Aumühle. Unternehmen zahlen im gemeindefreien Gebiet niedrigen Steuersatz. Unweit des Waldes gibt es einen weiteren, in dem das möglich scheint.
Der Skandal hatte in der vergangenen Woche überregional für Schlagzeilen gesorgt: Wie berichtet, hatte eine Recherche der Internetplattform „Frag den Staat“ und Satiriker Jan Böhmermann im „ZDF Magazin Royale“ die Existenz einer Steueroase im Sachsenwald aufgedeckt. Demnach sollen in einer Waldhütte des Unternehmers Gregor von Bismarck, Ururenkel des ersten deutschen Reichskanzlers, 21 Unternehmen residieren und dort einen extrem niedrigen Gewerbesteuersatz zahlen.
Möglich ist dies, weil der Sachsenwald gemeindefreies Gebiet ist. Der Status ist ein Relikt aus der „Landgemeindeordnung für die Provinz Schleswig-Holstein“ aus dem Jahr 1892. Einst war der Sachsenwald das Jagdgebiet von Kaiser Wilhelm I. 1871 schenkte der Monarch ihn seinem Reichskanzler Otto von Bismarck als Dank für dessen Rolle bei der deutschen Reichseinigung. Bis heute befinden sich große Teile des Sachsenwaldes im Eigentum der Familie Bismarck, die im nahe gelegenen Schloss im Aumühler Ortsteil Friedrichsruh lebt. Der Sachsenwald ist so etwas wie eine eigene, kommunale Verwaltungseinheit.
Steueroase Sachsenwald: Gewerbesteuerhebesatz seit 1958 unverändert
Die Familie Bismarck hat laut den Recherchen auf Grundlage des Gesetzes aus der Kaiserzeit im Sachsenwald alle Rechte und Pflichten, die sonst nur Städte und Gemeinden haben. Dazu gehöre auch, die Gewerbesteuer einzunehmen. Als Gutsbesitzer dürfe Gregor von Bismarck dem Lauenburger Landrat einen Gutsvorsteher vorschlagen, der die Verwaltungsaufgaben für das gemeindefreie Gebiet übernimmt.
Zu diesen Aufgaben zählt auch die Festlegung des Gewerbesteuerhebesatzes. Der Hebesatz liegt laut den Recherchen bei nur 275 Prozent – und das unverändert seit 1958. Zum Vergleich: In Hamburg ist er mit 470 Prozent erheblich höher, und selbst die kleine Sachsenwald-Nachbargemeinde Aumühle verlangt 350 Prozent.
Forstgutsbezirk Buchholz ist neben Sachsenwald zweites gemeindefreies Gebiet im Land
Unweit des Sachsenwaldes, knapp 70 Kilometer entfernt, liegt der Forstgutsbezirk Buchholz. Er befindet sich im Kreis Segeberg und ist neben dem Sachsenwald das zweite gemeindefreie Gebiet in Schleswig-Holstein. 41 Quadratkilometer groß, liegt er etwa acht Kilometer westlich von Bad Segeberg an der Bundesstraße 206 Richtung Bad Bramstedt. 95 Prozent des Gebiets sind Waldfläche, drei Prozent Landwirtschaftsfläche. 1,4 Prozent der Fläche nehmen Straßen, Wege und Plätze ein.
Wie verhält es sich dort mit der Gewerbesteuer? Wem gehört das Gebiet? Ist dort eine ähnliche Ansiedlung von Unternehmen denkbar wie im Sachsenwald – oder ist sie schon längst Realität? Bei Sabrina Müller, Sprecherin des Kreises Segeberg, nachgefragt, teilt diese unserer Redaktion mit: „Der Wald ist fast ausschließlich Staatswald.“ Eigentümerin sei die Schleswig-Holsteinische Landesforsten AöR (Anstalt des öffentlichen Rechts). „Die obrigkeitlichen Geschäfte übt für den Gutsbezirk der Gutsvorsteher aus“, so Müller weiter.
Landrat des Kreises Segeberg bestimmt Max Brückhändler als Gutsvorsteher
Als Gutsvorsteher für den Forstgutsbezirk Buchholz habe der Landrat des Kreises Segeberg Max Brückhändler bestellt. „Herr Brückhändler ist als Mitarbeiter der Schleswig-Holsteinischen Landesforsten Revierleiter der Försterei Glashütte, welche einen Großteil der Waldflächen des Forstgutsbezirkes forstlich bewirtschaftet“, sagt die Kreis-Sprecherin.
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Und: „Im Forstgutsbezirk Buchholz findet keine Steuererhebung für Grund- und Gewerbesteuer mehr statt“, so Müller. Ende 2004 sei der Erlass des Innenministeriums des Landes Schleswig-Holstein von 1955 zur Erhebung von Grund- und Gewerbesteuer im Forstgutsbezirk Buchholz aufgehoben worden. „Hierdurch ist die Grundlage für eine Steuererhebung entfallen. Bis dahin hatte die Zuständigkeit für die Festsetzung der Hebesätze bei der Kommunalaufsicht des Kreises Segeberg gelegen“, sagt die Kreis-Sprecherin.
Steueroase Sachsenwald: Einen ähnlichen Fall gab es schon einmal
Es gehören, so Müller weiter, keine Wohn- und Gewerbeflächen zum Forstgutsbezirk. „Diese sind inselartig aus dem Forstgutsbezirk ausgegliedert und den umliegenden Gemeinden zugeordnet“, sagt sie. Die bewohnten Teile des Forstgutsbezirkes gehören zu den Gemeinden Bark, Hartenholm, Heidmühlen und zur Stadt Wahlstedt. Dazu, dass sich in dem Gebiet ähnlich wie im Sachsenwald vermehrt Unternehmen ansiedeln oder in der Vergangenheit angesiedelt haben, sei dem Kreis Segeberg nichts bekannt.
Einen ähnlichen Fall wie im Sachsenwald hatte es in Schleswig-Holstein in der Vergangenheit in der Gemeinde Norderfriedrichskoog an der Westküste des Landes gegeben. Dort wurde über viele Jahre ein Gewerbesteuerhebesatz von Null erhoben, was dazu führte, dass seit den 1990er-Jahre viele Unternehmen ihren Firmensitz dort angemeldet und ein Büro angemietet hatten, darunter Tochterunternehmen der Deutschen Bank, E.on, Commerzbank, Lufthansa, Siemens und Lidl. Das Steuerschlupfloch wurde 2004 geschlossen. Seitdem muss der Hebesatz mindestens 200 Prozent betragen.