der Gegnerin. Im Training habe ich auch alles gekonnt, im Ring nicht immer.

Kentikian: Ich hatte Kämpfe, da habe ich beim Warmboxen in der Kabine meinem Trainer fast die Pratzen kaputtgeschlagen – und im Ring habe ich überhaupt nicht getroffen. Da denkt man, hier stimmt was nicht. Da muss man die Linie beibehalten.

Hamburger Abendblatt: Haben Sie durch Ihren alten/neuen Trainer Frank Rieth wieder Sicherheit bekommen?

Kentikian: Er hätte die Fähigkeit, mich selbst innerhalb von nur zwei Wochen auf einen Kampf vorzubereiten. Dann könnte ich zumindest zehn Runden instinktiv drauflosschlagen. Wir arbeiten wieder mehr an meiner Explosivität. Ich habe jetzt keine Zeit mehr für boxerische Zurückhaltung. Es muss wieder spektakulär für die Zuschauer werden. Denn das Frauenboxen liegt fast am Boden.

Hamburger Abendblatt: Ist es tot?

Kentikian: Wo sieht man an prominenter Stelle noch Frauen boxen?

Halmich: Nun ja, im MDR werden noch Christina Hammer und Ramona Kühne gezeigt. Da kommentiere ich ab und zu. Cecilia Braekhus steht jetzt bei den Klitschkos unter Vertrag und soll bei Wladimirs Kampf im Oktober im Rahmenprogramm boxen. Die ist in ihrer Heimat Norwegen ein großer Star. Aber schon für die deutschen Männer ist es schwierig, Aufmerksamkeit zu generieren. Es gibt vielleicht sechs, sieben Hauptkämpfer. Mit dem Rückzug von ARD und ZDF ist das Boxen ein Stück weit gestorben.

Kentikian: Ich könnte wieder bei Sat.1 boxen, aber ich will erst mein eigenes Ding machen. Es gibt auch einen Plan B und Plan C.

Hamburger Abendblatt: Wie sehen B und C aus?

Kentikian: Ich denke, ich kann überall boxen, weil die Leute mich annehmen. Aber ich bin trotzdem unzufrieden.

Hamburger Abendblatt: Warum?

Halmich (greift ein): Weil du nicht genug Geld verdienst und weil du nicht mitbestimmen kannst!

Kentikian: Mit meiner eigenen Veranstaltung verdiene ich mehr, als wenn ich bei Felix Sturm boxe.

Hamburger Abendblatt: Im nächsten Jahr dürfen zum zweiten Mal nach London 2012 Frauen bei Olympia boxen. Was kann man da erwarten?

Halmich: Ich hätte es auch gerne gehabt, eine Amateurschule zu durchlaufen. Bei mir war das ja noch verboten – verboten, dass Frauen boxen! Olympia ist deshalb auch für mich ein ungelebter Traum. Man kann nicht alles haben. Ich denke, bei den Deutschen ist das Potenzial da, aber das Niveau kann ich nicht wirklich beurteilen. 2012 in London war keine Deutsche dabei.

Hamburger Abendblatt: Profiweltmeister Wladimir Klitschko, der 1996 bei Olympia siegte, sagte, durch die neuen Statuten dürften ja auch Profis bei Olympia starten. Er könnte sich das vorstellen...

Halmich: Ach, das ist doch ungerecht, wenn Profiboxerinnen auf Amateurinnen treffen.

Hamburger Abendblatt: Frauenfrage: Wird sofort nach dem Kampf in der Kabine ein blauer Fleck weggeschminkt?

Halmich: Immer. Das Make-up war mein größter Freund nach einem Kampf. Aber: Die Männer sind genauso eitel. Ob das Dariusz Michalczewski war oder wer auch immer – das Erste nach dem Kampf: Sie sind an den Spiegel gerannt.

Kentikian: Man muss ja zu Interviews, da sollte man halbwegs gut aussehen. Und es gibt ja auch Sonnenbrillen...

Halmich: Alles richtig, aber vor dem Kampf bist du weder Mann noch Frau, da hast du irgendwie kein Geschlecht, da boxt du einfach. Ab dem Moment, in dem du in die Kabine gehst, bist du wieder total Frau, machst dir Gedanken: O Gott, wie sehe ich aus! Wenn ich manchmal Bilder von meinen Kämpfen sehe – nicht schön! Die Frisur so streng zurück, du hast danach zwei, drei Tage die Vaseline in den Haaren. Hier eine Macke im Gesicht, da hast du was. Manchmal sah ich echt schlimm aus.

Kentikian: Wenn ich die Bilder sehe, denke ich auch: Mein Gott, wie sehe ich aus!

Halmich: Schönheit und Boxen verbindet sich nie. Wenn jemand fragt: Ist Boxen sexy?, sage ich: Nein, ist es nicht!