Vitali Klitschko tritt in Breslau gegen den Polen Tomasz Adamek an. Tenor: Ein größeres Sportevent hat es im Land niemals gegeben.

Breslau. Michael Brill ist ein schlanker, mittelgroßer Mann mit kahlem Kopf und freundlichem Lächeln, der im Alltag kaum Blicke auf sich zieht. An diesem Sonnabend jedoch werden Sportfans in mehr als 100 Ländern der Welt, vor allem die in Polen, der Ukraine und Deutschland, auf das schauen, was Brill und sein Team geleistet haben in den vergangenen Monaten. Mit der Schwergewichts-Boxweltmeisterschaft zwischen Polens Hoffnung Tomasz Adamek und WBC-Champion Vitali Klitschko wird das neue Städtische Stadion in Breslau eingeweiht, und weil es die erste Schwergewichts-WM ist, die im sportverrückten Polen stattfindet, überschlagen sich die Medien mit Superlativen. Tenor: Ein größeres Sportevent hat es im Land niemals gegeben.

Brill weiß deshalb genau einzuschätzen, wie wichtig die Arbeit der vergangenen Monate war. Er ist Geschäftsführer von SMG Polska und in dieser Eigenschaft seit knapp zwei Jahren in Breslau ansässig. SMG ist der weltgrößte Betreiber von Stadien, Arenen und Theatern, und als sich im Januar 2010 die Möglichkeit ergab, in der 630 000-Einwohner-Stadt in Südwestpolen eine Arena zu übernehmen, die als Spielort für die Fußball-EM 2012 vorgesehen war, griff Brill zu. Er ist begeistert von der Vitalität und Aufbruchstimmung, die sich derzeit vor allem an den vielen Baustellen ablesen lässt. "Es ist unfassbar, wie schnell sich hier alles verändert", sagt er. "Dass das Land eine so bedeutungsvolle Veranstaltung wie diese Box-Weltmeisterschaft austragen darf, gibt den Menschen ein ganz starkes Selbstbewusstsein!"

Als Abgesandte des Kölner Privatsenders RTL, der den Kampf in Deutschland von 22.10 Uhr an live überträgt, vor fünf Wochen die Fortschritte auf der Stadion-Baustelle begutachten wollten, trauten sie ihren Augen kaum. Mindestens drei Monate Arbeit, so die Schätzung, wären bis zur Fertigstellung nötig. Der Kampf drohte zu platzen. Doch SMG reagierte, heuerte mehr Arbeiter an und stellte die Arena punktgenau fertig. "Man darf nicht hinter jede Ecke gucken", sagt Brill, "aber wir sind bereit." 44 000 Zuschauer sind live dabei, trotz Kartenpreisen auf deutschem Niveau wurden freigeschaltete Ticketkontingente innerhalb von wenigen Stunden ausverkauft. Dass die Arena nicht überdacht ist, soll, anders als Anfang Juli in Hamburg beim Regen-Duell zwischen Wladimir Klitschko und David Haye, kein Problem sein. 23 Grad und Sonnenschein sind tagsüber prognostiziert, abends soll es wolkenlos bleiben. "In einem so katholischen Land wie Polen ist der Draht nach ganz oben einfach besser", witzelt Brill.

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Der Glaube spielt auch im Leben des Herausforderers eine Hauptrolle. Der 34 Jahre alte Adamek wuchs in den Bergen auf. Sein Vater starb, als er zwei Jahre alt war, die Mutter erzog ihn und seine vier älteren Schwestern streng katholisch. Seine Schlaghärte machte Adamek schnell zu einem der besten polnischen Halbschwergewichtler, doch um eine Weltkarriere zu machen, musste er, wie viele andere Boxer vor ihm, seine Heimat verlassen. Seit 2005, als er erstmals WBC-Weltmeister im Halbschwergewicht wurde, lebt er mit Ehefrau Dorota und den zwei Töchtern in Jersey City (USA). 2007, nach seiner ersten und bislang einzigen Niederlage als Profi, stieg er ins Cruisergewicht auf, ein Jahr später war er IBF-Champion, 2009 ging er ins Schwergewicht. Die meisten seiner Titelkämpfe bestritt er in den USA, wo er unter den vielen polnischen Auswanderern als Volksheld gilt. In Polen selbst hat er diesen Status noch nicht, ein Sieg über Vitali Klitschko würde ihn jedoch unsterblich machen.

In den Ranglisten von WBC und WBO ist Adamek die Nummer eins und in der unabhängigen Weltrangliste hinter den beiden Klitschkos die Nummer drei. Er gilt als sehr guter Techniker, schlagstark und schnell. Dass er trotz 14 Zentimetern Größenunterschied zum Zweimeterhünen Klitschko mutig angreifen wird, trauen ihm nicht nur alle Experten zu, sondern auch der Titelverteidiger. "Adamek ist nicht nur ein besserer Boxer als David Haye, sondern vor allem auch hungriger. Angetrieben von seinen Fans wird er alles geben", glaubt der 40 Jahre alte Ukrainer, der sich trotz der politischen Unruhen in seiner Heimat Kiew, die seine Vorbereitung in Tirol beeinträchtigten, in bester körperlicher Verfassung wähnt.

In der "Höhle des Löwen" antreten zu müssen sei für ihn kein Anlass zu erhöhter Sorge, sagt Klitschko. "Mir ist egal, wo der Ring steht." Dass er im "Wohnzimmer" des Herausforderers bestehen kann, hat er in London, wo er 1999 gegen Herbie Hide erstmals Weltmeister wurde, oder in den USA bereits mehrfach bewiesen. "Wenn alle gegen dich sind, ist das Motivation pur", sagt er. Die Gedanken an ein nahendes Karriereende schiebt er noch von sich, erst nach dem Kampf wolle er darüber reden. Zunächst will Vitali Klitschko ein weiteres Kapitel Sportgeschichte mitgestalten, mit sich selbst in der Rolle des Siegers.