Barsbüttel. Rettungssanitäter und Kindernotfallcoach Alexander Müller hat schon viele Säuglinge reanimiert – und weiß, was im Notfall zu tun ist.
Es ist wohl der Albtraum einer jeden Mutter und eines jeden Vaters: Da sitzt man mit dem Kleinkind am Essenstisch, es ist ein Tag wie jeder andere, und von einem auf den anderen Moment geht es um Leben und Tod. Das Kind bekommt keine Luft, ein Fremdkörper versperrt die Atemwege. In Situationen wie diesen zählt jede Sekunde, denn bis ein Rettungswagen vor Ort ist, dauert es viel zu lange. Rund 5000 Kindernotfälle dieser Art passieren in Deutschland jedes Jahr, dreiviertel davon zu Hause, weit weg von ärztlicher Hilfe. Gut beraten ist, wer sich in Erster Hilfe für Säuglinge auskennt.
Problem: „Viele Eltern wissen nicht, wie sie sich in einem solchen Fall verhalten müssen“, sagt Alexander Müller. Der Barsbütteler ist Kindernotfallcoach, hat sich 2021 mit Kursen für Eltern selbstständig gemacht, neben seinem Vollzeitjob bis zu 50 Stunden die Woche dafür investiert. Hauptberuflich ist er Notfallsanitäter bei der Berufsfeuerwehr in Hamburg und arbeitet zudem in der Notaufnahme eines Kinderkrankenhauses. „In meiner nun fast 20-jährigen Einsatzerfahrung habe ich ein Dutzend Eltern erlebt, die nicht in der Lage waren, ihren eigenen Kindern in einem Notfall sicher und richtig zu helfen“, sagt Müller. Nur sieben bis zehn von 100 reanimationspflichtigen Kindern überleben.
Erste Hilfe am Säugling: Was Eltern im Notfall wissen sollen
Genau das möchte er ändern – und Eltern und Großeltern zeigen, was im Ernstfall zu tun ist. Denn auf diesen sollten sie vorbereitet sein. Dass Säuglinge und Kinder Dinge in den Mund nehmen, kommt in der sogenannten oralen Phase häufig vor. Sie beginnt meistens ab dem fünften Lebensmonat und kann bis zur Vollendung des zweiten Lebensjahres andauern. In dieser Zeit erforschen die Kinder durch Beißen und Ertasten mit dem Mund ihre Umgebung. Es kann passieren, dass Legosteine, Münzen, Magnete, Murmeln oder Knopfbatterien eingeatmet oder verschluckt werden.
Aber auch beim Essen ist Vorsicht geboten: „Nüsse und Reiswaffeln, aber auch Gurkenstreifen können gefährlich werden“, sagt Müller. Weintrauben und Heidelbeeren sollten halbiert, Karotten vorgekocht und Spaghetti kleingeschnitten werden. Aber auch auf das richtige Verhalten kommt es an. „Die Kinder sollten ordentlich kauen und beim Essen am Tisch sitzen bleiben“, sagt der Kindernotfallcoach.
Erste Hilfe am Säugling: Wenn das Kind stark hustet, sollte man es husten lassen
Und was ist, wenn es trotz aller Vorsichtsmaßnahmen zum Ernstfall kommt und das Kind nach Luft schnappt? „Wenn das Kind stark hustet, sollte man es husten lassen“, sagt Müller. Husten sei ein guter Schutzreflex des Körpers. „Wenn es wenig oder gar nicht hustet, sollte man mit Schulterschlägen beginnen“, sagt er. Säuglinge sollten auf dem Schoß oder auf den Unterarmen in die Bauchlage gebracht werden und ihnen fünfmal zwischen die Schulterblätter geschlagen werden.
Zeigen die Schläge keinen Erfolg, soll der Säugling auf eine feste Unterlage gelegt werden. Dann sollen mit zwei Fingern vom unteren Brustkorb ruckartige, leicht drückende Bewegungen Richtung Kopf ausgeführt werden, diesen Schritt nennt man Thoraxkompression. Schulterschläge und Thoraxkompression sollten im Wechsel ausgeführt werden.
Erste Hilfe am Säugling: Es sollte so schnell wie möglich der Notruf abgesetzt werden
Zudem sollte so schnell wie möglich ein Notruf abgesetzt werden. Ist der Säugling bewusstlos und atmet nicht mehr, sollen Eltern sofort mit der Reanimation beginnen. Dafür beginnen sie mit fünf Beatmungen, dann 30 Mal die Herzdruckmassage im Wechsel mit zwei Beatmungen – so lange, bis der Rettungsdienst vor Ort ist. Das gilt für Säuglinge und Kleinkinder gleichermaßen.
„Auch bei Kleinkindern sollten Schulterschläge angewendet werden“, sagt Müller. Zeigt das keinen Erfolg, ist das sogenannte Heimlich-Manöver das Mittel der Wahl, das erst bei Kleinkindern ab Vollendung des ersten Lebensjahres angewendet werden darf. Dafür stellen oder knien Eltern sich hinter das Kind und beugen es nach vorn. Die Faust wird zwischen Bauchnabel und unterem Brustbein platziert. Mit der anderen Hand wird die Faust umfasst und diese kräftig und ruckartig fünfmal nach oben gezogen.
Kindernotfallcoach: Seine Leidenschaft wurde Alexander Müller quasi in die Wiege gelegt
„Mein Opa war bei der Feuerwehr und meine Mutter ist Hebamme, das Interesse an dem Thema wurde mir quasi in die Wiege gelegt“, sagt Müller, der aktuell sechs bis sieben Kurse pro Monat anbietet. Die meisten finden in Hamburg statt, weitere in Siek und Barsbüttel. Noch ist er allein, wird aber zeitnah zwei Mitarbeiter einstellen, einer ist ebenfalls Notfallsanitäter, die andere Kinderkrankenschwester. Auf seiner Internetseite www.amkino.de sind alle Informationen zu finden. „Die Abkürzung steht für Alexander-Müller-Kinder-Notfallcoach“, sagt er. Dass das Wort Kino im Namen enthalten sei, passe deshalb, weil Eltern, die kritische Situationen mit ihrem Kind erlebt haben, das Erlebnis oft als einen schlechten Film bezeichnen.
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Ähnliche Kurse wie den von Alexander Müller bieten zum Beispiel auch Hilfsorganisationen wie das Deutsche Rote Kreuz (DRK) an. „Ich denke, mein Kursus hebt sich dadurch von anderen ab, dass ich mit weniger Teilnehmern arbeite und jeder zum Üben seine eigene Puppe bekommt“, so Müller. In seinen Kursen schult er maximal zwölf Teilnehmer. In fünf Stunden werden zehn verschiedene Notfälle besprochen, danach teilt er für eine Woche in einer Whatsapp-Gruppe weitere Infos.
Und: „Ich habe während meiner fast 20-jährigen Berufserfahrung Menschen im dreistelligen Bereich reanimiert, davon waren viele Kinder“, sagt Müller. Er wisse, worauf es im Notfall ankommt, und könne seine Erfahrungen und Tipps an die Eltern und Großeltern weitergeben. „Ich erzähle keine Horrorgeschichten und zeige keine schlimmen Bilder“, so der Rettungsassistent. Das sei ihm wichtig. Müller: „Ich möchte keine Ängste schüren, sondern Sicherheit vermitteln. Man kann das Schicksal nicht immer drehen, aber man kann zumindest alles versuchen.“