Glinde. Stadt hat auf Kompromiss mit den Anwohnern gehofft. Auslastung heruntergesetzt. Warum die Fronten in Glinde verhärtet sind.

Diesmal sind nicht so viele da, wie bei den vergangenen Treffen. Rund 20 Menschen hören Glindes Bürgermeister Rainhard Zug im Festsaal des Marcellin-Verbe-Hauses zu. Thema ist der Bau einer Flüchtlingsunterkunft im Gewerbegebiet an der Straße Am Alten Lokschuppen. Gäste erfahren neue Details: zum Beispiel über Bepflanzungen auf dem Grundstück, die Zufahrt und wo die Mülltonnen platziert werden.

Wesentliche Fakten wie die Maße des Gebäudes und die Kapazität von 50 Plätzen sind schon bekannt. Und wieder wird der Ton während der Informationsveranstaltung rauer gegenüber dem Verwaltungschef. Ein Protestler wirft ihm vor, „den sozialen Frieden bei uns in der Ecke massiv zu zerrütten“. Anwohner wollen das Projekt verhindern. Für sie gibt es nur einen Weg, um das Ziel zu erreichen: eine Klage gegen die Stadt. Damit wurde bereits gedroht. Machen die wütenden Bürger jetzt ernst? Es bleibt nicht mehr viel Zeit.

Flüchtlingsheim in Glinde: Nachbarn schlagen raue Töne an

Der Bauantrag ist gestellt. Zug sagt, er rechne umgehend mit der Genehmigung. Liegt diese vor, müssen die Widerständler Farbe bekennen. Soll heißen: das Heim zähneknirschend akzeptieren oder mit einem Anwalt dagegen angehen. „Wir sind auf alles vorbereitet“, sagt der Bürgermeister.

Die Ausschreibung für die Gebäude seien getätigt, man stehe kurz vor der Vergabe. Die Fertigstellung ist für Ende März geplant. Auf rund 1,6 Millionen Euro belaufen sich die Kosten, 800.000 davon steuern der Bund und das Land Schleswig-Holstein bei.

Flüchtlingsheim in Glinde: Maximalauslastung wurde von 80 auf 50 Personen heruntergesetzt

Die beiden Container-Häuser gleichen jenen am Schlehenweg nahe der Kreisstraße 80. Dort sind sie in roter Farbe. Im Gewerbegebiet werden die Objekte einen Grauton haben. Das bestimmen Besucher bei der Versammlung. Zug fragt ein Meinungsbild ab, will den Anwohnern der angrenzenden Arthur-Christiansen-Straße signalisieren, dass sie mitgenommen werden.

Die Stadt hatte auf einen Kompromiss gehofft, mit dem alle gut leben können, die Maximalauslastung bereits von 80 auf 50 Personen heruntergesetzt. Doch es gibt auch an diesem Abend keine Zustimmung für das Vorhaben. Stattdessen dreht man sich im Kreis, wiederholt Argumente. Immer wieder weisen Ortsansässige auf Lärmbelästigung durch die neuen Nachbarn hin. Sie vermuten das nicht nur, sondern sagen, dass es so ist. „Es wird extrem laut“, ruft ein Mann. Der Bürgermeister schüttelt den Kopf, entgegnet, das sei Spekulation.

Glinde
Bürgermeister Rainhard Zug (r.) und Amtsleiter Bernd Mahns hatten einen schweren Stand bei der Informationsveranstaltung. © Stadt Glinde | Stadt Glinde

Flüchtlinge in Glinde: Stadt zahlt aktuell für 80 Objekte

Auch Bernd Mahns, Leiter des Amts für Bürgerservice und zuständig für Flüchtlingsunterbringung, ist anwesend. Von ihm erfahren die Besucher, dass Glinde derzeit 426 Menschen aus Kriegs- und Krisenregionen beherbergt. In diesem Jahr waren es bislang 71 Neuankömmlinge. Bei der Quote ist man mit 17 im Minus. Das bedeutet: Die Stadt hat weniger Personen aufgenommen, als ihr zugewiesen sind. Die Zahl war auch schon einmal höher.

Mahns müht sich, Wohnungen zu mieten und hat auf Glindes Internetseite Immobilieneigner aufgerufen, sich mit ihm in Verbindung zu setzen. Aktuell zahlt die Stadt für 86 Objekte. Weitere Wohnungen zu beschaffen, um allen für 2025 prognostizierten 80 bis 100 Zuwanderern eine Bleibe zu verschaffen, wird wohl nicht gelingen. Deshalb muss die 18.700-Einwohner-Kommune selbst bauen.

Flüchtlingsheim in Glinde: Kampfmittelräumdienst untersucht das Areal ab 2. Dezember

Das betont Zug mantraartig und gibt dem Publikum Auskunft über den Zeitplan. Vom 2. bis 6. Dezember rückt der Kampfmittelräumdienst an und untersucht das Gelände. Im September 2019 wurde in der Nähe eine Fliegerbombe aus dem Zweiten Weltkrieg entschärft. 7800 Menschen, die in einem 1000-Meter-Radius rund um den Fundort leben, mussten ihre Häuser für mehrere Stunden verlassen. 102 Polizisten sowie 671 Mitarbeiter von Feuerwehr, Stadt und Rettungsdienst waren am Großeinsatz beteiligt. Die Experten dringen diesmal mit Sonden sechs Meter ins Erdreich vor. Dort, wo die Fundamente hinkommen, werden zwei Meter Boden abgetragen.

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Die Anwohner sind nun auch in Kenntnis gesetzt, was am vorhandenen Zaun hin zu ihren Immobilien passiert: eine Bepflanzung mit Hecke und womöglich Bäumen in Doppelreihe. Auf das Areal werden zudem Sandkiste und Schaukel gesetzt. „Wir wollen abgesichert haben, dass keine Basketballkörbe und Tischtennisplatten dort hinkommen“, sagt eine Frau zum Bürgermeister. Der nickt und gibt ein Versprechen ab. Sympathiepunkte kann er dafür nicht einstreichen.

Gäste lassen den Rathauschef spüren, wie tief der Frust bei ihnen sitzt und wie groß die Abneigung gegenüber der Verwaltungsspitze ist. Das klingt zum Beispiel so: „Ich wünsche, dass Sie nächstes Jahr nicht mehr Bürgermeister sind und ihren Job verlieren.“ Die Wahl ist zwar 2025, im Fall einer Niederlage wäre Zug jedoch nicht gleich weg. Die neue Amtsperiode beginnt nämlich im Folgejahr. Das ist nicht die einzige Verbalattacke während der einstündigen Zusammenkunft.

Anwohner können das Heim vor Inbetriebnahme begehen

Für das 1500 Quadratmeter große Grundstück im Gewerbegebiet zahlt Glinde seit Januar Pacht: pro Monat 4300 Euro. Der Vertrag ist über zehn Jahre geschlossen, wurde von der Politik hinter verschlossenen Türen abgesegnet. Gern hätte man das Areal gekauft, dazu war der Eigner nicht bereit. Die Stadt macht Gebrauch von der Möglichkeit einer Sondernutzung. Eine von Jan Müller initiierte Petition gegen Wohnbebauung signierten 736 Personen, davon 574 aus Glinde.

Eine Kehrtwende schlossen Zug und die Parteienvertreter aus, man informiert jedoch über das Vorankommen. Kurz bevor das Flüchtlingsheim in Betrieb genommen wird, ist den Bürgern eine Begehung zugesagt. Und wie halten es die Anwohner nun mit der Klage? Sie mauern. Ein Mann aus dem Kreis der Protestler, der mehrmals das Wort im Marcellin-Verbe-Haus ergreift, sagt auf Nachfrage: „Warten wir mal ab.“