Glinde. Blindgänger entschärft. Tausende können zurück in ihre Häuser und Wohnungen. Feuerwehr kritisiert Bürger, die Einsatz behinderten.

Drei Shuttle-Busse stehen am Donnerstagmorgen um 8.25 Uhr vor der Grundschule Tannenweg in Glinde. Senioren, die in Rollstühlen sitzen und in einem Altenheim in der Stadtmitte leben, werden von Pflegekräften hineingeschoben. Sie haben in der großen Sporthalle auf Feldbetten übernachtet – entgegen der ursprünglichen Planung. Es ist der Tag nach dem Großeinsatz wegen des Fundes einer Fliegerbombe aus dem Zweiten Weltkrieg: 102 Polizisten sowie 671 Mitarbeiter von Feuerwehr, Stadt und Rettungsdienst waren beteiligt. Der Blindgänger auf einem Gewerbeareal an der Straße Beim Zeugamt wurde erst am Vorabend um 23.25 Uhr entschärft, die abgesperrten Bereiche dann freigegeben. Zu spät, um die gehbehinderten Menschen in ihr Zuhause zurückzubringen.

70 ältere Menschen im Notquartier

„Sie haben die Nacht gut überstanden und sind alle ruhig geblieben“, sagt Ergotherapeutin Sabrina Rathjen-Wienecke. Die 37-Jährige aus Witzhave berichtet von rund 70 älteren Menschen im Notquartier. Mehr als ein Dutzend Pflegekräfte seien immer ansprechbar gewesen. Rathjen-Wienecke ist an diesem Morgen seit 5 Uhr vor Ort, Mittwoch hatte sie von 6.30 bis 21 Uhr Dienst. „Wir haben tagsüber Spiele gemacht sowie gesungen und mit den Damen und Herren Spaziergänge unternommen. Langeweile kam nicht auf.“ Eine Frau im Rollstuhl erzählt, sie sei erst nach Mitternacht eingeschlafen. Trotzdem wirkt sie munter.

Die Bewohner eines Altenheims hatten in einer Notunterkunft übernachtet.Am Donnerstagmorgen wurden sie in Shuttle-Bussen nach Hause gefahren.
Die Bewohner eines Altenheims hatten in einer Notunterkunft übernachtet.Am Donnerstagmorgen wurden sie in Shuttle-Bussen nach Hause gefahren. © René Soukup | René Soukup

In der kleinen Sporthalle der Bildungseinrichtung ist noch nicht aufgeräumt. Auf den Holztischen stehen Getränkeflaschen neben Pappbechern. Auch dieser Ort war eine Anlaufstelle für Bürger. Genächtigt hat hier niemand. Rund 7800 Menschen, darunter 2200 Reinbeker aus dem Stadtteil Neuschönningstedt, durften erst spät in ihre Wohnungen und Häuser zurück. Sie leben in einem 1000-Meter-Radius rund um den Bombenfundort.

Bürgerhaus war Anlaufstelle für ältere Menschen

Weil lange nicht klar war, wann die Entschärfer Entwarnung geben, entschieden die Stadtverwaltungen, den Unterricht an den Glinder Grundschulen und an jener in Reinbek mit dem Namen Gertrud-Lege am Donnerstag ausfallen zu lassen. Eine Betreuung der Jungen und Mädchen ist dort aber sichergestellt. Am Tannenweg warten Lehrer vergebens auf Schüler, in der Grundschule Wiesenfeld werden immerhin 34 Kinder bespaßt. Bei höherer Nachfrage hätte Glinde weiteres Personal des Hortes Löwenzahn an die Schulen geschickt.

Das hat Ordnungsamtsleiter Bernd Mahns so entschieden. Er war auch oberster Koordinator bei der Bombenentschärfung und regelte das Zusammenspiel der verschiedenen Organisationen. Das Bürgerhaus deklarierte der Verwaltungsfachmann als Anlaufstelle für ältere Menschen, sagt: „Am frühen Mittwochabend waren dort bis zu 300 Personen, erst später wurde es leerer.“ Rund 100 hätten dort bis kurz vor Mitternacht ausgeharrt. Der Bombenfund hat Mahns’ private Pläne übrigens gehörig durcheinandergebracht. Am Mittwoch wollte er um 16.35 Uhr in den Urlaub nach Spanien fliegen. Stattdessen war sein Platz in der Einsatzzentrale in einem Raum der Glinder Feuerwache am Oher Weg.

Feuerwehrleute trafen sich um 14 Uhr in der Wache, um Geräte zu reinigen

Dort war natürlich auch der Glinder Wehrführer Michael Weidemann zugegen – bis Donnerstag um 2.30 Uhr. Der Ehrenamtler wohnt selbst im evakuiertem Bereich. Rund 400 Feuerwehrleute aus diversen Wehren im Kreis halfen in Glinde. Unter anderem klingelten sie an Haustüren und machten Bewohner auf die Räumung aufmerksam. Weidemann sagt: „Ältere Personen waren leicht zu überzeugen, ihre Wohnungen zu verlassen.“ Er habe Kollegen für bis zu sechs Stunden aus dem Einsatz herausgezogen. Sie konnten sich auf Feldbetten im Gerätehaus ausruhen. Um 1 Uhr seien die ersten Kräfte nach Hause gefahren.

So sehen die Zünder der Fliegerbombe aus. Bei diesen Exemplaren handelt es sich um Vorführmodelle.
So sehen die Zünder der Fliegerbombe aus. Bei diesen Exemplaren handelt es sich um Vorführmodelle. © dpa | Citynewstv

Eigentlich hätte die Entschärfung der Bombe um 12 Uhr beginnen sollen. 45 Minuten waren dafür vorgesehen. Doch mehrmals wurden Personen im Sperrgebiet entdeckt – ein Grund für die Verzögerung. „Es ist schon zermürbend, wenn sich Bürger nicht an die Regeln halten. Aber in der Summe ist alles gut gelaufen“, so Weidemann. Das Zusammenspiel mit Verwaltungen und Polizei sei super gewesen. Um 14 Uhr am Donnerstag trafen sich die Glinder Feuerwehrleute wieder an der Wache, um Geräte zu reinigen. Weidemann verfasste noch den Einsatzbericht.

Bombe wird in Scheiben geschnitten und verbrannt

Kritik an dem Verhalten weniger Bürger gab es auch aus der Politik. Der CDU-Landtagsabgeordnete Lukas Kilian aus Glinde: „Es ist unbegreiflich, dass Personen aus Neugier eine Bombenentschärfung behindern. Diese Respektlosigkeit gegenüber den Menschen, die ihre Häuser und Wohnungen verlassen mussten, und den größtenteils ehrenamtlichen Einsatzkräften ist bodenlos.“ Glindes Bürgermeister Rainhard Zug war ebenfalls bis nach Mitternacht in der Wache, sagt: „Allen ist am Ende ein Stein vom Herzen gefallen, die Helfer waren müde und kaputt. Es ist unglaublich, was die Feuerwehr geleistet hat.“

Zur Verzögerung kam es auch, weil nur einer der beiden Zünder leicht zu entschärfen war. Der andere wurde mit einer Wasserstrahl-Schneidemaschine bearbeitet, ein Teil musste gesprengt werden. Das Gerät war aber nicht vor Ort, wurde herbeigeschafft. Der Kampfmittelräumdienst des Landeskriminalamtes hat die 250 Kilo schwere Fliegerbombe nach Felde zwecks Zwischenlagerung transportiert. Demnächst wird sie in Munster (Niedersachsen) in einer speziellen Anlage, der einzigen in Norddeutschland, erst in Scheiben geschnitten und dann im Hochofen verbrannt.