Reinbek. Pharmaunternehmen will seine Medikamente bald auch in Indien verkaufen. Warum die Produktion trotzdem in Schleswig-Holstein bleibt.
- Allergopharma ist der größte deutsche Hersteller auf dem Gebiet der Allergietherapie
- Bald will das Unternehmen nach Indien expandieren und dort einen neuen Markt erobern.
- Das Unternehmen hatte bereits zum dritten Mal in Folge seinen Umsatz steigern können.
Besser könnte die Stimmung bei Allergopharma kaum sein. Das Reinbeker Pharmaunternehmen konnte bereits das dritte Mal in Folge seinen Umsatz steigern. „Das vergangene Jahr war das umsatzstärkste in unserer 55-jährigen Firmengeschichte“, freut sich Geschäftsführer Dr. Christoph Willers. Und auch dieses Jahr sieht alles danach aus, dass dies erneut gelingen wird, der Millionenumsatz wieder im dreistelligen Bereich liegen wird. Genaue Zahlen darf Willers nicht nennen.
Fest aber steht: Die Produkte des Reinbeker Unternehmens zur Diagnose und Behandlung von Allergien sind gefragter denn je. Denn die „Volkskrankheit“ Allergie nimmt immer weiter zu. Und das weltweit. „Man geht davon aus, dass mindestens 20 Prozent der Bevölkerung im Laufe ihres Lebens eine Allergie entwickeln“, weiß Willers, der selbst promovierter Dermatologe ist. Vor seinem Wechsel zum Reinbeker Pharmaunternehmen 2015 war er viele Jahre in der Forschung tätig.
Behandlung von Allergien: Reinbeker Medikamentenhersteller Allergopharma expandiert nach Indien
Bei einer Allergie reagiert der Körper überempfindlich auf harmlose Stoffe, sogenannte Allergene. Besonders häufig verbreitet sind Allergien gegen Pollen und Gräser sowie Hausstaubmilben. Allergien gibt es zwar weltweit. Sie sind aber regional unterschiedlich verteilt. In Südeuropa beispielsweise findet sich häufig eine Allergie gegen Olivenbaumpollen.
Aktuell haben die 350 Mitarbeiter des Pharmaproduzenten an der Hermann-Körner-Straße besonders viel zu tun: „Im Herbst, wenn die Pollenlast gering ist, beginnen die meisten Allergiker mit einer sogenannten Allergieimmuntherapie, auch Hyposensibilisierung genannt“, sagt Willers. Dabei wird dem Patienten über einen Zeitraum von drei Jahren zuerst eine winzige Menge des Allergens zugeführt, das Schnupfen, Halskratzen und tränende Augen hervorruft. Langsam wird die Menge gesteigert. So gewöhnt sich das Immunsystem an das Allergen und lernt quasi, dass es ungefährlich ist.
Bis ein Medikament auf den Markt kommt, dauert es bis zu 18 Monate
Auch wenn die Immuntherapie langwierig ist, hat sie den großen Vorteil gegenüber allen anderen Behandlungen, dass sich die Allergie meist nicht weiter ausbreitet und deren Symptome gelindert werden oder gar ganz verschwinden. Zudem verhindert sie, dass sich eine sogenannte Kreuzallergie oder im schlimmsten Fall sogar ein Asthma entwickelt. „Diejenigen aber, die drei Jahre kontinuierlich am Ball bleiben, bei denen stehen die Chancen sehr gut, dass die Allergie ausgeheilt ist und sie beschwerdefrei durch die nächste Pollensaison kommen“, sagt Willers.
Vor jedem Beginn appellieren die Ärzte an das Durchhaltevermögen der Patienten: Denn die Therapie ist kostenintensiv. Das liege auch daran, dass es bis zu 18 Monate dauert, bis das Medikament für den Markt freigegeben wird, erklärt der Geschäftsführer.
Nachholeffekte der Pandemie sind ein Vorteil für das Unternehmen
Zudem profitiert das Unternehmen immer noch von einem sogenannten Nachholeffekt aus der Pandemie. Denn während der Pandemie und die erste Zeit danach haben sich nur wenige Allergiker getraut, ihr Immunsystem – neben der wieder aufkommenden Virenlast – weiter zu fordern. Mittlerweile ist das Immunsystem bei den meisten aber wieder trainiert.
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Mit Corona hat Allergopharma nur noch bedingt zu tun. Das war im Herbst 2021 noch ganz anders. Da unterstützte das Reinbeker Pharmaunternehmen Biontech und Pfizer und produzierte im Dreischichtsystem Corona-Impfstoffe. Doch die Produktion ist mittlerweile vollkommen eingestellt, da die Nachfrage zu gering ist: „Im ersten Quartal 2023 liefen bei uns die letzten Chargen vom Band“, sagt Willers.
Die Zusammenarbeit mit Biontech ist aber nicht beendet und wird im Forschungsbereich fortgesetzt. Hier gehe es vor allem darum, neue Therapieansätze zu entwickeln und bestehende in ihrer Wirksamkeit zu verbessern, sagt der 54-Jährige.
Marktführer in der Allergieimmuntherapie
Allergopharma, der größte deutsche Hersteller auf dem Gebiet der Allergietherapie, ist Marktführer in der subkutanen Allergieimmuntherapie. Seinen Marktanteil dürfte das Unternehmen im kommenden Jahr weiter ausbauen: „Wir haben als erstes internationales Unternehmen eine Niederlassung in Indien gegründet“, sagt der Geschäftsführer.
Indien sei zwar selbst bekannt als billiger Produktionsstandort für Arzneimittel, „aber bei der Allergiediagnostik ist das Land bislang unterversorgt“.
In Indien leiden die Menschen vor allem unter Hausstaub- und Pollenallergien
Das Potenzial im bevölkerungsreichsten Land der Erde mit 1,4 Milliarden Einwohnern ist riesig. Hier bilden die Menschen vor allem Hausstaub- und Pollenallergien aus. Im kommenden Jahr will Allergopharma mit dem Vertrieb seiner Produkte in Indien beginnen. „Produziert wird aber weiterhin ausschließlich in Reinbek. Hier können wir auf unser hoch qualifiziertes und engagiertes Personal zählen“, sagt Willers.
Bereits 2015 hat sich das Pharmaunternehmen mit dem Bau der hochmodernen Produktionshalle an der Herrmann-Körner-Straße ganz klar zum Standort Reinbek bekannt. Knapp 50 Millionen Euro sind in den Neubau mit der grauen Fassade und großen Glasfront geflossen. Die Halle ermöglichte es, die Produktion hocheffizient zu gestalten und um 50 Prozent zu steigern.
Allergopharma: 55 Jahre am Standort Reinbek
Die Gebäude der Allergopharma sind in der 55-jährigen Unternehmensgeschichte nach und nach entstanden. Das Unternehmen wurde 1969 von Joachim Ganzer und dem Pharmaunternehmen Hermal als Teil der Merck-Gruppe gegründet. Nach dem Ausscheiden des Unternehmensgründers Ganzer gehörte Allergopharma von 2013 bis 2020 vollständig der Merck-Gruppe.
Im April 2020 wurde es an die bayrische Dermapharm Holding mit Sitz in Grünwald bei München verkauft. Zum Zeitpunkt der Übernahme hatte Allergopharma 500 Mitarbeiter. Danach sorgte das Unternehmen mit einem massiven Arbeitsplatzabbau für Negativschlagzeilen. Allergopharma ist einer der größten Steuerzahler in der Stadt Reinbek.