Kiel/Reinbek. Justizministerin plant aus Kostengründen Aufgabe zahlreicher Standorte. Auch vier Gerichte im Hamburger Umland sind Streichkandidaten.
Es war ein Paukenschlag, was das schleswig-holsteinische Justizministerium vergangene Woche öffentlich machte: In den kommenden Jahren soll ein Großteil der Gerichtsstandorte im Land aus Kostengründen geschlossen werden. Betroffen sind die Amtsgerichte sowie die Sozial- und die Arbeitsgerichte. Es hagelte Kritik nicht nur aus der Opposition, sondern auch von Richterverband und Sozialverband.
Auf Antrag der SPD hat sich nun der Landtag mit dem Reformvorhaben befasst. Marc Timmer, justizpolitischer Sprecher der Sozialdemokraten, spricht von einer „Holzhammermethode für die Beschäftigten in der Justiz“, mit der die schwarz-grüne Landesregierung hier vorgehe. „Die vielen Richterinnen und Richter sowie Beamte und Angestellte des öffentlichen Dienstes fühlen sich zu Recht völlig vor den Kopf gestoßen.“
Mehrere Amtsgerichte in Schleswig-Holstein vor dem Aus: Kritik reißt nicht ab
Derzeit gibt es in Schleswig-Holstein 22 Amtsgerichte sowie fünf Arbeits- und vier Sozialgerichte. Bis 2027 sollen nach dem Plan vom Justizministerin Kerstin von der Decken (CDU) letztere in einem „Fachgerichtszentrum“ an einem noch zu bestimmenden Standort zusammengelegt werden. Außerdem soll das Finanzgericht von Kiel nach Schleswig ziehen, wo bereits die Verwaltungsgerichtsbarkeit ihren Sitz hat.
Die Zahl der Amtsgerichte soll mittelfristig auf nur noch eines pro Kreis reduziert werden. Eine Entscheidung über einzelne Standorte sei noch nicht getroffen, heißt es aus dem Ministerium. Die Überprüfung der Standorte erfolge insbesondere vor dem Hintergrund erheblicher und derzeit nicht finanzierbarer Sanierungsbedarfe sowie auslaufender Mietverträge an einzelnen Standorten. Der Zeitplan ist laut Ministerium noch ungewiss, allerdings könne es in Einzelfällen „in Abhängigkeit von den örtlichen Gegebenheiten auch kurzfristigere Entscheidungen“ geben.
Elmshorn, Norderstedt, Reinbek und Schwarzenbek zählen zu den Streichkandidaten
Es kursiert bereits eine inoffizielle Liste mit Streichkandidaten, auf der auch vier Standorte im Hamburger Umland zu finden sind. Einer davon ist Reinbek. Dort läuft der Mietvertrag für das Gebäude des Amtsgerichts an der Parkallee Ende dieses Jahres aus. Naheliegend wäre deshalb, dass die 53 Mitarbeiter an den größeren der beiden Standorte im Kreis Stormarn in Ahrensburg wechseln, wo das Gebäude dem Land gehört.
Auch die Amtsgerichte in Norderstedt, Schwarzenbek und Elmshorn werden als Streichkandidaten genannt. Für die Stadt im Kreis Pinneberg wäre eine Schließung des Amtsgerichts besonders bitter, verliert sie doch auch schon das dort ansässige Arbeitsgericht.
Justizpolitischer Sprecher der FDP nach Bekanntwerden der Pläne „fassungslos“
Die Opposition kritisierte im Landtag vor allem die Art und Weise, wie die Pläne der Landesregierung nun publik gemacht wurden. „Fassungslos ist noch ein geringer Ausdruck für das, was ich über die Art des Verfahrens denke“, so der justizpolitische Sprecher der FDP, Bernd Buchholz.
Die Ministerin erkläre von oben herab, dass die Reform alternativlos sei, ohne zuvor mit den Betroffenen gesprochen zu haben. „So geht man mit Beschäftigten nicht um.“ Das Vorhaben sei unausgereift. „Wo sollen die Bediensteten aus Reinbek hin in Ahrensburg?“, wollte Buchholz von der Ministerin wissen.
Reinbeker Abgeordneter: Landesregierung hält Zusagen nicht ein
Die notwendigen Umbaumaßnahmen erforderten einen Vorlauf von mindestens fünf oder sechs Jahren. Der FDP-Politiker aus Ahrensburg warf der Landesregierung zudem vor, an der falschen Stelle zu sparen. „Wenn ein Staat in eine schwierige Haushaltslage kommt, muss er sich auf seine Kernaufgaben konzentrieren.“ Dazu gehöre die Justiz.
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„Es geht einfach nicht, dass die Landesregierung einen Großteil der Gerichte im Land dichtmacht, ohne dies in irgendeiner Form mit den Beschäftigten, den Standortgemeinden oder dem Landtag zu besprechen“, sagt Martin Habersaat, stellvertretender Vorsitzender der SPD-Landtagsfraktion. Wie überraschend die geplanten Schließungen seien, mache ein Blick in den Koalitionsvertrag deutlich. „Dort heißt es, es würden alle Standorte der schleswig-holsteinischen Justiz erhalten bleiben“, so Habersaat. „Die eigenen Zusagen werden nicht eingehalten, es wird von oben herab durchregiert“, kritisiert der Reinbeker.
CDU-Politikerin: Auch Ausnahmen von Regel „ein Gericht pro Kreis“ denkbar
Politiker der Regierungsfraktionen verteidigten die Reform. Die Ankündigung sei ein „Paukenschlag“, räumte die Reinbeker CDU-Landtagsabgeordnete Marion Schiefer ein. Es sei nachvollziehbar, dass die betroffenen Beschäftigten geschockt seien. Die aktuelle Haushaltslage erfordere es aber, dass „alles auf den Prüfstand kommt“, so Schiefer. „Die Ministerin hat etwas erstritten, das bisher niemand würdigt, das aber von hohem Wert ist: Sie hat es geschafft, dass es keinen Aderlass beim Personal gibt.“
Von der Decken werde nun die erforderlichen Gespräche mit jedem Gericht führen, so die CDU-Politikerin. Es seien zudem auch Ausnahmen von der Regel „ein Amtsgericht pro Kreis“ denkbar, wenn es dafür gute Gründe gebe, verprach Schiefer.
Staatsanwaltschaften sollen zusätzliches Personal erhalten
Vom Koalitionspartner gab es Unterstützung für die Pläne von der Deckens. „Das Ansinnen einer Reform der Justizstruktur im Land entspringt allein der Not“, sagte der rechtspolitische Sprecher der Grünen, Jan Kürschner. Die Ministerin sei um diese Aufgabe nicht zu beneiden.
„Fakt ist: Die Gerichtsgebäude sind in vielen Fällen sanierungsbedürftig. Und dies müsste das Justizministerium aus den eigenen Haushaltsmitteln bewerkstelligen. Diese Mittel hat es nicht“, so Kürschner. „Wir werden mehr Personal bei den Staatsanwaltschaften einstellen und den Belastungen dort begegnen. Wir wollen eine starke Justiz und erfüllen unser Versprechen aus dem Koalitionsvertrag, einen Deckungsgrad von 100 Prozent nach dem Personalbedarfsberechnungssystem bei den Staatsanwaltschaften zu erreichen.“