Box-Weltmeister Wladimir Klitschko ist seit zehn Jahren unbesiegt. Am 10. April 2004 unterlag er gegen Lamon Brewster. Warum das ein Wendepunkt in seiner Karriere war, verrät Klitschko im Interview.

Hamburg. Zehn Jahre lang unbesiegt – für Wladimir Klitschko ist dieses Jubiläum nicht mehr als eine kleine Fußnote in seiner Karriere. Warum das so ist, und warum er Lamon Brewster, seinem bislang letzten Bezwinger, bis heute dankbar ist, verrät der 38 Jahre alte Dreifachweltmeister im Schwergewicht im Interview.

Hamburger Abendblatt: Herr Klitschko, manche Sportlerkarrieren dauern nicht einmal zehn Jahre, Sie sind seit zehn Jahren unbesiegt. Was bedeutet Ihnen das?

Wladimir Klitschko: Sie mögen das vielleicht komisch finden, aber es bedeutet mir eigentlich gar nichts. Natürlich hätte ich nicht gedacht, dass ich im Boxen zehn Jahre lang unbesiegt bleiben kann. Aber seit meinem 14. Lebensjahr bin ich in diesem Hamsterrad. Ich bereite mich auf einen Kampf vor, versuche alles, um zu gewinnen, und danach geht alles von vorn los. Wichtig ist immer nur der nächste Kampf, und ich bin mit meiner Mission noch nicht fertig. Ich will noch ein paar Jahre unbesiegt bleiben. Aber als ich Ihre Interview-Anfrage erhielt, habe ich schon angefangen zu überlegen, was in diesen zehn Jahren alles passiert ist. Und ich habe gespürt, dass mir das alles noch so nah ist, als wäre es gestern gewesen.

Am 10. April 2004 haben Sie in Las Vegas im Kampf um den vakanten WBO-Titel gegen Lamon Brewster verloren. Wie präsent ist Ihnen diese Niederlage?

Klitschko: Da ist immer noch dieser negative Beigeschmack, auch noch nach zehn Jahren. Ich habe nach dieser Niederlage sehr viel Kritik einstecken müssen, das habe ich nicht vergessen. Im Gegenteil: Noch heute ist es Teil meiner Motivation, es diesen Kritikern heimzuzahlen. Deshalb bin ich Lamon Brewster unendlich dankbar für diese Erfahrung. Diese Niederlage hat meinen Charakter geschliffen. Wer weiß, ob ich heute dort wäre, wo ich bin, wenn das nicht passiert wäre. Wenn ich heute die Chance hätte, mein Leben zurückzuspulen und diese Niederlage auszuradieren, ich würde es nicht tun. Sie war ein, wenn nicht sogar der Wendepunkt in meiner Karriere.

Erinnern Sie sich an die Umstände des Kampfes? Es sollte nach dem Titelverlust an Corrie Sanders im März 2003 Ihre Rückkehr an die Spitze werden.

Klitschko: Ja, es war der erste Kampf nach der Trennung von meinem ersten Profitrainer Fritz Sdunek. Ich hatte mich für eine Zusammenarbeit mit Emanuel Steward entschieden, und an dem Abend sollten beide als Duo in meiner Ecke stehen. Das Interesse in den USA war sehr groß, weil zwei Wochen später mein Bruder Vitali in Los Angeles gegen Sanders um den WBC-Titel kämpfen sollte. Zwei Brüder, die gemeinsam Schwergewichtsweltmeister werden wollten, das hat die Amerikaner interessiert, wir waren ein Thema in den Medien, es gab einen richtigen Hype. Die Vorbereitung war perfekt, ich habe mich sehr gut gefühlt.

Und dann folgte ein Kampf, der bis heute Rätsel aufgibt. Sie waren in den ersten drei Runden klar überlegen, hatten Brewster am Boden, und dann brachen Sie völlig ein, bis Sie nach der fünften Runde nur noch in Ihre Ecke krabbeln konnten. Der Kampf wurde dann abgebrochen. Haben Sie irgendwann eine Erklärung für Ihren Schwächeanfall gefunden?

Klitschko: Nein, auch mir ist das bis heute ein Rätsel. Fakt ist, dass mir so etwas weder davor noch danach jemals passiert ist. Ich konnte schon nach zwei Runden spüren, dass mich die Kraft verließ. Aber den Grund dafür weiß ich bis heute nicht.

+++Sehen Sie hier den WM-Kampf von 2004 im Video+++


Es gab ja eine Menge Mutmaßungen. Sie seien vergiftet worden, man habe Diabetes festgestellt und Gehirnschäden, Ihr gesamtes Team inklusive Trainer Fritz Sdunek musste beim FBI aussagen. Was denken Sie heute über diese vielen Verschwörungstheorien? Es wurde ja nie etwas gefunden.

Klitschko: Das stimmt, all diese Untersuchungen haben kein Ergebnis gebracht. Aber es gab ja tatsächlich einige komische Dinge: Gleich zwei Urin- und Blutproben, die in unterschiedlichen Instituten nach dem Kampf von mir abgegeben wurden, sind auf mysteriöse Weise verloren gegangen. Es wurden keine Wetten auf den Kampf angenommen, weil plötzlich ungewohnt hohe Wetteinsätze auf Sieg Brewsters platziert wurden, die die Wettbüros stutzig gemacht haben. Leid tat es mir für Brewster, dass ein Schatten auf seinen Sieg fiel. Er hatte alles für den Sieg getan und aus seiner Sicht verdient gewonnen.

Wie war die Stimmung in den Tagen danach? Ihr Bruder sollte ja um die WM kämpfen, aber die Diskussionen um Ihren Kampf überlagerten das.

Klitschko: Es war furchtbar, die Niederlage schmerzte sehr, Emanuel hat sogar geweint. Wir haben den Kampf danach noch oft analysiert, und eigentlich habe ich alles richtig gemacht. Deshalb war es umso rätselhafter, dass ich so eingebrochen bin. Aber, wie schon gesagt, es war der Wendepunkt für mich. Danach habe ich viele Dinge verändert. Ich habe realisiert, dass man jeden Gegner in jeder Sekunde ernst nehmen muss. Ich habe einige Dinge in meinem Team und meinem Umfeld verändert. Zum Glück war ich erst 27 Jahre alt und hatte noch die Chance, alles umzustellen. Das hat mich stark gemacht, seitdem habe ich nicht mehr verloren.

Sie haben immer den Rückkampf gegen Brewster gewollt, leider kam er erst gut drei Jahre später zustande, als Brewster wegen einer schweren Augenverletzung nicht mehr der Alte war. Warum hat das nicht früher geklappt?

Klitschko: Ich hätte es gern früher gemacht, aber Lamon hatte Don King als Promoter. Da war es nicht leicht, eine Chance zu bekommen. Erst als ich wieder Weltmeister war und Lamon die Chance bieten konnte, erneut um den Titel zu kämpfen, hat es geklappt. Aber ich bin froh, dass es überhaupt geklappt hat.

+++Das sagt Lamon Brewster zum Kampf von 2004+++


Sie haben dann klar gewonnen und sind danach sehr freundschaftlich mit Brewster umgegangen. War dieser Sieg ein wichtiger Schlussstrich unter das schwarze Kapitel Ihres Lebens?

Klitschko: Dazu erzähle ich Ihnen eine Geschichte. Eine Woche nach dem ersten Kampf traf ich Lamon Brewster in Marina del Rey, wo Vitali sich auf den Sanders-Kampf vorbereitete. Er aß dort in einem Restaurant mit seinen Managern zu Mittag. Ich bin an seinen Tisch gegangen und habe ihm zu seinem Sieg gratuliert. Sein Manager lachte und sagte: ‚Hey Verlierer, willst du nicht auch noch ein Autogramm?’, und dann drückte er mir eine große Fotokarte mit mir am Boden und Brewster in Siegerpose in die Hand. Erst wollte ich sie zurückgeben, aber dann habe ich die Faust in der Tasche geballt und mir geschworen: Am Tag der Revanche gebe ich sie ihm mit meiner eigenen Unterschrift zurück.

Was Sie dann in Köln drei Jahre später auf der Pressekonferenz getan haben.

Klitschko: Nicht ganz. Ich war nach meiner geglückten Revanche bei Lamon in der Kabine und habe mir die Karte von ihm unterschreiben lassen. Er hat das Spiel mitgespielt. Lamon ist ein wirklich sympathischer, angenehmer Typ, den ich sehr respektiere. Und dem ich, wie schon gesagt, für die Lektion aus 2004 immer dankbar sein werde.