In aller Freundschaft: HSV-Sportchef Dietmar Beiersdorfer und Werders Aufsichtsrats-Vorsitzender Willi Lemke duellierten sich in einer Werder-Kneipe in Hamburg: Über die wahre Nummer eins im Norden.

Hamburg. Im Stellinger Weg in Eimsbüttel wird Hanseaten-Konkurrenz freundschaftlich gepflegt. Im "Bräuer's anno 1906" (Hausnummer 51) sind seit Jahren Werder-Fans bei Fußball-TV-Übertragungen zu Hause, im "Old MacDonald & American Diner & Sportsbar" (Hausnummer 33) treffen sich die HSV-Fans. "Ärger gab's noch nie", weiß Andreas Lübcke (35), Chef in beiden Kneipen, "hanseatischer Sportsgeist wird groß geschrieben."

Das "Bräuer's", eine Werder-Kneipe auf Hamburger Boden: Der ideale, neutrale Ort, um HSV-Sportchef Dietmar Beiersdorfer und Werder Bremens Aufsichtsratsvorsitzenden Willi Lemke an einen Tisch zu bringen, um über die vier Nordderbys (Pokal, zweimal Uefa-Cup und Bundesliga) zu klönen. Das Ergebnis: Hanseaten-Konkurrenz mit Stil und Spaß.

Die vier Nordderbys
Dietmar Beiersdorfer:

Das ist doch eine tolle Situation für beide Vereine. Jedes einzelne der vier Duelle steht Spitz auf Knopf. Eine solche Situation kann man sich nur wünschen.



Willi Lemke:

Diese Festwochen sind extraordinär. Allein dreimal live im Fernsehen - da guckt ganz Fußball-Deutschland nach oben. In den Norden. Keiner wird alle vier Spiele gewinnen; jedes wird eine ganz enge Kiste.



Beiersdorfer:

Sehe ich ebenso. Das sind Duelle auf Augenhöhe. Bei uns stimmen Spirit und Atmosphäre, das ist wichtig. Absolut gesehen ist die Meisterschaft das Größte, gefolgt von Uefa-Cup und DFB-Pokal. Aber wer schon mal in Berlin war...



Lemke:

Diese Einstufung teile ich grundsätzlich. Für uns ist es natürlich besonders wichtig, international im Geschäft zu bleiben. Es wäre doch schön, müssten beide Vereine im Sommer ihr Briefpapier ändern - und der HSV nicht nur wegen eines neuen Stadion-Namens.



Beiersdorfer:

Ich ziehe weitere Titel im Briefkopf vor...


Das Pokalgefühl
Beiersdorfer:

Es baut sich die Woche über auf, in Berlin herrscht immer eine unglaubliche Stimmung, die Farben der teilnehmenden Klubs prägen das Stadtbild.



Lemke:

Schon alleine die Anfahrt in die Hauptstadt, eine riesige Schlange bis zum Brandenburger Tor. Alle hupen sich an, schmücken sich. Das ist immer verrückter geworden in den vergangenen Jahren. Oder die gemeinsamen Feiern auf dem Ku'damm, das sind schöne Erinnerungen.



Beiersdorfer:

Oder die zwei geschmückten Blöcke im Stadion. Schön, dass man sich damals entschieden hat, das Endspiel grundsätzlich nach Berlin zu verlegen.



Lemke:

DFB-Präsident Egidius Braun machte den Vorschlag, viele waren damals dagegen. Aber es war hundertprozentig richtig.


Wer Fährt nach Berlin?
Lemke:

Eine hanseatische Mannschaft auf jeden Fall.



Beiersdorfer:

Wir haben den Vorteil des heimischen Publikums, Zuhause meist dominant und erfolgreich gespielt und konnten viel Selbstvertrauen und Kraft schöpfen. Die Kulisse gibt uns jedes Mal sehr viel Energie.



Lemke:

Unsere Mannschaft ist gut herausgekommen aus dem Tal der Tränen, Moral und Charakter stimmen. In Hochform können wir eigentlich jeden schlagen, auch Chelsea. Ich habe wenig Angst vor Mittwoch. Ich glaube, wir gewinnen das Ding.



Beiersdorfer:

Die Tagesform und viele kleine Dinge, auch Schiedsrichter-Entscheidungen, können so ein Spiel beeinflussen. Es wird eine enge Kiste, das fühlen, glaube ich, alle Beteiligten.


Die Nummer Eins im Norden
Beiersdorfer:

Ganz spontan würde ich im Moment sagen: Der HSV. Überall, wo wir aufgetreten sind, haben wir uns durchgesetzt und überzeugt.



Lemke:

Wie will man so was messen? So lange wir die ewige Tabelle mit gesundem Vorsprung anführen, sage ich ganz frech, dass wir noch die Eins im Norden sein. Sollte der HSV drei Titel holen, sage ich: Didi, Entschuldigung, Ihr seid die Nummer eins. Aber ich glaube nicht daran.


Hanseatische Rivalität
Beiersdorfer:

Eine wunderschöne Rivalität. Ich pflege nach wie vor ausgezeichnete Kontakte nach Bremen. Mein Verhältnis speziell zu Thomas Schaaf und Klaus Allofs ist sehr freundschaftlich, auch in Erinnerung an unsere gemeinschaftliche fußballerische Vergangenheit. Natürlich umarmen wir uns, aus ganzem Herzen - aber eben auch mit geballter Faust in der Tasche. Jeder will's dem anderen zeigen.



Lemke:

Die Vereinsführungen sind ganz fett befreundet, die normalen Fans ebenso. Was sich schätzt, das neckt sich. Die Reeder, Spediteure, Schiffsmakler und Kaufleute aus beiden Städten haben in dieser Beziehung jetzt Hochkonjunktur. Das ist eine alte Hassliebe mit Stil und Tradition. Es prallen nicht zwei Mannschaften, es prallen zwei Hansestädte auf einander.


Fanrivalität und Hass
Lemke:

Nach dem Tod von Werder-Fan Adrian Maleika im Volksparkstadion Anfang der 80er Jahre haben wir die Probleme wieder in den Griff bekommen, Dampf rausgenommen. Leider wurde das zuletzt wieder hochgepuscht. Dabei kann ich das nicht verstehen, weil beide Mannschaften immer fair miteinander auf dem Platz umgehen.



Beiersdorfer:

Es ist meistens eine kleine Minderheit, die ein negatives Bild prägt, aber die Mehrzahl der Fans lässt es nicht zu. Jeder ist gefragt, damit es bei einer vernünftigen Rivalität bleibt. Natürlich gehört es auch zum Fußball, dass man sich mal beschimpft, auch mal unter der Gürtellinie. Wichtig ist für uns, dass es zu keinen körperlichen Auseinandersetzungen kommt.


Das Geld
Beiersdorfer:

Natürlich ist Bremen wirtschaftsschwächer als Hamburg. Aber mich hat während meiner Bremer Zeit immer beeindruckt, wie eine starke Einheit geschaffen wurde, die sich tapfer gegen alle negativen Einflüsse von außen gewehrt hat. Man kann nicht alles durch Geld ersetzen.



Lemke:

Und uns wird schon immer was Neues einfallen, um die Nase vorne zu haben.



Beiersdorfer:

Wir beim HSV mussten im Vergleich zu Werder erst mal Defizite aus der Vergangenheit aufholen. Es wäre außerdem blauäugig zu glauben, wir hätten jetzt unsere internationale Klasse erreicht und diese ist festgeschrieben. Wir müssen uns das immer wieder neu erarbeiten.



Lemke:

Wie bei uns auch. Ich nehme mal das Beispiel Diego. Es könnte sein, dass die sportliche Leitung das Thema bei einem sensationellen Angebot noch mal angeht. Aber ich würde mir wünschen, ihn zu halten. Es klappt nicht immer, sich wieder einen neuen Diego zu angeln.


Alte Zeiten
Lemke:

Pikante Döntjes mit Didi kann ich nicht liefern. Der Junge war nicht durchgeknallt, sondern schlau, professionell. Auf Bode-Neubarth-Niveau.



Beiersdorfer:

Mein erstes Treffen mit Werder werde ich nie vergessen. In Harburg war das, mit Otto Rehhagel. Hat keiner mitgekriegt, war alles sehr persönlich und voller Vertrauen. Beim zweiten Treffen mit Willi Lemke ging es dann ums Vertragliche. Auch da hatte alles Stil, gefeilscht wurde nicht. Eine schnelle Entscheidung, zwei Männer, ein Wort. Hanseatisch eben (lacht, weil er ja Franke ist) .



Lemke:

Ich glaube, das war im Interconti in Hamburg. Alles ging sauber und anständig über die Bühne, so wie immer zwischen unseren beiden Vereinen.



Beiersdorfer:

Ich habe ja zweimal den DFB-Pokal gewonnen. 1987 mit dem HSV, 1994 mit Werder. An 1987 habe ich intensivere Erinnerungen. Mein erstes HSV-Jahr unter Trainer Ernst Happel. Pokalsieg und Zweiter in der Meisterschaft, das bleibt ewig in Erinnerung.



Lemke:

Ich hätte schon mal wieder Lust, den Pott in Berlin zu küssen. Trotz aller Sympathie für den HSV. Schließlich war ich dort 30 Jahre Mitglied. Als Leichtathlet. Immerhin 10.7 Sekunden über hundert Meter - bergab und mit Rückenwind.



Beiersdorfer:

Könnt Ihr Mittwoch auch gebrauchen...



Lemke:

Ich habe ein gutes Gefühl. Ihr spielt ja auf drei Klavieren. Aber noch mal kurz zu früher: Meine Freundin hat mir damals eine große HSV-Fahne genäht. Damit ging's zu Auswärtsspielen: von Borussia Neunkirchen bis Brüssel gegen Barcelona. Auf der Rückfahrt nach Hamburg haben wir Schlachtlieder gesungen: "Charly gibt 'ne Flanke, Uwe köpft ihn rein...". Weltklasse!


Die Hanse-Vereinbarung
Lemke:

So richtig Wetten um hohe Einsätze mag ich grundsätzlich nicht. Das wird 'ne knappe Kiste Mittwoch bei Euch, aber wir packen das. Wir kennen ja jeden Grashalm bei Euch im Stadion, das ist ja nicht wie im Feindesland.



Beiersdorfer:

Stimmt, große Geheimnisse existieren nicht. Vereinsführung, Spieler, Fans - alle kennen sich erstklassig. Was den Reiz weiter steigert.



Lemke:

Didi, lass uns doch was Wohltätiges machen - in beiden Städten. Unser Trainer Schaaf unterstützt trauernde Kinder. Du kommst mit einer HSV-Gruppe nach Bremen, und wir gehen da gemeinsam hin. Voraussetzung: Beide Vereine müssen/dürfen ob erfreulicher Ereignisse ihren Briefkopf ändern. Okay?



Beiersdorfer:

Die Abmachung gilt. Und Du kommst mit einer Werder-Auswahl nach Hamburg und unterstützt eines unserer karikativen Hamburger-Weg-Projekte.



Lemke:

Mok wi! Dann gewinnen beide...