Oststeinbek. Holger Voß aus Oststeinbek will, dass mehr Menschen Erste Hilfe leisten können. Mit der Bürger-Stiftung Stormarn findet er die Lösung.

Der Rettungswagen trifft nach etwa zwanzig Minuten ein. Da ist es schon zu spät: Brigitte Voß (67) lebt nicht mehr. Herzstillstand. Mitten in der Nacht. Ihr Ehemann Holger hat sofort den Notruf abgesetzt. „Zu mehr war ich damals nicht in der Verfassung“, sagt der heute 81 Jahre alte Oststeinbeker, als er die schlimmsten Momente seines Lebens beschreibt. Brigitte Sibylle Voß verstirbt im September 2017, neben ihrem Mann hinterlässt die einst lebenslustige und engagierte Frau zwei erwachsene Söhne, Thomas und Christian. „Sie hat sich immer für andere eingesetzt“, sagt Holger Voß. „Und das überwiegend in ihrer Freizeit.“

Brigitte Voß gründet unter anderem den Havighorster Bürgerverein, betreut das Seniorenkaffeetrinken, unterstützt Geflüchtete – und leitet ehrenamtlich die Volkshochschule Oststeinbek. 18 Jahre lang, bis zu ihrem plötzlichen Herzstillstand. Das unermüdliche soziale Engagement seiner Frau zu Lebzeiten ist vielleicht der Grund, dass Holger Voß mit der Gründung einer Stiftung auch ihrem Tod eine Bedeutung verleihen will, die anderen zugutekommt. Noch in seiner ersten Trauerphase recherchiert der Witwer nach Möglichkeiten, anderen Familien solch ein Unglück zu ersparen. „Schnellere Erste Hilfe hätte meiner Frau das Leben gerettet“, ist Holger Voß überzeugt. „Also habe ich überlegt, wie die organisiert werden könnte.“

Herzstillstand: Ehefrau stirbt – Witwer aus Oststeinbek hat nun eine Mission

Zusammen mit seinen Söhnen will der Verlagskaufmann eine App entwickeln, die parallel zum regulären Einsatzalarm für den Rettungsdienst auch Ersthelfer alarmiert, wenn in deren direktem Umfeld ein Notfall gemeldet wird. Sie können innerhalb weniger Minuten lebensrettende Erste-Hilfe-Maßnahmen ergreifen und so die Zeit bis zum Eintreffen der Profis im Rettungswagen überbrücken. Gerade bei einem Herzstillstand ist schnelles Handeln entscheidend: Je früher mit einer Herzdruckmassage begonnen wird, desto größer sind die Chancen des Patienten. Pro Minute, in der nicht wiederbelebt wird, sinkt die Überlebenswahrscheinlichkeit um zehn Prozent. Die Rechnung ist eindeutig: Auch wenn der Rettungswagen die in Schleswig-Holstein derzeit vorgegebene Hilfsfrist (Zeitraum ab Alarmierung durch die Leitstelle bis zum Eintreffen des ersten geeigneten Rettungsmittels am Einsatzort) von zwölf Minuten einhält – bei einem Herzstillstand käme jede Hilfe zu spät.

Thomas, Christian und Holger Voß finden heraus, dass es eine Alarmierungs-App für Ersthelfer bereits gibt. Sie heißt ‚Meine Stadt rettet‘, entwickelt vom Uniklinikum Schleswig-Holstein am Standort Lübeck gemeinsam mit Partnern. Hier können sich Freiwillige registrieren. Die Anforderungen: Mindestalter 18 Jahre und ein abgeschlossener Erste-Hilfe-Kursus, der nicht länger als zwei Jahre zurückliegt. Die bei der kostenlosen App registrierten Helfer sind während des Einsatzes speziell versichert. „Doch Stormarn war noch nicht flächendeckend im Notruf eingebunden“, sagt Holger Voß. Das ändert sich nach einem Gespräch mit Jörg Schumacher, dem Geschäftsführer der Bürger-Stiftung Stormarn, unter deren Dach Voß einen Stiftungsfonds gründet, der den Namen seiner verstorbenen Frau trägt. Mit großem persönlichem Einsatz schafft Schumacher es, dass der Kreis Stormarn die App einbindet und somit Teil des engmaschigen Rettungsnetzes wird.

Herzstillstand: Im Notfall zählt jede Minute

Jörg Schumacher hat selbst lange ehrenamtlich im Rettungsdienst gearbeitet, das Thema Erste Hilfe liegt ihm am Herzen. Er sagt: „Es war erschreckend mitzuerleben, wie häufig Menschen verstorben sind, weil sich niemand getraut hat zu helfen.“ Meistens aus Unwissenheit oder der Angst heraus, etwas falsch zu machen. „Dabei ist der größte Fehler, nichts zu tun“, so Schumacher weiter. Er verweist auf die skandinavischen Länder, in denen Kurse zur Ersten Hilfe bereits im Kindergarten gegeben werden. Natürlich altersgerecht. „In Schulen gibt es Wettbewerbe, wer am besten reanimieren kann. Die wachsen damit auf, lernen spielerisch zu helfen und wissen daher fast im Schlaf, was im Notfall zu tun ist. Davon sind wir leider noch meilenweit entfernt.“ Deshalb unterstütze die BürgerStiftung Stormarn dieses Thema, wo immer es geht. So fördert die 2007 gegründete Dachorganisation auch die Kampagne „Respekt für Retter“, die derzeit in den Kreisen Ostholstein und Stormarn läuft und Wertschätzung und Dank für oft ehrenamtliche Rettungskräfte zum Ausdruck bringen will.

Katharina Heitmann, Ehrenamtskoordinatorin des DRK-Kreisverbands Stormarn, ist eine Ersthelferin, die einen rund 2.300 Euro teuren Defibrillator von der Brigitte Voß-Stiftung erhalten hat. Die Hamfelderin ist bei der Freiwilligen Feuerwehr ihres Heimatdorfes aktiv und dort sogenannte First Responderin. Bei einem Notfall wird sie über die Leitstelle alarmiert – aber auch über die App ‚Saving Life‘. So heißt die ‚Meine Stadt rettet‘-App inzwischen, die seit 2020 in Trägerschaft des Arbeiter-Samariterbundes (ASB) als flächendeckendes Projekt für ganz Schleswig-Holstein fortgeführt wird. Aktuell sind hier etwa 32.600 App-Retter registriert. „Die Erfahrungen zeigen einen deutlichen Anstieg der Reanimationsquote“, sagt Hanjo Merkle, ASB-Landesfachreferent im Bereich Rettungsdienst und Notfallvorsorge.

Herzstillstand: Die App kann Leben retten

Ersthelferin Katharina Heitmann
Katharina Heitmann ist Ersthelferin bei der Freiwilligen Feuerwehr in Hamfelde. Gemeinsam mit der Brigitte-Voß-Stiftung lehrt sie Menschen, Leben zu retten. © Timon Kronenberg | Timon Kronenberg

„Diese App rettet Leben!“, sagt Katharina Heitmann. Handfeste Zahlen, wie viele Menschen allein dank der App überlebt haben, könne sie zwar nicht liefern, „aber auch wenn nur ein einziges Leben dadurch gerettet werden kann, hat sie sich doch schon gelohnt.“ So sieht das auch Stifter Holger Voß, der immer erfährt, wenn einer der von ihm gestifteten Defibrillatoren in den Einsatz kam und in der Werkstatt wieder neu eingestellt werden muss. Er erfährt aber nicht, ob die Reanimation damit erfolgreich war. Das wolle er auch gar nicht wissen. „Mir muss niemand beweisen, dass sich die Defis und die App lohnen“, so der Oststeinbeker. Das stehe für ihn zweifelsfrei fest. „Allein, dass die Angehörigen durch den schnellen Einsatz von Ersthelfern sehen, dass wirklich alles Menschenmögliche zur Rettung getan wird, ist enorm wichtig. Wenn es trotzdem zu Ende geht, ist zumindest die Gewissheit da, dass alles versucht wurde.“

Herzstillstand: Ersthelferin war schon oft im Einsatz

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Ersthelferin Katharina Heitmann hat diese Erfahrung schon oft hautnah miterlebt und bestätigt das. Häufig stehen die Angehörigen bei einem Notfall selbst unter Schock und sind handlungsunfähig – umso wichtiger seien die über die App in unmittelbarer Umgebung alarmierten Ersthelfer. Bei einem Herzstillstand können die innerhalb kürzester Zeit mit einer Druckmassage beginnen und diese bis zum Eintreffen der Rettungskräfte fortführen. In Zusammenarbeit mit der Brigitte Voß-Stiftung und dem DRK betreibt Heitmann Aufklärungsarbeit, zeigt bei Veranstaltungen unter anderem, wie die Herzdruckmassage funktioniert. „Wer sich – warum auch immer – keine Zeit nehmen will oder kann, einen ganzen Kurs zu machen, der sollte wenigstens mal ein Training absolvieren. Und das gern in regelmäßigen Abständen“, so die Mutter einer Tochter.

Details zur Brigitte Voß-Stiftung gibt es online unter www.buerger-stiftung-stormarn.de. Informationen zur App „Saving Life“ stehen unter www.asbsh.de. Das Stiftungsbüro der Bürgerstiftung ist telefonisch unter 04537/70 700 13 erreichbar.