Wie das Wembley-Tor die Deutschen bis nach Baku verfolgt
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Baku. Die Hauptwettkampfstätte in Aserbaidschan ist nach dem Linienrichter benannt, der dem DFB 1966 den WM-Titel kostete. Ein Ortsbesuch.
Eine Statue vor dem Stadion, die Tofik Bachramow gewidmet ist? Nein, die gibt es nicht. Und überhaupt: Warum das Stadion der Republik in Aserbaidschans Hauptstadt Baku nach diesem Bachramow benannt ist, wissen sie auch nicht, die stets bemühten, aber bisweilen von den sonderbaren Anfragen der internationalen Medienvertreter überforderten Helfer, die bei den ersten Europaspielen der Sportgeschichte als blau gekleidetes Heer durch die Wettkampfstätten schwirren.
Cavid Mammadov bittet um Verzeihung für die Unwissenheit seiner Mitarbeiter. „Die Jugend des Landes interessiert sich nicht mehr für die alten Helden“, sagt der ebenfalls noch junge Mann, der im Tofik-Bachramow-Stadion für das Pressemanagement zuständig ist. Während der Europaspiele finden in der von deutschen Kriegsgefangenen erbauten, 1951 eröffneten und 2012 generalüberholten Arena die Wettkämpfe im Bogenschießen statt. Der Mixed-Wettbewerb am Mittwochnachmittag interessiert wenige Hundert Zuschauer, die sich auf den 31.000 Menschen fassenden Tribünen zu einem Pulk zusammengesetzt haben, um wenigstens etwas Stimmung zu verbreiten.
Deutschlands Medaillengewinner von Baku
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Bachramow und das Wembley-Tor
Der Star ist ja auch das Stadion, genauer: der Mann, nach dem es benannt ist. Tofik Bachramow, geboren am 29. Januar 1925, hat Sportgeschichte geschrieben, weil er Deutschland den zweiten WM-Titel kostete. Er war der „russische Linienrichter“, der im Finale der Fußball-WM 1966 im Londoner Wembleystadion den Schuss von Geoff Hurst, der von der Unterkante der Latte ins Feld zurücksprang, hinter der Linie gesehen hatte. Bachramow hob die Fahne und nickte, Schiedsrichter Gottfried Dienst aus der Schweiz entschied auf Tor, England führte 3:2 und holte schließlich den WM-Titel, der bis heute der einzige für das Mutterland des Fußballs bleiben sollte.
Warum ein Linienrichter, der im selben Turnier als Referee der Schweiz im Gruppenspiel gegen Spanien ein reguläres Tor aberkannte und so für das Aus der Eidgenossen sorgte, in seiner Heimat ein Volksheld werden konnte, versucht Mammadov zu erklären: „Bachramow hat nach seiner Schiedsrichter-Karriere noch viele Jahre als Generalsekretär des aserbaidschanischen Verbands gearbeitet und sich besonders um den Nachwuchs gekümmert. Das hat ihm großen Respekt eingebracht“, sagt er.
Erster Schiedsrichter als Namensgeber
Nach seinem Tod 1993, zwei Jahre nach der Unabhängigkeit Aserbaidschans von der Sowjetunion, wurde dem beliebten Funktionär, der seine aktive Spielerkarriere wegen einer schweren Beinverletzung hatte beenden müssen, als erstem Schiedsrichter der Welt die Ehre zuteil, Namensgeber für ein Stadion zu sein. Die bis dahin unter Wladimir-Lenin-Stadion firmierende Arena ist bis heute Heimstätte der Fußball-Nationalmannschaft Aserbaidschans, die seit Berti Vogts’ Demission im vergangenen Jahr von Kroatiens früherem Topstar Robert Prosinecki trainiert wird.
Die Statue, von der die Helfer nichts wissen, steht natürlich noch immer vor dem Administrationsgebäude hinter dem Stadion. Dort, wo sie 2006, als die englische Nationalmannschaft in der WM-Qualifikation in Aserbaidschan antreten musste, von Geoff Hurst und dem deutschen WM-Torhüter von 1966, Hans Tilkowski, enthüllt worden war. Damals hatten sich Horden englischer Fans, gekleidet in rote Trikots mit Bachramows Namen und der 66 auf dem Rücken, vor ihr fotografieren lassen. An diesem Mittwoch beachtet niemand das überlebensgroße Standbild des Mannes, ohne den der Sport um einen seiner kuriosesten Momente ärmer wäre.
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