Betrugsvorwurf sorgt für Wirbel bei der “Squadra Azzurra“. Torhüter Buffon vor Rückkehr. Slowaken-Trainer Weiss bepöbelt Journalisten.
Johannesburg. Betrugsvorwürfe gegen Italien, "Schwulen-Skandal" in der Slowakei: Ein doppelter Eklat sorgt vor dem Alles-oder-nichts-Spiel um den Einzug ins WM-Achtelfinale für heftige Empörung. Während der italienische Rechtspopulist Umberto Bossi öffentlich erklärte, der Weltmeister habe "das Spiel sowieso gekauft", beschimpfte der slowakische Nationaltrainer Vladimir Weiss Journalisten als "verdammte Schwuchteln" und drohte einem Reporter sogar Prügel an.
Der Vorfall schlug hohe Wellen und brachte Weiss eine Beschwerde des Internationalen Sportpresse-Verbandes AIPS beim Fußball-Weltverband Fifa ein. Ähnlich turbulent geht es in Italien zu, wo Bossi einen Sturm der Entrüstung auslöste. Der Reformminister und Vorsitzende der Lega Nord sagte: "Ich bin sicher, sie kaufen das Spiel. Dann werden im nächsten Jahr einige slowakische Fußballer in unseren Vereinen spielen."
Der italienische Fußball-Verband wies diese Aussage als "schockierend und beleidigend" zurück: "Bossi hat eine Grenze überschritten." Dass Italien das erste WM-Vorrunden-Aus seit 1974 droht und der Weltmeister mal wieder vor einem krassen Außenseiter zittern muss, geriet dadurch am Mittwoch völlig in den Hintergrund. Die FIFA versicherte beim Medien-Briefing eilig, es gebe "keinerlei Hinweise auf eine versuchte Manipulation." Bossi redete sich nachher heraus, er habe "einen Scherz gemacht".
Dass ein Politiker diesen Nebenkriegsschauplatz eröffnete, lenkte zumindest von den sportlichen Sorgen der Squadra Azzurra ab. "Dieses Italien ist so schlecht, dass sich die Mannschaft eigentlich nur noch verbessern kann", schrieb der Corriere dello Sport nach dem peinlichen 1:1 gegen Neuseeland. Und auch Mittelfeldspieler Daniele De Rossi übte scharfe Kritik: "Wenn wir so weitermachen, fliegen wir raus."
Nur Trainer Marcello Lippi strahlt noch die Gelassenheit des Weltmeisters aus. "Keine Panik. Ich bin 62 Jahre alt und habe viele Titel geholt. Seien sie nicht überrascht, wenn dieses Team plötzlich hervorragenden Fußball spielt und ins Rollen kommt. Wir müssen jetzt gegen die Slowakei gewinnen."
Fast scheint es, als würden die Italiener wie üblich nur so hoch springen, wie es gerade nötig ist. "Uns fehlt die Brillanz im Abschluss, aber wir können viel mehr. Warten sie es mal ab. Wir sind 1982 nach drei Unentschieden in unserer Gruppe auch noch Weltmeister geworden", sagte Lippi.
Doch selbst, wenn es für den zweiten Platz in der Gruppe D reicht, droht ein Achtelfinal-Duell mit den Niederlanden. "Ja, wir haben ein bisschen Angst", sagte Vincenzo Iaquinta, und Daniele De Rossi stellte einen interessanten Vergleich an: "Wenn wir verlieren, ist das wie ein K.o. für Neuseeland im Rugby. Solche Dimensionen hat das."
Immerhin besteht Hoffnung, dass Spielmacher Andrea Pirlo (Wadenverletzung) vom AC Mailand rechtzeitig fit werden könnte. "Pirlo macht den Unterschied", sagte Lippi. Gianluigi Buffon wird wohl noch nicht ins Tor zurückkehren. Rückendeckung bekam der heftig kritisierte Lippi von einem seiner Vorgänger. "Auf taktischem Niveau sind wir stärker als alle anderen. Die Leistungen werden wachsen, und auch die Stimmung wird sich bessern, sobald wir ins Achtelfinale gekommen sind", erklärte Enzo Bearzot, Weltmeistertrainer von 1982.
Die Slowakei nimmt die Rolle des Außenseiters gerne an. "Italien hat alles zu verlieren, wir nichts", sagte Stürmer Filip Holosko. Nichts zu befürchten hat auch Weiss: Die Fifa erklärte am Mittwoch, sie fühle sich für den Ausraster "nicht zuständig".
Die voraussichtlichen Aufstellungen:
Italien: Marchetti (Buffon) - Zambrotta, Cannavaro, Chiellini, Criscito - Pepe, De Rossi, Pirlo, Marchisio - Gilardino, Iaquinta.- Trainer: Lippi
Slowakei: Mucha - Pekarik, Skrtel, Salata, Durica - Strba, Kozak - Hamsik - Weiss, Vittek - Sestak. - Trainer: Weiss
Schiedsrichter: Howard Webb (England)
Neuseeland plant die Sensation
Die WM-Teilnahme? Ein Traum. Der Punkt gegen die Slowakei? Historisch. Das 1:1 gegen Italien? Ein Wunder. Neuseelands Fußballer eilen in Südafrika von einem Höhepunkt zum nächsten und haben die Rugby-Nation mit dem Soccer-Virus infiziert. Ex-Sportminister Trevor Mallard forderte sogar einen landesweiten Feiertag, sollten die All Whites am Donnerstag (16.00 Uhr/ZDFinfokanal und Sky live) mit einem Sieg gegen Paraguay das Achtelfinale erreichen.
"Das Unmögliche ist möglich. Diese Mannschaft ist eben ein wenig anders", sagt der in Göppingen geborene Shane Smeltz, der mit seinem Tor gegen den Weltmeister Italien für die bisher größte Überraschung der WM gesorgt hatte. Sollte gegen Paraguay in der Gruppe F ein Sieg gelingen, stünde die Nummer 78 der Weltrangliste in der K.o.-Runde. Mit viel Glück reicht sogar ein Unentschieden.
Möglich scheint derzeit alles. Auch John Adshead, der Neuseeland als Trainer 1982 zur ersten WM-Teilnahme geführt hatte, gehört zu der wachsenden Gruppe der «Gläubigen»: "Können wir gegen Paraguay etwas mitnehmen? Können wir tatsächlich die nächste Runde erreichen? Ich meine: Ja!", sagte Adshead, der vor 28 Jahren ohne Punkt die Heimreise aus Spanien antreten musste.
Damals fehlte den Kiwis, die in drei Spielen zwölf Tore kassierten, auch ein Schlussmann wie Mark Paston. Der Keeper von Wellington Phoenix brachte am vergangenen Sonntag die Squadra Azzurra mit seinen Glanzparaden zur Verzweiflung, obwohl er eigentlich nicht einmal die Nummer eins ist. Die heißt Glen Moss, war zuletzt gesperrt und wäre am Donnerstag wieder spielberechtigt. Doch der Trainer denkt nicht an einen Wechsel: "Mark startet gegen Paraguay", sagte Ricki Herbert.
Paraguays Angreifer Roque Santa Cruz denkt schon über den Donnerstag hinaus. "Wir waren noch nie im Viertelfinale. Das ist unser großes Ziel. Und wenn wir das erreichen, ist alles möglich", sagte der frühere Bayern-Stürmer. Das 1:1 gegen Italien und das 2:0 gegen die Slowakei haben der Albirroja die Tabellenführung beschert. Die gilt es zu verteidigen, um im nächsten Spiel den Niederlanden aus dem Weg zu gehen.
Für die vierte Achtelfinal-Teilnahme nach 1986, 1998 und 2002 reicht den Südamerikanern schon ein Unentschieden. Richten sollen es dieselben elf Spieler, die schon gegen die Slowakei überzeugten. Mit dabei sind somit die beiden Dortmunder Lucas Barrios und Nelson Valdez. Neuseeland zittert derweil um den Einsatz von Winston Reid. Der Defensivspieler, der mit seinem Tor gegen die Slowakei den ersten WM-Punkt ermöglicht hatte, hat wohl einen Nasenbeinbruch erlitten.
Die voraussichtlichen Aufstellungen:
Paraguay: 1 Villar - 6 Bonet, 14 Da Silva, 21 Alcaraz, 3 Morel - 13 Vera, 15 Victor Caceres, 16 Riveros - 19 Barrios, 18 Valdez, 9 Santa Cruz. - Trainer: Martino
Neuseeland: 1 Paston - 4 Reid, 6 Nelsen, 19 Smith - 11 Bertos, 5 Vicelich, 7 Elliott, 3 Lochhead - 9 Smeltz, 14 Fallon, 10 Killen - Trainer: Herbert
Schiedsrichter: Yuichi Nishimura (Japan)