Der 35 Jahre alte Schweriner setzte den Italo-Waliser Enzo Maccarinelli außer Gefecht und verpasste dem Kontrahenten bereits in der ersten Runde einen gezielten Schlag aufs Auge, von dem sich der 33-Jährige nicht erholen sollte.
Rostock. Einen kleinen Sehschlitz hatte der Eisbeutel, den Enzo Maccarinelli permanent auf seine rechte Gesichtshälfte presste, bereits freigekühlt, dennoch sah sein Auge wie eine geplatzte Pflaume aus, abzüglich der entsprechenden blau-violetten Färbung natürlich, die sich erst in den Folgetagen einstellen dürfte. Die Schwellung unterhalb des Sehorgans verriet, dass wohl auch das Jochbein in Mitleidenschaft gezogen worden war, doch auch wenn die Spuren des vorangegangenen Kampfes sein Antlitz zu einem Schlachtfeld hatten werden lassen, ließ es sich der Italo-Waliser nicht nehmen, unter Schmerzen seinem Peiniger zu gratulieren. „Jürgen ist ein großer Champion, vor dem ich den Hut ziehe. Ich würde den Kampf gern noch einmal wiederholen, aber ich gratuliere ihm heute zu seinem Sieg“, sagte der 33-Jährige, ehe er sich zu weiteren Behandlungen in ein Rostocker Krankenhaus bringen ließ.
Der Mann, dem die warmen Worte galten, freute sich sichtlich darüber. Es kommt wohl nur in körperbetonten Sportarten wie dem Boxen vor, dass sich ein Schwerverletzter für die unsanfte Art der Gesichtsmassage nicht nur bedankt, sondern eine Wiederholung anregt, aber wer in der Nacht zum 6. April in der Rostocker Stadthalle das WM-Duell im Halbschwergewicht zwischen WBA-Weltmeister Jürgen Brähmer und Maccarinelli gesehen hatte, der konnte das Fazit des Unterlegenen nachvollziehen. Natürlich war es sehr unglücklich für den ehemaligen Cruisergewichtschampion, dass seine vermeintlich letzte Chance zur Rückkehr auf den WM-Thron durch eine Verletzung zunichte gemacht wurde, die er in der ersten Runde erlitten hatte. Aber die Präzision, mit der Brähmer seine linke Schlaghand in einer Mischung aus Haken und Cross auf Maccarinellis rechtes Auge platziert hatte, war eines wahren Meisters seines Fachs würdig gewesen, und so war der Herausforderer Sportsmann genug, das anzuerkennen.
Dass es anschließend überhaupt bis zur Pause nach der fünften Runde dauerte, bevor sich Maccarinelli und sein Team zur Aufgabe entschlossen, ist einzig dem Kämpferherz des Briten anzurechnen. Ringarzt Walter Wagner aus Bayreuth hatte die Schwellung mehrfach auf Ersuchen von Ringrichter Giuseppe Quartarone (Italien) in Augenschein genommen, den Kampf aber stets wieder freigegeben. „Der Boxer hat mir versichert, dass er koordiniert schlagen und alle Schläge des Gegners kommen sehen konnte. Da wollte ich ihm die WM-Chance nicht nehmen“, erklärte Wagner, der im März 2013 das zweite WM-Duell zwischen Robert Stieglitz und Arthur Abraham wegen einer sehr ähnlichen Blessur an Abrahams Auge abgebrochen hatte. „Der Unterschied war, dass Arthur damals nicht weitermachen wollte“, erklärte Wagner.
Abraham, in Rostock als Zuschauer am Ring, bestritt das zwar vehement, Maccarinellis Einstellung konnte die ganze Diskussion jedoch keinen Abbruch tun. Der zähe Brite gab auf der Pressekonferenz offen zu, dass er Wagner im Ring belogen hatte. „Ich sagte, ich könne alles sehen, aber in Wirklichkeit sah ich gar nichts mehr“, sagte er. Dass er der Einäugige unter den Guten war, konnte im Verlauf der vier weiteren Runden auch deshalb kaum auffallen, weil Brähmer, der in Runde eins nach einem unabsichtlichen Kopfstoß ebenfalls einen Cut an der rechten Augenbraue erlitten hatte, sich nach dem furiosen Beginn zu sehr darauf versteifte, das lädierte Auge anzuvisieren. Dadurch vergaß der 35 Jahre alte Schweriner, die ihm gestellte Aufgabe boxerisch zu lösen, er verließ sich zu sehr auf Einzelschläge und wurde im Zuge der entstehenden Keilerei mehrfach selbst hart erwischt.
Dennoch zeigte er sich mit der ersten Verteidigung seines WBA-Titels durchaus zufrieden. „Enzo war der erwartet harte Gegner, er hatte sich gut darauf eingestellt, dass ich ihn über die linke Außenbahn erwischen wollte. Ich bin deshalb sehr glücklich über den Sieg“, sagte er. Manager Peter Hanraths war eher erleichtert, auch ihm hatte die Variabilität gefehlt, die sein Schützling eigentlich beherrscht. Trainer Karsten Röwer lobte die Selbstständigkeit, mit der sein Altmeister die Taktik modifiziert hatte. „Als Jürgen merkte, dass er über die linke Außenbahn nicht durchkam, hat er sich mit Aufwärtshaken beholfen. Das war richtig und gut. Er wird von Kampf zu Kampf besser, wir können noch einiges von ihm erwarten“, sagte er.
Was genau das sein wird, wollte Promoter Kalle Sauerland, Mitinhaber des Berliner Sauerland-Teams, für das Brähmer seit gut einem Jahr kämpft, noch nicht konkretisieren. Eine freiwillige Titelverteidigung nach der Sommerpause in Deutschland scheint die erste Option zu sein, das höchste Ziel jedoch ist anders definiert. „Wir werden alles tun, um Bernard Hopkins nach Deutschland zu holen. Das ist eine riesige Herausforderung. Er ist der Mann, den es im Halbschwergewicht zu schlagen gilt, aber ich bin überzeugt, dass, wenn man das Gesamtpaket aus Schlagkraft, Technik und Erfahrung anschaut, Jürgen der beste Halbschwergewichtler der Welt ist“, sagte er.
Ein Promoter muss solche Dinge sagen, Fakt ist aber, dass auch Brähmer schon seit geraumer Zeit von einem Duell mit dem US-Superstar träumt. Allerdings tritt der 49-Jährige, der den Titel der IBF hält, am Ostersonnabend zunächst in Washington gegen den kasachischen WBA-Superchampion Beibut Shumenov an. „Wir warten erst einmal diesen Kampf ab“, sagte Kalle Sauerland, der jedoch eine Einigung mit Hopkins für wahrscheinlicher hält als einen Abschluss mit einem der beiden anderen Weltmeister Adonis Stevenson (WBC) und Sergej Kovalev (WBO), die derzeit in den USA zu Superstars aufgebaut werden sollen.
Und wenn alle Optionen fehlgehen, dann ist da ja noch Enzo Maccarinelli, der sich über einen Rückkampf freuen würde. Die 4500 Fans, die in Rostock live beim ersten Duell dabei waren, würden bestimmt gern wieder zuschauen, wenn ihr Liebling ein Auge zudrückt.