Ahrensburg. Vor neun Jahren gründet Annelie Stötefalke nach einem Auslandsaufenthalt den Verein Arise. Nun wird ein großes Projekt Wirklichkeit.
Die Kleinstadt Kokrobite im Süden von Ghana, knapp 30 Kilometer außerhalb der Hauptstadt Accra: Zwischen Palmen und Akazienbäumen nimmt das neue Schulgebäude Stück für Stück Form an. Der Rohbau ist bereits weitgehend fertig, als Nächstes soll die Inneneinrichtung beschafft werden. Schon ab dem Jahresende sollen hier 75 Jungen und Mädchen lernen. Künftig sollen es bis zu 150 sein.
Vor etwas mehr als eineinhalb Jahren begannen die Arbeiten für die Grundschule, die Kindern aus ärmsten Verhältnissen in dem 5000-Einwohner-Ort Zugang zu Schulbildung ermöglichen soll. Dass diese Vision Wirklichkeit wird, ist dem Engagement von Annelie Stötefalke zu verdanken.
Verein Arise: Junge Ahrensburgerin Annelie Stötefalke baut Schule in Ghana
Die 29-Jährige aus Ahrensburg verbrachte nach dem Abitur an der Selma-Lagerlöf-Gemeinschaftsschule im Herbst 2014 drei Monate in dem westafrikanischen Land und absolvierte dort an einer Senior High School einen Freiwilligendienst. Nach ihrer Rückkehr gründete Stötefalke den Verein Arise, der es sich zum Ziel gesetzt hat, Jungen und Mädchen in Ghana den Zugang zu qualitativ hochwertiger Bildung zu ermöglichen.
Das Bildungssystem in dem 34-Millionen-Einwohner-Land, das mit knapp 240.000 Quadratmetern über etwa zwei Drittel der Fläche Deutschlands verfügt, ist auf dem Papier vorbildlich in Subsahara-Afrika. Für Kinder ab einem Alter von sechs Jahren besteht Schulpflicht, staatliche Schulen sind von der ersten bis zur neunten Klasse kostenfrei.
Kinderarbeit gehört in Ghana trotz Verbots zum Alltag vieler Familien
Doch in der Praxis sieht es anders aus. Die Schulpflicht wird nicht kontrolliert, weshalb gerade auf dem Land viele Eltern darauf verzichten, ihre Kinder zur Schule zu schicken. Sie müssen stattdessen Geld verdienen, um zum Lebensunterhalt der Familie beizutragen. Kinderarbeit, die eigentlich verboten ist, gehört zum Alltag. Bei Temperaturen von weit über 30 Grad müssen die Jungen und Mädchen auf den Straßen Waren verkaufen. „Oder sie helfen auf den Fischerbooten und ziehen Netze aus dem Meer“, sagt Annelies Vater, Olaf Stötefalke, der 2018 erstmals in Kokrobite war.
„Viele Menschen leben in für uns unvorstellbarer Armut“, sagt der Ahrensburger. 80 Prozent der Eltern, deren Kinder die Schule des Vereins besuchen, lebe vom Verkauf eigener, landwirtschaftlicher Produkte. Im Schnitt verdienen sie laut Stötefalke umgerechnet zwischen 1,30 und zwei Euro am Tag.
Viele Eltern können sich Unterrichtsmaterial und Schuluniformen nicht leisten
Ein weiteres Problem: Auch wenn der Schulbesuch kostenfrei ist, müssen die Eltern für das Lehrmaterial, die Mittagsverpflegung und die vorgeschriebene Schuluniform bezahlen. Teilweise würden sogar Gebühren für die Benutzung von Tischen und Stühlen erhoben, sagt Annelie Stötefalke. „Das können sich viele Familien nicht leisten.“
Hinzu komme, dass es gerade auf dem Land zu wenige staatliche Schulen gebe, die zudem oft überfüllt und schlecht ausgestattet seien. „Viele Schulen sind privat und verlangen ein Schulgeld“, sagt die 29-Jährige. Das alles führt dazu, dass rund ein Drittel der Jungen und Mädchen nicht einmal die Grundschule beendet.
Annelie Stötefalke wollte nach ihrer Abreise auch langfristig helfen
„Während meiner Zeit in Ghana habe ich beim Aufbau einer Grundschule für Kinder aus unterprivilegierten Familien mitgeholfen“, erzählt Annelie Stötefalke. Knapp 20 Zwei- bis Neunjährige seien zu Beginn durch eine Lehrkraft betreut und unterrichtet worden. Doch schon nach kurzer Zeit habe das Projekt mangels Finanzierung auf der Kippe gestanden.
Für die damals 19-Jährige stand fest, dass ihr Engagement mit der Abreise nicht enden soll. Annelie Stötefalke wollte den Kindern auf Dauer eine Perspektive bieten. Nach ihrer Rückkehr nach Deutschland begann Stötefalke, im Verwandten- und Freundeskreis um Spenden und Unterstützung zu werben.
Vater Olaf Stötefalke unterstütze seine Tochter von Beginn an bei dem Projekt
„Ich weiß noch, wie ich damals wieder bei meinen Eltern ankam und gesagt habe: Mama, Papa, ich brauche eure Hilfe. Ich habe eine Schule gegründet“, erinnert sich die 29-Jährige lachend. Vater Olaf Stötefalke stärkte seiner Tochter – trotz anfänglicher Skepsis, wie er zugibt, – von Beginn an den Rücken.
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„Annelie kam zu mir und sagte: Papa, diese Kinder brauchen uns, wir müssen da unbedingt was machen“, erinnert sich der Ahrensburger. „Meine erste Reaktion war natürlich: Wie soll das gehen?“ Vor mittlerweile fast zehn Jahren habe er nicht im Traum daran geglaubt, wie sich das Projekt bis heute entwickelt haben würde.
Während des Studiums verbrachte Stötefalke fast jede Semesterferien in Kokrobite
Bereits Anfang 2015 reiste Annelie Stötefalke erneut nach Kokrobite, um an der bereits 27 Schüler zählenden Bildungseinrichtung zu helfen. Schnell sei klar geworden, dass es einer verlässlichen Organisation und Finanzierung bedürfe, um langfristig einen geregelten Unterrichtsbetrieb aufrechterhalten zu können. „Deshalb haben wir im Juni 2015 den Verein Arise gegründet“, sagt die 29-Jährige. Vater Olaf übernahm den Vorsitz.
NDR-Moderatoren bei Benefiznachmittag in der Stormarnschule
Mit einer Benefizveranstaltung am Sonntag, 10. November, ab 15 Uhr in Ahrensburg möchte Arise weitere Spenden für das Schulbauprojekt sammeln. Der Nachmittag im Eduard-Söring-Saal der Stormarnschule (Waldstraße 14) wird von Hans-Jürgen Mende und Philipp Schmid gestaltet, bekannt als Moderatoren des Radiosenders NDR Kultur. Mende liest Heiteres und Besinnliches, während Schmid die Musikwünsche des Publikums am Flügel erfüllt. Außerdem stellt Arise in einem Vortrag seine Arbeit vor. Der Eintritt kostet 15 Euro. Der gesamte Erlös fließt in das Schulbauprojekt.
Während des Lehramtsstudiums kehrte Annelie Stötefalke fast jede Semesterferien nach Ghana zurück, um das Projekt voranzutreiben. Auch heute ist die 29-Jährige, die an einer Grundschule in Berlin unterrichtet, mehrfach im Jahr vor Ort.
Jedes Jahr schickt der Verein zwei Freiwillige über das Programm „weltwärts“ nach Ghana
Inzwischen hat der Verein knapp 80 Mitglieder. In einem zum provisorischen Schulgebäude ungebauten Wohnhaus, das Arise angemietet hat, werden aktuell 75 Kinder der Klassenstufen eins bis sechs von sechs Lehrkräften beschult. Außerdem hat der Verein einen Schulmanager, eine Köchin und eine Hauswirtschaftskraft eingestellt.
Über das Programm „weltwärts“ des Bundesentwicklungsministeriums absolvieren zusätzlich pro Jahr zwei junge Erwachsene nach dem Abitur einen zwölfmonatigen Freiwilligendienst in Kokrobite und unterstützen das Personal. Alle laufenden Kosten finanziert der Verein über Spenden. „Dadurch können wir den Kindern kostenfreie, qualitativ hochwertige Schulbildung und eine warme Mahlzeit am Tag ermöglichen“, sagt Olaf Stötefalke. Es gebe regelmäßige Ausflüge, Sportveranstaltungen und Elternabende.
Das Schulgebäude bekommt auch ein IT-Lab für den Computerunterricht
Mit dem eigenen Schulgebäude, das derzeit entsteht, geht Arise nun den nächsten großen Schritt. „Unser derzeitiges Gebäude ist eigentlich nicht für Unterricht geeignet“, sagt Annelie Stötefalke. Der Neubau soll über sechs Klassenräume, eine Mensa, Sanitäranlagen, eine Bibliothek und Büros für die Mitarbeiter verfügen.
„Außerdem wird es ein IT-Lab mit Computerarbeitsplätzen geben“, erzählt die 29-Jährige. Dort werde ein Partner Computerkurse für die Schüler anbieten. Die Vermittlung von Kompetenzen in den Bereichen Naturwissenschaften, Technologie und Mathematik sei ein Fokus der Einrichtung. „Grundlegende Kenntnisse sind sehr wichtig, um am Arbeitsmarkt partizipieren zu können“, sagt Olaf Stötefalke. Arise wolle nicht nur Bildung vermitteln, sondern den Jungen und Mädchen auch eine Lebensperspektive ermöglichen.
Der Entwurf für das Gebäude stamme von einer jungen, ghanaischen Architektin, sagt Annelie Stötefalke. Das Grundstück hat der Verein erworben. Die Gesamtkosten für die Realisierung des Projektes lägen bei etwa 435.000 Euro. Im kommenden Jahr soll der Neubau fertig sein.
Wer den Verein unterstützen möchte, kann spenden an: Arise e.V.- Eine Schule für Ghana, Sparkasse Holstein, IBAN DE77 2135 2240 0179 1400 17