Lamon Brewster ist der bislang letzte Kämpfer, der Wladimir Klitschko besiegen konnte. Am 10. April jährt sich das denkwürdige Duell zum zehnten Mal. Grund genug, um mit Brewster zurück zu blicken.
Hamburg. Vom Boxen hat der Mann, der Wladimir Klitschko die bislang letzte Niederlage zufügte, nicht lassen können. Der US-Amerikaner Lamon Brewster, der von April 2004 bis April 2006 WBO-Weltmeister im Schwergewicht war, hatte seine aktive Karriere vor gut drei Jahren wegen chronischer Probleme an seinem linken Auge beenden müssen.
Als Promoter hilft er mit seiner Firma „4Champs Promotions“ nun jungen Boxern auf ihrem Weg zur Profilaufbahn. Mit den ehemaligen Champions Chris Byrd, der sein Cousin ist, Riddick Bowe, Ray Mercer und James Toney arbeitet er an einer Reality-Fernsehshow mit dem Titel „Perfect Combinations“, die Boxgyms auf der ganzen Welt vorstellen möchte. Und mit denselben Mitstreitern bringt Brewster in den kommenden Wochen eine Zigarrenkollektion mit dem Namen „Champs Series“ auf den Markt.
In Deutschland ist der 40-Jährige, der früher den Kampfnamen „Der Unbarmherzige“ trug, ein guter Bekannter. Im September 2005 lieferte er sich in Hamburg eine Ringschlacht mit Luan Krasniqi, die er durch technischen K.o. in Runde neun gewann. Mit drei Kämpfen unter dem Banner des Berliner Sauerland-Teams ließ er 2010 seine Karriere ausklingen. Vor allem aber war Brewster der letzte Kämpfer, der Wladimir Klitschko besiegen konnte. Am 10. April jährt sich das denkwürdige Duell, das im Mandalay Bay Hotel von Las Vegas stattfand, zum zehnten Mal. Grund genug, um mit Lamon Brewster einen Blick zurück zu wagen.
Hamburger Abendblatt: Mister Brewster, Sie sind der Mann, der Wladimir Klitschko seine letzte Niederlage zugefügt hat. Hätten Sie an jenem 10. April 2004 geglaubt, dass nach Ihnen niemand mehr diesen Schritt würde gehen können?
Lamon Brewster: Es mag Ihnen komisch vorkommen, aber genau das habe ich geglaubt. Ich wusste, wie stark Wladimir damals war, und ich war mir sicher, dass ich der einzige Boxer war, dem es gelingen könnte, ihn zu besiegen. Ich erinnere mich noch gut daran, wie ihn nach unserem Kampf alle abgeschrieben haben. Aber schon damals habe ich gesagt: Wenn dieser Junge zurückkommt, wenn er nach der Niederlage ins Gym geht, noch härter arbeitet und wieder in den Ring steigt, dann gibt es keinen außer mir, der ihn schlägt. Alle, die ihn damals abgeschrieben haben und ihm heute den Hintern küssen, haben keine Ahnung. Ich bin froh, dass er bewiesen hat, was für ein Kämpfer er ist. Ich habe das immer gewusst.
Erinnern wir uns an das Jahr 2004. Auf der Pressekonferenz vor dem Kampf hatten Sie angekündigt, dass Sie bis zum Tod kämpfen würden, um sich den damals vakanten WBO-Titel zu holen, danach sind Sie in Tränen ausgebrochen. Woher kamen diese Emotionen, woher diese grimmige Entschlossenheit?
Brewster: Sehen Sie, seit ich sieben Jahre alt war, hatte ich diesen Traum, Weltmeister im Schwergewicht zu sein. Als sich die Chance näherte, dass ich es tatsächlich werden konnte, hat man mich immer wieder vertröstet. Ich hätte eigentlich gegen Corrie Sanders kämpfen sollen, den Südafrikaner, der leider 2012 erschossen wurde. Er hatte Wladimir im März 2003 besiegt und sollte den Titel gegen mich verteidigen. Aber das wollte er nicht, also legte er ihn nach einigen Monaten nieder. Ich musste warten, immer wieder zurück ins Gym, weiter hart trainieren. Als dann tatsächlich klar war, dass ich um den vakanten Titel gegen Klitschko boxen sollte, starb mein Trainer Bill Slayton, dem ich unheimlich viel zu verdanken hatte. All das ging mir durch den Kopf, als ich auf diesem Podium stand. Ich hatte so viel durchgemacht, um diese Chance zu bekommen. Und jetzt war sie da. Diese Emotionen haben mich übermannt, dann flossen die Tränen. Aber ich wollte Klitschko klar machen: Egal wer du bist, egal was du erreicht hast, ich werde kämpfen, bis ich dich ausgeknockt habe! Ich hätte auch gegen King Kong oder Godzilla gekämpft.
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War diese Entschlossenheit der Schlüssel zum Sieg? Sie haben trotz der Gefahr, sich Klitschkos harten Jab zu fangen, dauerhaft attackiert, was sich viele Gegner nicht getraut haben.
Brewster: Boxen ist eine Wissenschaft, und ich hatte meine Strategie. Ich wusste aus seinen vorangegangenen Kämpfen, dass Wladimir relativ schnell müde wurde. Viele sind ja der Meinung, dass sein Kinn seine Schwachstelle ist, dass er keine Schläge vertragen kann, aber das stimmt nicht, das hat er mehrfach bewiesen. Sein Problem war die Ausdauer. Deshalb war meine Strategie, ihn immer wieder am Körper zu treffen, um ihm die Energie zu nehmen. Ich musste ihn beschäftigen, auch auf die Gefahr hin, von ihm getroffen zu werden. Und ich denke, das hat letztlich auch perfekt funktioniert.
Tatsächlich ist die Wendung des Kampfes bis heute eins der größten Mysterien in Klitschkos Laufbahn. Bis zur vierten Runde lag er klar in Führung, hatte Sie mehrfach hart erwischt, und dann brach er völlig ein. Die Bilder, wie er in Runde fünf orientierungslos durch den Ring krabbelt und danach in der Ecke völlig weggetreten auf seinem Stuhl sitzt, sind unvergessen. Es gab danach viele Verschwörungstheorien, von mentalen und gesundheitlichen Problemen bis hin zu einer Vergiftung. Was glauben Sie, was der Grund für den Einbruch war?
Brewster: Ich bin überzeugt, dass er einfach zu viel Gas gegeben hat und dann keine Kraft mehr hatte, weil ihm die vielen Körpertreffer und mein Wille die Energie geraubt hatten. Wir hatten uns vor dem Kampf in die Augen geschaut, und da hat er die Bestie in mir gesehen. Ich habe das Feuer in seinen Augen gesehen und wusste, dass es in mir stärker brennt. Und das ist es, worauf es am Ende ankommt, wenn zwei gleich starke Boxer im Ring stehen: das Kämpferherz.
Aber hat es Sie nicht geärgert, dass viele das nicht so gesehen haben? Dass viele dachten, es habe tatsächlich äußere Einflussnahme gegeben? Immerhin hat sogar das FBI ermittelt, Klitschkos gesamtes Team musste zum Lügendetektortest.
Brewster: Und nichts kam dabei heraus. Ich fand das Ganze ziemlich lächerlich. Wenn es eine Vergiftung gegeben hätte, hätte man bei den vielen Untersuchungen im Krankenhaus etwas finden müssen. Und warum konnte er in den Runden eins bis drei Vollgas geben? Dass er weder mentale noch physische Probleme hatte, wird wohl mittlerweile jeder einsehen. Nein, es war ganz einfach so, dass er an diesem Abend einem Besseren unterlegen war. Natürlich hat es mich geärgert, dass man versucht hat, mir meinen Triumph madig zu machen. Das war schon verletzend und respektlos. Aber andererseits habe ich es nicht allzu ernst genommen, denn ich wusste ja, warum ich den Kampf gewonnen hatte.
Konnten Sie also diesen Triumph ehrlich genießen?
Brewster: Nein, aber das hatte einen anderen Grund. Ich war wie unter Schock in den Tagen danach. Ich bin jeden Morgen mit offenem Mund aufgewacht und habe mich gefragt, ob das alles wahr sein kann. Wissen Sie, ich hatte so viele Jahre jede Nacht zu Gott gebetet, dass er mir die Chance gibt, Weltmeister zu werden. Ich habe wirklich viel von ihm verlangt. Und als es dann tatsächlich passiert war, da war ich tagelang wie gelähmt.
+++Das sagt Wladimir Klitschko zum Kampf von 2004+++
Sie haben den Titel dann dreimal erfolgreich verteidigt, unter anderem gegen Luan Krasniqi in Hamburg...
Brewster: ...das war die beste Erfahrung meines Lebens, die Deutschen waren so gut zu mir, und Hamburg ist seitdem meine Lieblingsstadt. Leider war ich seit mehr als drei Jahren nicht mehr dort...
...und dann verloren Sie den Titel im April 2006 gegen Sergej Liachowitsch. Erst im Juli 2007 kam es dann zum Rematch mit Wladimir Klitschko, das dieser unbedingt haben wollte. Warum ist das nicht früher passiert, als Sie noch Champion waren?
Brewster: Ja, das lag sicherlich nicht an mir. Während der Zeit, in der ich Weltmeister war, hat Wladimir meinen Namen nicht einmal erwähnt. Der Kampf mit Liachowitsch hat alles verändert. Ich hatte in der ersten Runde eine Netzhautablösung erlitten, konnte auf dem linken Auge nichts mehr sehen. Jede Berührung fühlte sich so an, als ob jemand mit einem Eispickel in mein Auge sticht. Aber ich habe mir gesagt: Du verteidigst diesen Titel, bis es nicht mehr geht. Ich habe dann nach Punkten verloren. Neun Monate lag ich danach im Krankenhaus. Am Tag, als ich rauskam, erhielt ich einen Anruf von Klitschkos Leuten, ob ich für das Rematch bereit wäre. Ich sagte: Natürlich, aber ich habe neun Monate kein einziges Training absolviert, ich brauche einen Aufbaukampf. Man hat mir dann mehr Geld geboten, wenn ich ohne Aufbaukampf antrete. Ich habe zugesagt, denn ich wollte die Chance nicht verpassen. Aber ich wusste beim besten Willen nicht, wie ich diesen Kampf gewinnen sollte. Es war nicht fair, es war praktisch konstruiert.
So sah das dann im Ring ja auch aus. Sie waren chancenlos und mussten nach der sechsten Runde aufgeben.
Brewster: Ich weiß, dass für Wladimir diese Revanche wichtig war, um sich zu rehabilitieren. Aber ich finde, dass er nicht wirklich Revanche genommen hat. Dafür hätte er Fuß an Fuß mit mir kämpfen müssen. Aber er hat immer nur seinen Jab gebracht, den zugegebenermaßen sehr gut, und ist dann weggerannt. Er hat mich vielleicht besiegt, aber nicht geschlagen. Er hat mir nicht weh getan. In der fünften Runde machte mein Auge wieder Probleme. Deshalb habe ich aufgegeben. Es war seine einzige Chance, mich zu schlagen: In einem Kampf, in dem ich nicht in Form war. Wir wissen das beide, deshalb respektiert er mich auch so sehr.
Wie hoch schätzen Sie Ihren Anteil daran, dass Klitschko zu dem wurde, der er heute ist? Immerhin hat er seitdem eine ganz andere Einstellung zum Training und zu seinem Beruf.
Brewster: Ich denke schon, dass mein Sieg daran einen großen Anteil hat. Es war eine wichtige Erfahrung für ihn, und wer sich aus so einem tiefen Tal herauskämpft, der hat großen Respekt verdient. Ich schaue noch heute Wladimirs Kämpfe, und ich bin ein großer Fan von ihm, er macht das, was er kann, perfekt. Überhaupt bin ich ein großer Fan der beiden Brüder, weil sie für das Image des Boxsports unheimlich viel getan haben. Wir halten über Facebook Kontakt. Ich verfolge, was Vitali in der Ukraine tut, ich bete jeden Tag auch für ihn, dass er gesund bleibt, und für Wladimir, dass er als unbesiegter Champion abtritt und danach dem Sport erhalten bleibt, denn Männer wie ihn braucht das Boxen.
Sehen Sie denn irgendjemanden, der Wladimir noch einmal besiegen könnte?
Brewster: Das einzige, was ihn stoppen kann, ist sein Alter. Er ist einfach zu erfahren, zu stark und zu fit, als dass ihm irgendjemand der aktuellen Gegner gefährlich werden könnte. Keiner von denen ist erfahren genug, um es mit dem Meister der Ringe aufnehmen zu können.
Was wäre denn ein Erfolgsrezept?
Brewster: Wenn es jemanden gäbe, der so groß, so stark und so fit wie Wladimir ist, und wenn der dann den Mut hätte, den ich hatte, dann könnte es eng werden für Wladimir. Aber diesen Boxer gibt es nicht.
Der Australier Alex Leapai, gegen den Klitschko seine drei WM-Titel am 26. April in Oberhausen verteidigt, ist es also auch nicht?
Brewster: Leapai hat ja auf der Pressekonferenz gesagt, er sei der Gegner, der härter schlägt als alle anderen vor ihm. Da kann ich nur sagen: Hey Bruder, du hast Lamon Brewster vergessen! Ich glaube, dass Leapai keine Chance haben wird.
Bleibt nur noch eine Frage: Wenn Lamon Brewster in Topform auf den Wladimir Klitschko von heute träfe, wer würde den Kampf gewinnen?
Brewster: Ich, denn mein Herz ist noch immer größer als seins. Ich bin weiterhin davon überzeugt, dass ich der einzige Boxer bin, der Wladimir schlagen könnte. Aber meine Zeit ist vorbei, und ich bin dankbar, dass er 2004 mutig genug war, gegen mich in Bestform anzutreten. Da hat er bewiesen, dass er ein wahrer Champion ist. Deshalb gönne ich ihm alles, was er danach erreicht hat und was er geworden ist, von Herzen.