Aumühle. Laut „ZDF Magazin Royale“ sollen in einer Waldhütte 21 Unternehmen residieren. Bürgermeister der Nachbarkommunen sind verblüfft.

Still ist es im Sachsenwald, sehr still. Ein Reh läuft durchs Unterholz, kaum ein Spaziergänger zeigt sich dort auf dem Weg zum Stangenteich. Zur Hütte im Wald. „Wir hatten gedacht, dass jetzt alle dorthin pilgern, nach den Aufdeckungen von Jan Böhmermann am Freitagabend“, sagt eine Frau aus Altona, die ihren Namen nicht nennen möchte. Gemeinsam mit ihrem Mann ist sie auf Fotosafari, Lieblingsmotiv: Pilze. „Eigentlich wollten wir auch dorthin wandern, aber wir waren zu spät dran, und da war uns der Weg dann doch zu weit“, erklärt er. „Da scheinen sich doch wohl noch feudale Strukturen erhalten zu haben in Aumühle. Das ist doch befremdlich.“ Beide sind sehr gut unterrichtet über den Inhalt der Sendung.

Satiriker Jan Böhmermann greift in der neuesten Ausgabe des „ZDF Magazin Royale“ die Familie von Bismarck an. Die Ergebnisse einer investigativen Recherche lassen vermuten, dass der Sachsenwald des Unternehmers Gregor von Bismarck, Ururenkel des ersten deutschen Reichskanzlers, eine Steueroase ist. Böhmermann wundert sich über die vielen Briefkästen an einer einsamen Hütte am Stangenteich. Die Kästen und die in der Sendung beschriebenen Firmenschilder sowie ein Schild mit der Aufschrift „Büro“ hängen an der Fassade. Die dunkle, mit Reetdach eingedeckte Hütte aber liegt verlassen da.

Reaktion auf Böhmermann: Bismarcks Steueroase im Sachsenwald „schon ziemlich schräg“

Im Zentrum der Recherche, für die das Böhmermann-Team mit der Internetplattform „Frag den Staat“ zusammengearbeitet hat, steht diese abgelegene Hütte in Schleswig-Holsteins mit knapp 70 Quadratkilometern größtem zusammenhängenden Waldgebiet östlich von Hamburg. Unter der Adresse „Stangenteich 2, 21521 Sachsenwald“ residieren hier demnach mindestens 21 Unternehmen.

Der Grund: Sie zahlen dort laut Fernsehbericht eine extrem niedrige Gewerbesteuer. Der Hebesatz liegt laut den Recherchen bei nur 275 Prozent – und das unverändert bereits seit 1958. Zum Vergleich: In Hamburg ist er mit 470 Prozent erheblich höher, und selbst die kleine Sachsenwald-Nachbargemeinde Aumühle verlangt 350 Prozent.

Sachsenwald ist so etwas wie eine eigene, kommunale Verwaltungseinheit

Möglich macht den niedrigen Hebesatz der besondere Status des Sachsenwaldes als „gemeindefreies Gebiet“ – ein Relikt aus der „Landgemeindeordnung für die Provinz Schleswig-Holstein“ aus dem Jahr 1892. Einst war der Sachsenwald das Jagdgebiet von Kaiser Wilhelm I. 1871 schenkte der Monarch ihn seinem Reichskanzler Otto von Bismarck als Dank für dessen Rolle bei der deutschen Reichseinigung. Bis heute befinden sich große Teile des Sachsenwaldes im Eigentum der Familie Bismarck, die im nahe gelegenen Schloss im Aumühler Ortsteil Friedrichsruh lebt. Der Sachsenwald ist so etwas wie eine eigene, kommunale Verwaltungseinheit.

Die Familie Bismarck hat laut den Recherchen auf Grundlage des Gesetzes aus der Kaiserzeit im Sachsenwald alle Rechte und Pflichten, die sonst nur Städte und Gemeinden haben. Dazu gehöre auch, die Gewerbesteuer einzunehmen. Als Gutsbesitzer dürfe Gregor von Bismarck dem Lauenburger Landrat einen Gutsvorsteher vorschlagen, der die Verwaltungsaufgaben für das gemeindefreie Gebiet übernimmt – darunter auch die Festlegung des Gewerbesteuerhebesatzes.

Steueroase im Sachsenwald: Bürgermeister war das Steuersparmodell unbekannt

Aumühles Bürgermeister Knut Suhk (Grüne) hat gewusst, dass der Sachsenwald der Familie Bismarck eine eigene kommunale Verwaltungseinheit ist. Doch dass sich Bismarck angeblich seine eigenen Gewerbesteuern auszahle und auch durch die Sitze weiterer Firmen Einnahmen generiere, habe er erst durch das satirische „ZDF Magazin Royale“ erfahren. „Seitdem wurde es durch die vielen Anfragen am Wochenende etwas turbulent“, sagt der ehrenamtliche Bürgermeister der Gemeinde, die unmittelbar an den Sachsenwald grenzt. „Bisher sind das für mich allerdings nur Behauptungen, die Recherche kann ich nicht nachprüfen“, sagt Suhk.

Stangenteich im Sachsenwald
Die Hütte liegt abgelegen am idyllischen Stangenteich im Sachsenwald. © Susanne Tamm | Susanne Tamm

Seine Mitarbeitenden hätten eine Anfrage an das Innenministerium gestellt, und jetzt warteten sie auf eine Antwort von offizieller Seite. „Aber generell mutet das schon alles ziemlich seltsam an“, stellt Suhk fest und berichtet: „Bei meinem Amtsantritt vor sechs Jahren hat mich der Gutsverwalter der Bismarcks sogar noch überall herumgefahren. Deshalb kannte ich dieses Gebäude, aber ich wusste nicht, dass dort andere Firmen als die der Familie von Bismarck angesiedelt sind.“

Reinbeks Bürgermeister Björn Warmer: „Das ist schon ziemlich schräg“

Auf der anderen Seite des Sachsenwaldes liegt Reinbek. Im Rathaus bei Bürgermeister Björn Warmer nachgefragt, sagt dieser: „Dass der Sachsenwald gemeindefreies Gebiet ist, ist allgemein bekannt, mir auch.“ Dass es dort einen eigenen Gewerbesteuerhebesatz geben soll, stoße bei ihm allerdings auf Verwunderung. „Das ist schon ziemlich schräg, muss ich sagen“, sagt der Bürgermeister. „Wenn man der Recherche Glauben schenken kann, diese Vorsicht muss man walten lassen, ist es ja eine Regelung, die knapp 70 Jahre alt ist und auf die 50er-Jahre zurückgeht. Das leuchtet mir nicht ein. Ich wüsste nicht, warum das so sein sollte.“

Satiriker Jan Böhmermann hat die Vorwürfe im ZDF Magazin Royale öffentlich gemacht.
Satiriker Jan Böhmermann hat die Vorwürfe im ZDF Magazin Royale öffentlich gemacht. © picture alliance / Oliver Berg/d | dpa Picture-Alliance / Oliver Berg

Ob es ihn ärgerlich stimme, dass der Stadt Reinbek durch die Praxis im Sachsenwald Steuereinnahmen verloren gehen könnten? „Das ist spekulativ, weil die Firmen vielleicht eher in Hamburg Steuern zahlen würden, letztlich weiß man das nicht. Ich finde, dass es eine Frage von Haltung ist, wie man versteuert, gegenüber der Öffentlichkeit und der öffentlichen Hand.“ Dass jeder versuche, Steuern zu sparen, sei normal. Aber: „Es ist eine Frage des guten Geschmacks, wie man es macht“, so Warmer. Wenn sich die Vorwürfe als wahr herausstellen sollten, dann sei das, was im Sachsenwald passiere, „sicherlich untunlich“, so der Bürgermeister.

Auskunft verweigert? Eilantrag beim Verwaltungsgericht eingegangen

Der Verwaltung des Kreises Herzogtum Lauenburg in Ratzeburg ist sowohl bekannt, dass der Sachsenwald ein gemeindefreies Gebiet ist, als auch, dass Gregor von Bismarck seinen eigenen Gewerbesteuersatz erheben und die Steuern kassieren darf. „Selbstverständlich war das bekannt, der Landrat hat ja die von Böhmermann beschriebene Verfügung erlassen“, sagt Kreissprecher Karsten Steffen. „Er hat allerdings bisher keine Gewerbesteuerkreisumlage gezahlt, weil das Statistikamt Nord die dortige Steuerkraft und den Messbetrag bisher mit null ausgewiesen hat. Dies aber überprüfen wir jetzt gerade.“ Genauso wie die Finanzbehörden den Firmensitz überprüfen würden.

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Unterdessen hat die Initiative „Frag den Staat“ am 10. Oktober beim Verwaltungsgericht Schleswig-Holstein den Erlass einer einstweiligen Anordnung zur Offenlegung der Gewerbesteuereinnahmen des Forstbezirks gegen den Eigentümer Herrn Gregor Graf von Bismarck und seinen Gutsverwalter beantragt. Denn obwohl der Sachsenwald wie auch Städte und Gemeinden verpflichtet ist, das Steueraufkommen jährlich an das Land Schleswig-Holstein zu melden, lägen dort laut Innenministerium keine Zahlen vor, so „Frag den Staat“. Gregor von Bismarck und sein Gutsverwalter verweigern dem Portal zufolge die Auskunft. Freya Gräfin Kerssenbrock, stellvertretende Pressesprecherin des Verwaltungsgerichts, bestätigt, dass ein entsprechender Eilantrag vorliege. „Der Gegenseite wurde nun eine Frist von zwei Wochen eingeräumt, um zu dem Antrag Stellung zu nehmen“, sagt Kerssenbrock.

Gregor von Bismarck verweist auf seine Antworten ans ZDF

Gregor von Bismarck erklärt in einer ersten Stellungnahme auf Anfrage unserer Redaktion, dass er sich „bereits umfassend gegenüber FragdenStaat und dem ZDF geäußert“ habe und verweist auf die Internetseite von fragdenstaat.de, auf der unter anderem seine Stellungnahme nachzulesen ist. „Darin bestätigen das Amt Hohe Elbgeest, der Landrat aus Ratzeburg sowie die Finanzverwaltung Schleswig-Holstein, dass die Gewerbesteuern vom Forstgutsbezirk Sachsenwald rechtmäßig erhoben werden und alle Umlagen korrekt abgeführt werden“, so von Bismarck.