Großensee. SWR setzt erfolgreiche Jugendbuchreihe von Kirsten Boie fürs Fernsehen um. Warum statt an der Schlei im Hamburger Umland gedreht wird.
Schon die Anfahrt könnte so auch der Beginn eines guten Films sein: Vom bekannten Freibad am Südstrand des Großensees geht es mit einem Shuttlebus rund zwei Kilometer durch den Wald. Nach kurzer Zeit weicht die asphaltierte Straße einem Sandweg, der sich zwischen eindrucksvollen Fichten auf der rechten und dem Wasser auf der linken Seite hindurch windet.
Ein Schild weist darauf hin, dass der öffentliche Weg endet, nur Anlieger dürfen hier noch weiterfahren. Nach etwa zehn Minuten Fahrzeit hält der Shuttlebus an einem mächtigen Eisentor. Dahinter befindet sich eine Lichtung mit einem kleinen, heimeligen Reetdachhaus im Zentrum. Es ist das letzte Grundstück, danach kommt nur noch Wald.
„Ein Sommer in Sommerby“ als Film: So läuft der Dreh am Großensee
Für gewöhnlich geht es hier in der Abgeschiedenheit der Natur ruhig zu. Allerhöchstens kommen mal Spaziergänger oder Radfahrer vorbei. In den vergangenen zwei Wochen ist das anders. Ein ganzer Fuhrpark von Fahrzeugen steht in der Grundstückszufahrt. Garderoben, Maske, Catering. Männer und Frauen tragen Technik hin und her, reden hektisch in ihr Headset oder Walkie-Talkie.
Seit Ende August wird hier am Großensee, auf dem Grundstück der Familie Hansen, für die Buchverfilmung „Ein Sommer in Sommerby“ gedreht. Der Film nach der gleichnamigen Romanvorlage von Kirsten Boie ist eine Gemeinschaftsproduktion von SWR, NDR und Radio Bremen.
„Ein Sommer in Sommerby“: Bei Oma Inge gibt es weder Mobilfunknetz noch einen Telefonanschluss
„Ein Sommer in Sommerby“ ist der Auftakt einer inzwischen vier Bände umfassenden Jugendbuchreihe um die drei Geschwister Martha, Mikkel und Mats, die sich widerwillig zu ihrer Großmutter aufs Land schickten lassen – sie haben sie zuvor noch nie gesehen. Oma Inge lebt in dem fiktiven Ort Sommerby an der Schlei abgeschieden in einem kleinen Haus, allein mit ihren Tieren.
Der Film erzählt eng am ersten Buch die Ankunft der Geschwister in Sommerby: Als die Mutter der drei Großstadtkinder während eines Aufenthaltes in New York einen Unfall hat, reist ihr Vater hinterher und schickt die Kinder zu Oma Inge. Bei ihrem kleinen Häuschen, weit entfernt von der Stuttgarter Heimat, gibt es weder Mobilfunknetz noch einen Telefonanschluss oder eine Straßenanbindung.
SWR-Kinderchefin würde gern auch die anderen Sommerby-Bücher verfilmen
Eigentlich haben die Kinder gar keine Lust auf den unfreiwilligen Aufenthalt bei ihrer Großmutter. Doch dann lernt Martha den Nachbarsjungen Enes kennen, Mats die Hühner, Mikkel wird zum Helden – und Sommerby wird zum Sehnsuchtsort mit unendlichen Freiheiten. Inge wiederum tut sich zu Beginn mit der neuen Nähe zu ihren Enkeln schwer. Man merkt der einsamen Frau an, dass sie schon lange niemanden mehr so nah um sich hatte. Dann bedroht ein skrupelloser Immobilienmakler das Paradies, und die Kinder müssen über sich hinaus wachsen, um Sommerby zu retten.
Schon jetzt lässt Stefanie von Ehrenstein, Leiterin der Abteilung Kinder- und Familienprogramm beim federführenden SWR, durchblicken, dass sie auch gern die übrigen Sommerby-Romane für das Fernsehen umsetzen würde. „Es gibt entsprechende Überlegungen, wenn der erste Teil beim Publikum gut ankommt“, sagt sie und schwärmt von der Buchvorlage. „Kirsten Boie hat ein einzigartiges Talent, Geschichten auf Augenhöhe der Kinder, aber dennoch für die ganze Familie zu erzählen.“
Sommerby: Der Drehort in Großensee bietet dem Filmteam mehrere entscheidende Vorteile
Tatsächlich an der Schlei gedreht haben Produzent Levin Hübner von der Wüste Medien GmbH, die „Ein Sommer in Sommerby“ im Auftrag des SWR umsetzt, und sein Team nur drei Tage lang. Der Hauptteil des Films entsteht in Großensee. „Natürlich war ein Dreh am Handlungsort an der Schlei auch eine Option, aber die Nähe zu Hamburg erleichtert die Logistik im einiges“, sagt Hübner. In Sachen Abgelegenheit kann das Anwesen der Hanses mit dem von Oma Inge im Buch in jedem Fall mithalten.
Das Team hat zuvor Dutzende potenzielle Drehorte besichtigt. „In Großensee haben wir zwei entscheidende Vorteile, die letztlich den Ausschlag gegeben haben“, sagt der Produzent. Das sei zum einen die direkte Wasseranbindung. „Zum anderen können wir zahlreiche Szenen an einem Ort drehen, ohne aufwendig mit dem Filmteam reisen zu müssen.“
Auf dem Grundstück wurde bereits für den „Tatort“ und für Pilcher gedreht
Denn auf dem Grundstück der Hansens fanden die Locationscouts gleich mehrere geeignete Motive: Das reetgedeckte Hauptgebäude dient für die Außenaufnahmen von Oma Inges Haus, die Innenaufnahmen werden in einer zurzeit leer stehenden Blockhütte daneben gedreht. Eine Garage wird zur Werkstatt des Nachbars Boysen, ein Pavillon zum Hühnerstall. Auch am Bootssteg, im Garten und im angrenzenden Wald wird gefilmt.
Die Hansens haben bereits Erfahrung mit großen Filmproduktionen. Schon mehrfach haben sie ihr rund neun Hektar großes Grundstück zur Verfügung gestellt. Für den „Tatort“, den „Tatortreiniger“, „Rosamunde Pilcher“ und viele weitere Serien und Filme wurde hier bereits gedreht.
Autorin Kirsten Boie lebt nur 20 Minuten mit dem Auto vom Drehort entfernt
Heute wird eine Szene gefilmt, die in der Küche von Oma Inge spielt. Die Kinder, die bisher mit einer Geschirrspülmaschine aufgewachsen sind, sollen der Großmutter beim Abwaschen helfen – für sie eine gänzlich neue Erfahrung. Im Buch ist es eine Schlüsselszene.
Es ist hoher Besuch im Haus: Romanautorin Kirsten Boie verfolgt die Dreharbeiten von hinter der Kamera aus. Wie es ist, wenn die Bilder, die sie beim Schreiben im Kopf gehabt habe, plötzlich zum Leben erwachen? „Es ist ein tolles Gefühl“, sagt die 74-Jährige, die zu den erfolgreichsten deutschsprachigen Kinder- und Jugendbuchautoren gehört und nur rund 20 Autominuten vom Drehort entfernt in Barsbüttel lebt. „Manches ist anders, als ich es mir vorgestellt habe, aber das ist nicht schlimm“, sagt Boie.
„Sommerby“: Für die Kinderdarsteller gibt es von der Romanautorin ein besonderes Lob
Der Film müsse für sich genommen überzeugend sein. „Mir ist wichtig, dass die Verfilmung dasselbe Grundgefühl erzeugt, das ich beim Schreiben hatte“, so die Autorin. Das sei in diesem Fall gelungen. „Als die Verantwortlichen mit der Idee, einen Sommerby-Film zu machen, auf mich zukamen, habe ich sofort gespürt, dass das passt.“
Ein besonderes Lob gibt es von Boie für die Kinderdarsteller Samuel Muller (Mats, sieben Jahre), Gregory Richters (Mikkel, neun Jahre) und Lotta Herzog (Martha, zwölf Jahre). „Sie sind so jung und spielen so toll“, schwärmt die Autorin. Insbesondere fasziniere sie deren Dynamik untereinander, die genau zu jener zwischen den Geschwistern im Buch passe. Oma Inge wird von Johanna Gastdorf („Das Wunder von Bern“, „Sophia, der Tod und ich“) gespielt.
Boie hat sich aus dem Casting der Schauspieler bewusst herausgehalten
Aus dem Casting der Schauspieler hat sich die 74-Jährige bewusst komplett herausgehalten. „Das könnte ich gar nicht“, sagt sie. „Es gibt andere Menschen, die da ein viel besseres Gespür für haben. Ich bleibe lieber beim Schreiben, das kann ich. “
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Für den Innendreh hat das Filmteam das Blockhaus rund eine Woche lang aufwendig umgebaut. Es wurden provisorische Wände eingezogen, Möbel herangeschafft, und selbst die Bilder an den Wänden und die Dekoration auf Schränken und Regalen haben die Requisiteure mitgebracht. „Die Küche war schon an der Stelle, aber falls dem nicht so gewesen wäre, hätten wir auch kein Problem gehabt, eine einzubauen“, sagt Produzent Levin Hübner lachend.
Die Inneneinrichtung wurde für den Dreh aufwendig umgebaut
In diesem Fall wurden lediglich die Schränke und Türen der Küchenzeile und einige Geräte ausgetauscht. „Damit die Einrichtung nicht zu modern aussieht“, sagt Hübner. Bis zu acht Personen seien an der Konzeption eines Sets beteiligt. Nach Abschluss der Dreharbeiten wird alles wieder zurückgebaut.
Zwei Probedurchläufe gibt es, während der Regisseurin Mara Eibl-Eibesfeldt letzte Anweisungen gibt. Tisch und Stühle werden noch einmal zurechtgerückt, der richtige Kamerawinkel festgelegt. Katze Tica wird von ihrem Trainer ans Set gebracht, die im Film Oma Inges Katze Tiger verkörpert. Dann heißt es: „Alle Ruhe bitte, wir drehen!“ Im ersten Durchlauf hat einer der Darsteller einen kurzen Texthänger. Alles auf Anfang.
Eine falsche Hose führt zu einer Unterbrechung der Dreharbeiten
Dann meldet sich plötzlich eine Regieassistentin. Die Hose ist falsch! Von der Shorts, die Mikkel-Darsteller Gregory Richters trägt, gibt es ein helleres und ein dunkleres Modell. In der Szene, die direkt davor spielt, trägt der Junge das helle, nun aber das dunkle. Damit es später im fertigen Film keinen Anschlussfehler gibt, muss er noch einmal ins Kostüm und sich umziehen. Eine Mitarbeiterin führt genau Buch, damit derartige Logiklöcher nicht entstehen.
Anschließend wird weitergedreht. „Wir filmen jede Szene etwa 18 bis 20-mal“, sagt Produzent Hübner. Meist werde aus bis zu sechs verschiedenen Einstellungen gedreht, die später zusammengeschnitten werden, jede davon etwa dreimal, um später genug Material zur Auswahl zu haben. Diesmal ist die maximale Anzahl Durchläufe aber begrenzt. In der Szene geht ein Teller zu Bruch. „Wir haben neun Teller, spätestens beim neunten Mal muss also alles klappen“, sagt Hübner lachend. Am Ende sind es sieben der aus speziellem Zuckerglas gefertigten Teller, die dran glauben müssen.
„Ein Sommer in Sommerby“ soll Ende 2025 im Ersten ausgestrahlt werden
Bis Fernsehzuschauer das Ergebnis zu sehen bekommen, dauert es noch einige Zeit. Aktuell werden noch einige Szenen in Hamburg-St. Pauli und Hamburg-Altengamme gedreht. Dann muss das Material gesichtet und geschnitten werden. Voraussichtlich Ende 2025 soll „Ein Sommer in Sommerby“ dann im Ersten und in der ARD Mediathek ausgestrahlt werden.