Ammersbek. Frau aus Ammersbek macht, was sich nur wenige trauen. Denn alleinstehende Männer wie ihre Mieter hätten auf Wohnungsmarkt kaum Chancen.

Wohnraum ist knapp in Deutschland. Eine Wohnung zu finden, die dazu noch erschwinglich ist, eine Herausforderung. Besonders schwierig ist die Situation für Geflüchtete, die auf dem freien Wohnungsmarkt kaum eine Chance haben. Andererseits gibt es Menschen, die allein in ihrem Eigenheim leben. Waltraut Biester aus Ammersbek hat sich bewusst dagegen entschieden. Sie hat die untere Etage ihres Hauses sowie ein Zimmer in einem Nebengebäude an Geflüchtete vermietet. Eine Entscheidung, die sie in den ganzen Jahren nie bereut hat. Deshalb möchte sie andere, die über entsprechenden räumliche Voraussetzungen verfügen, dazu ermuntern, es ihr gleichzutun.

Berührungsängste mit anderen Kulturen kennt die ehemalige Lehrerin nicht. „2000 fing das an, dass ich minderjährige, unbegleitete Flüchtlinge unterrichtet habe“, sagt die Vorsitzende des Vereins Freundeskreis für Flüchtlinge in Ammersbek. Vor zehn Jahren wurde die 75-Jährige außerdem für ihren Einsatz bei Entwicklungsprojekten in Kamerun von der SPD Stormarn mit dem Olof-Palme-Friedenspreis ausgezeichnet.

Wohnungsmarkt: Vermieten an Geflüchtete – wie beide Seiten profitieren

Saeed Sadat stammt nicht aus Kamerun, sondern aus Afghanistan. Mit seiner Familie flüchtet er vor den Taliban in den Iran, wo er unter schwierigsten Bedingungen aufwächst. Schon als Kind muss er arbeiten. Afghanen dürfen kein eigenes Konto besitzen, sind vielen Repressionen ausgesetzt. Die Willkür des Regimes bekommt er am eigenen Leib zu spüren, als er wegen einer Nichtigkeit ins Gefängnis geworfen und gefoltert wird. Als er freikommt, ergreift die Gelegenheit zur Flucht. Der 35-Jährige ist einer der beiden Männer, die Biester als Mieter bei sich aufgenommen hat.

Sadat lebt im Stockwerk unter ihr, hat ein Zimmer plus Wohnküche sowie ein Bad. Das teilt er sich mit Ali Zaidan (37) aus dem Irak, der ein Zimmer im Nebengebäude bewohnt. Dort gibt es ein Waschbecken, aber keine Sanitäranlagen. Wichtiger als ein eigenes Bad ist den Männern, dass jeder seinen Bereich hat, in den er sich zurückziehen kann. Das war nicht immer so.

Vermieten an Geflüchtete: Im Obdachlosenheim hausen sie zu viert auf engstem Raum

Als Sadat 2015 in Ammersbek ankommt, ist er Mitte 20. Ihm wird ein Platz in der Obdachlosenunterkunft zugewiesen. Er wohnt zusammen mit drei anderen Männern in einem Raum. „Dort wurde geraucht, getrunken und laut Musik gehört“, so Biester. Sadat, der bis dahin keine Gelegenheit hatte, seine furchtbaren Erlebnisse zu verarbeiten, kann die Situation nur sehr schwer aushalten. Es gibt keinen Rückzugsort, er kommt einfach nicht zur Ruhe.

Waltraut Biester lernt er im November 2015 kennen. Der erste Kontakt beruht auf einem Missverständnis. Weil die Ammersbekerin die Gitarre ihres verstorbenen Lebensgefährten in gute Hände abgeben will, sucht sie nach einem Musiker. Auf eine Empfehlung hin trifft sie sich mit Sadat. „Doch dann stellte sich heraus, dass er gar nicht spielen konnte, sondern in Teheran Sänger gewesen war“, sagt sie. Die Gitarre darf er behalten, eine Gitarrendozentin erteilt ihm kostenlos Unterricht. Als Biester ihm eine Wohnmöglichkeit vermittelt, macht er sich große Hoffnungen. Doch in letzter Sekunde verweigert die Gemeinde wegen Differenzen mit dem Vermieter die Zustimmung zum Mietvertrag.

Vermieten an Geflüchtete: Tochter gibt entscheidenden Tipp

Sadat ist verzweifelt. Eine ihrer beiden Töchter schlägt Waltraut Biester vor, das Zimmer im kleinen Nebengebäude an ihn zu vermieten. Das ist jetzt acht Jahre her. Damals wohnte Biesters Schwester noch im Souterrain. Nach ihrem Tod im Herbst 2018 vermietet Biester die Räumlichkeiten an Ali Zaidan. Zaidans Muttersprache ist Arabisch, Sadat spricht Farsi. Untereinander und mit ihrer Vermieterin kommunizieren sie auf Deutsch. Anfangs kommt die Gemeinde für die Miete auf, dann das Jobcenter, inzwischen finanzieren beide ihre Wohnungen selbst.

Selfie mit Vermieterin: Waltraut Biester mit Saeed Sadat aus Afghanistan bei einem Besuch in einem Restaurant. Von den Kochkünsten des 35-Jährigen hat Biester schon oft profitiert.
Selfie mit Vermieterin: Waltraut Biester mit Saeed Sadat aus Afghanistan bei einem Besuch in einem Restaurant. Von den Kochkünsten des 35-Jährigen hat Biester schon oft profitiert. © privat | Privat

Vor einem Jahr haben sie die Wohnungen getauscht. Zaidan hat unter anderem das Zimmer im Nebengebäude renoviert. Er ist Tischlergeselle und hat eine Stelle als Hausmeister bei Fördern & Wohnen in Hamburg. Vor seiner Flucht aus dem Irak hatte er angefangen zu studieren. Das Studium war ihm wichtig, aber weil es ihm noch wichtiger war, sein Leben zu retten, musste er seine Heimat verlassen. „Ali ist der beste Problemlöser, den man sich denken kann“, sagt Waltraut Biester. „Er ist gut im Kontakt mit Menschen und hat Spaß an seiner Arbeit. Wenn ich technische Probleme habe, lässt er alles stehen und liegen, um sich darum zu kümmern.“

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Vermieten an Geflüchtete: Wie eine Reise in deren Kultur

Das Zusammenleben erfordere eine gewisse Offenheit. „Der Kontakt zu Flüchtlingen ist ein Stück weit wie eine Reise in deren Kultur“, meint Biester. Darin einzutauchen empfinde sie als unglaubliche Bereicherung. Beide Seiten würden profitieren. „Für die Jungs ist es ein Zuhause. Sie fühlen sich wie ein Teil der Familie“, sagt Biester. „Saeed kocht oft für mich, manchmal grillt er im Garten“, sagt Biester. „Und er mäht den Rasen.“ Er würde gern eine Ausbildung machen, aber das sei ohne Schulabschluss nicht möglich. Deshalb habe er sich dafür entschieden, den Lkw-Führerschein zu machen und als Fahrer zu arbeiten.

Wenn sie verreist sei, könne sie sich darauf verlassen, dass ihre Katze und ihre Pflanzen versorgt würden. Auch wenn sie ihre Tür nicht abschließt und beide jederzeit zu ihr kommen können, findet sie es wichtig, dass es eine räumliche Trennung gibt und die Privatatmosphäre gewahrt bleibt. „Die beiden haben ihre eigenen Bereiche und wirtschaften für sich selbst.“

Vermieten an Geflüchtete: Was Gemeinde oder Jobcenter bezahlen

Ali Zaidan ist arbeitet als Hausmeister. Der gelernte Tischlergeselle ist technisch begabt und kann gut mit Menschen umgehen.
Ali Zaidan ist arbeitet als Hausmeister. Der gelernte Tischlergeselle ist technisch begabt und kann gut mit Menschen umgehen. © privat | Privat

Die erforderlichen Umbaumaßnahmen finanziert sie durch die Miete. Laut Ammersbeks Flüchtlingsbeauftragter Ingrid Hodiamont wird die Miete für Geflüchtete, die im Leistungsbezug nach dem SGB II sind, „bis zur angemessenen Höhe“ von der Gemeinde übernommen. Bis auf Heizung würden Nebenkosten dabei eingerechnet. Für eine Person liege die Grenze in Ammersbek bei rund 594 Euro, bei zwei Personen bei 719 Euro, bei drei bei 855 Euro und so fort. Für eine Genehmigung müsse ein vorläufiger Mietvertrag beim Amt oder Jobcenter vorgelegt werden. Erst nach Genehmigung dürfe die Wohnung angemietet werden. Auch Mietkautionen könnten beantragt werden. Von Mietern verursachte Schäden würden in der Regel übernommen. „Ich habe bis jetzt noch keine Situation gehabt, wo wir das nicht getan hätten.“

„Wir haben zur Zeit etwa 130 anerkannte Geflüchtete, die noch in einer Unterkunft leben“, so die Flüchtlingsbeauftragte. Ukrainer nicht mit eingerechnet. „Alleinstehende Männer und große Familien finden auf dem freien Wohnungsmarkt so gut wie gar nichts. Wir würden uns sehr freuen, wenn es Menschen gibt, die einen Teil der Wohnung oder des Hauses vermieten wollen.“ „Ich würde es immer wieder machen“, sagt Biester.. Von der Politik wünscht sie sich günstige Kredite für Vermieter, die die erforderlichen Umbaumaßnahmen nicht aus eigener Kraft finanzieren können.