Eine Hamburger Delegation um Staatsrat Christoph Holstein und Nikolas Hill besucht die Europaspiele im autokratischen Aserbaidschan.
Knapp drei Monate sind vergangen, seit Hamburg am 21. März in der Frankfurter Paulskirche von der Vollversammlung des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) zur nationalen Bewerberstadt für die Sommerspiele 2024 oder 2028 bestimmt wurde. Seitdem wird vor allem hinter den Kulissen an der Umsetzung der nächsten Schritte gearbeitet: dem Referendum am 29. November und dem im Januar 2016 beim Internationalen Olympischen Komitee (IOC) einzureichenden Mini-Bid-Book, ein rund 80-seitiges erstes Bewerbungsdokument.
Bei den ersten Europaspielen der Sportgeschichte, die seit vergangenem Freitag und noch bis zum 28. Juni in Aserbaidschans Hauptstadt Baku statt-finden, hat die DOSB-Delegation erst-mals bei einem internationalen Großereignis Gelegenheit, auf Hamburgs Bewerbung aufmerksam zu machen. Das Abendblatt durfte die Abordnung der Hansestadt, bestehend aus Sportstaatsrat Christoph Holstein, 51, und Nikolas Hill, 43, designierter Chef der am Donnerstag zu gründenden Olympiabewerbungs GmbH, vier Tage lang bei ihrer Arbeit begleiten. Das Protokoll:
Donnerstag, 11. Juni
21.15 Uhr: Hill und Holstein landen, mit Lufthansa aus Frankfurt am Main kommend, auf dem Heydar Alijew Airport in Baku. Nach dem Transfer ins Hotel Atropat sitzt man noch auf der Terrasse bei mehr als 20 Grad beisammen. In der Stadt findet zeitgleich ein Kulturfestival statt, zahlreiche Hotelgäste sind damit befasst. Auch darüber lohnt ein Austausch, Hill war fünf Jahre lang Kulturstaatsrat.
Freitag, 12. Juni
9 Uhr: Im Hotel Fairmont
Flame Towers, in dem die DOSB-Delegation mit den Vizepräsidenten Stephan Abel (Finanzen) und Ole Bischof (Leistungssport) sowie den Vorständen Michael Vesper (Vorsitzender) und Bernhard Schwank (Internationales) untergebracht ist, werden die Termine für die kommenden Tage besprochen. Holsteins Vorgabe: „Wir wollen in der kurzen Zeit so viel wie möglich abdecken und uns alle Wettkampfstätten anschauen.“
12 Uhr: Erster Halt ist der European Games Park. Das Wasserballspiel der deutschen Frauen gegen Ungarn mit der Hamburgerin Lynn Krukenberg steht an. Deren Eltern sitzen mit Hamburg-Fahne auf der Tribüne, Holstein kommt mit ihnen ins Gespräch. Sein erster Eindruck: „Die Wettkampfstätten scheinen sehr gut in Schuss, und die vielen freiwilligen Helfer sind sehr engagiert und enorm zugewandt.“
15 Uhr: Rückfahrt ins Hotel. Die Funktionäre dürfen in Baku eine Flotte von 300 aus London importierten Taxis kostenfrei als Shuttle-Service nutzen. Eine Idee, die Hill sehr gefällt: „Unser Ziel müsste sein, 2024 nur Elektroautos anzubieten“, sagt er. Im Hotel „Flame Towers“ treffen Holstein und er auf Vermittlung der DOSB-Delegation, die über ein enormes Netzwerk verfügt, den britischen 1500-Meter-Olympiasieger Sebastian Coe, der das Bewerbungskomitee für die London-Spiele 2012 leitete. Sein Kommentar: „Ihr seid auf dem Weg, aber es ist ein Ultra-Marathon, der vor euch liegt.“
19 Uhr: Hill und Holstein treffen zur Eröffnungsfeier im Olympiastadion von Baku ein, sitzen dort im Gästebereich für die Nationalen Olympischen Komitees. Der interessanteste Gesprächspartner ist Monsignore Melchior Sanchez de Toca y Almeda, Sportbeauftragter des Vatikans. Er wünscht Hamburg viel Glück für die Bewerbung. Die Show, die um 20.15 Uhr startet und bis 23 Uhr dauert, begeistert Holstein. „Das war eine große Nummer, besonders die Folklore-Einlagen haben mir gut gefallen.“ Natürlich kreisen die Gedanken schon darum, wie so eine Eröffnung in Hamburg aussehen könnte.
23.30 Uhr: Im Hotel „Flame Towers“, dem inoffiziellen IOC-Familienhotel, stehen Gespräche mit IOC-Mitgliedern an, deren Namen aus Gründen der Dis-kretion nicht genannt werden sollen. Hill und Holstein haben einen Grund-satz: Keine offensive Werbung für Hamburg, nur Antworten auf explizite Fragen. „Wir sind mit unserem Understatement bislang gut gefahren und wollen das beibehalten. Wir wollen hier vor allem zuhören und zuschauen“, sagt Holstein. Das „Feuer und Flamme“-Logo, das beide am Revers ihrer Anzüge tragen, hilft allerdings bei der Kontaktaufnahme.
Sonnabend, 13. Juni
7.15 Uhr: Nach nicht einmal fünf Stunden Bettruhe steht Christoph Holstein auf, er braucht morgens Ruhe für das Frühstück und das Checken der E-Mails.
10 Uhr: In Begleitung von Schwank, Abel und der für den reibungslosen Ablauf der Termine verantwortlichen Jana Bernhard besuchen Holstein und Hill das Ringen, Aserbaidschans Nationalsport, in der Heydar-Alijew-Arena. Die Stimmung, die schon bei den Vorkämpfen herrscht, gefällt ihnen.
11.30 Uhr: Auch solche Termine gibt es: Beim Tischtennis in der Baku Sports Hall ist so wenig los, dass der Tross mangels interessanter Gesprächspartner nach wenigen Minuten bereits wieder aufbricht.
12.30 Uhr: Die unverhofft freie Zeit nutzt man zum Mittagessen in der Alt-stadt von Baku, zu dem auch Folker Hellmund, der Leiter des Brüsseler Büros des Europäischen Olympischen Komitees (EOC), dazustößt. Ex-Hockeypräsident Abel als rheinische Frohnatur übernimmt die Rolle des Allein-unterhalters, ordert mehrere Platten lokaler Spezialitäten. Holstein guckt oft auf sein Handy. Er wirkt auf dem Sprung, würde lieber neue Eindrücke sammeln, anstatt gemütlich zu essen. Man beginnt zu ahnen, wie er seine sportliche Figur hält.
15 Uhr: Die nächste Besprechung im Hotel. Holstein: „Auch wenn ich lieber arbeite, als in Meetings zu sitzen, ist es wichtig, immer wieder abzugleichen, ob es neue Entwicklungen gibt oder wo wir neue Eindrücke sammeln können.“
17.30 Uhr: Heidrun Tempel, die deut-sche Botschafterin in Aserbaidschan, hat zum Empfang in ihre Residenz oberhalb der Altstadt geladen. Die Gästeschar ist illuster, IOC-Präsident Thomas Bach ist da, auch EOC-Chef Patrick Hickey, dazu eine Reihe weiterer Funktionäre aus IOC, EOC und DOSB. Holstein und Hill knüpfen „viele interessante Kontakte“, ehe sie sich nach zwei Stunden trennen. Holstein fährt noch zu einem Empfang in der französischen Botschaft.
23 Uhr: Der Abend klingt erneut mit einem Treffen im Hotel aus.
Sonntag, 14. Juni
10 Uhr: Hill und Holstein besuchen das Athletendorf, ein gigantisches Hochhaus-ensemble im Norden der Stadt. Sie treffen sich absichtlich nicht mit Athleten, damit diese ihre Ruhe haben, sondern mit Betreuern und Funktionären. Die führen sie durch die gesamte Anlage. „Da konnte man viel Hilfreiches und Interessantes mitnehmen“, sagt Holstein.
12.30 Uhr: In der Baku Sports Hall steht das Mannschafts-Viertelfinale der deutschen Tischtennis-Herren gegen Schweden an. Hill als ehemaliger Pingpongspieler hat daran viel Vergnügen, Holstein stößt sich ein wenig an der mauen Stimmung in der spärlich besetzten Halle. Die Begeisterung der Azeri (Bürger Aserbaidschans, d. Red.) scheint sich auf Kampfsport zu beschränken. „Aber wahrscheinlich wäre es in Hamburg beim Taekwondo auch ziemlich leer“, sagt Holstein.
14 Uhr: Die Delegation fährt ins Hotel, um sich umzuziehen. Bei 33 Grad in der Sonne kommt man durchaus ins Schwitzen, auch wenn man kein Athlet ist. Eine Stunde später treffen sich die beiden wieder mit dem DOSB-Team. „Diese Meetings sind unheimlich wich-tig, weil dort alles sehr genau analysiert wird. Wir besprechen, welche Erkenntnisse jeder gewonnen, wer mit wem geredet hat, welche Schlüsse daraus zu ziehen und welche Kontakte noch zu knüpfen sind“, sagt Holstein.
18 Uhr: Der Medienpartner des DOSB, Schmidt Media, eröffnet im Hotel „Boulevard“ seinen Medienclub. Holstein möchte gern dabei sein, obwohl die Zeit drängt. „Da sind viele Leute, die für uns in der Zukunft wichtig sein werden“, sagt er.
19 Uhr: Während Holstein bei Schmidt Media netzwerkt, nimmt Hill eine Ein-ladung des Nationalen Olympischen Komitees von Italien wahr, das zu einem gesetzten Essen gebeten hat. „Rom ist ein Mitbewerber, da gebietet es der Respekt, dass man dort vorbeischaut“, sagt er. Seine Leidenschaft für Italiens Hauptstadt behält er für sich.
21 Uhr: Hill und Holstein sitzen auf der Tribüne der Crystal Hall nebeneinander, um die deutschen Volleyballmänner gegen Russland zu unterstützen. Holstein, der an der Uni selbst ans Netz ging, feiert jeden deutschen Punkt mit geballten Fäusten. Sport soll mitreißen und unterhalten – auch einem Sportstaatsrat ist Begeisterung für sein Metier gestattet.
23.30 Uhr: Holstein nutzt das Sommerwetter, um an der Promenade am Kaspischen Meer, mit einer Fläche von 386.400 Quadratkilometern der größte See der Welt, zum Hotel zurückzuspazieren. Um 1.30 Uhr geht er zu Bett.
Montag, 15. Juni
6.30 Uhr: Holstein steht auf, um an der Promenade zu joggen. Er ist ein Morgensportler und versucht auf jeder Reise laufen zu gehen. „Eine Stadt, die erwacht, bietet ganz besondere Eindrücke“, sagt er.
9 Uhr: Nach einer Abschlussbesprechung mit der DOSB-Delegation, die am Montagmorgen aus Baku abreist, zieht Holstein ein Fazit der vier Tage in Aserbaidschan. „Wir haben unheimlich viel gelernt. Wir haben viele interessante Menschen getroffen, Abläufe kennengelernt, vor allem aber einen Eindruck davon gewonnen, wie die olympische Familie funktioniert. Besonders im Athletendorf haben wir gesehen, wie das Zusammentreffen der Jugend der Welt zum Leben erwacht. Diesen Geist müssen wir nach Hamburg transportieren“, sagt er. Baku habe sich als sehr guter Gastgeber dargestellt. „Die Menschen sind unheimlich freundlich, alles war sehr gut organisiert. Vor allem die vielen Freiwilligen haben mir imponiert. Sie prägen das Bild solcher Spiele, daraus müssen wir lernen.“ Holstein rechnet damit, dass Baku zeitnah seine dritte Olympiabewerbung bekanntgeben wird, nachdem es für 2016 und 2020 nicht für die Endausscheidung zugelassen wurde.
10 Uhr: Kurzer Abstecher zum Turnen, wo die deutschen Männer im Teamwettbewerb um Medaillen kämpfen.
12 Uhr: Besuch des Tofiq-Bahramov-Stadions, benannt nach dem Linienrichter, der 1966 im Finale der Fußball-WM Englands Wembley-Tor anerkannte – ein Tiefpunkt deutscher Sport-geschichte, und deshalb ein Ort, den Hamburger Olympia-Handlungsreisende nicht verpassen wollen. Dort finden die Wettbewerbe im Bogenschießen statt.
15 Uhr: Hill und Holstein checken aus ihrem Hotel aus und lassen sich zum Flughafen bringen. Mit Austrian Airlines geht es um 17 Uhr Ortszeit (drei Stunden vor Hamburg) nach Wien, von dort mit Lufthansa nach Hamburg, geplante Ankunft 22 Uhr. Am Dienstag geht die Arbeit für das Erreichen des großen Ziels weiter. Nicht mehr in Baku; aber auch in Hamburg ist reichlich zu tun.