Oststeinbek. Im Rahmen der Aktion „Profi wird Pate“ war der Bundesliga-Referee beim D-Jugend-Spiel in Oststeinbek zu Gast. Was er dort erlebte.
Sonntagnachmittag in Oststeinbek, Hamburger Stadtrand, Hamburger Wetter: An die 20 Eltern verkriechen sich am Rand des Kunstrasenplatzes unter ihren Regenschirmen und schauen dem Nachwuchs beim Kicken zu. Zum Aufwärmen gibt’s am Verkaufsstand Kaffee für einen Euro und Hotdogs für zwei Euro. Jugendfußball-Alltag, jedes Wochenende so oder so ähnlich überall in Deutschland.
Für einen aber ist das Duell zwischen den D-Jugend-Teams vom Oststeinbeker SV und der Spielgemeinschaft Börnsen/Escheburg ein ganz besonderes Spiel: Der 16 Jahre alte Schiedsrichter Marcel Kertzsch hat heute Unterstützung von einem der bekanntesten Referees Deutschlands, Bundesliga-Schiri Patrick Ittrich (44). Das sorgt für deutlich mehr Trubel als an anderen Sonntagen, sogar das Fernsehen ist gekommen.
Aktion „Profi wird Pate“: Bundesliga-Referee Patrick Ittrich bringt Nachwuchs-Schiedsrichter Tricks bei
Anlass ist die bundesweite DFB-Aktion „Profi wird Pate“. In der laufenden Saison 2023/2024 sollen alle Schiedsrichterinnen und Schiedsrichter der Bundesliga, 2. Bundesliga, 3. Liga, Frauen-Bundesliga und 2. Frauen-Bundesliga mindestens einmal als Patin oder Pate von Schiri-Neulingen im Amateurfußball eingesetzt werden. Den Auftakt machen an diesem Wochenende die hessische Schiedsrichterin Katrin Rafalski in der Nähe von Kassel und eben Hamburgs Bundesliga-Schiedsrichter Patrick Ittrich vom Mümmelmannsberger SV.
15 Minuten vor dem Anpfiff betreten Marcel Kertzsch und Patrick Ittrich den Platz, eilig verfolgt von Fotografen und Kameraleuten. Das Gespann für einen Tag inspiziert gewissenhaft die Netze der Kleintore. In der D-Jugend, also der Altersklasse U13, wird in gemischten Achter-Teams auf dem Halbfeld gespielt, eine Partie dauert 60 Minuten. Vor dem Anpfiff zeigt Ittrich, der in seiner Karriere bislang rund 250 Profispiele leitete, seinem jungen Kollegen noch einige Aufwärmübungen und gibt ihm Tipps mit auf den Weg.
Das DFB-Patensystem soll den Frust bei Schiedsrichter-Anfängern reduzieren
Das DFB-Patensystem wurde zur Saison 2017/2018 als Pilotprojekt eingeführt, damals mit erfahrenen Amateur-Schiedsrichtern. Inzwischen kommen Patinnen und Paten in allen Landesverbänden zum Einsatz und sollen die teils große Zahl an Abgängen insbesondere bei jungen Schiri-Neulingen reduzieren, um sie langfristig an den Fußball zu binden. Es gibt Unterstützung bei administrativen Abläufen wie der Platzkontrolle, dem Spielbericht oder der Passkontrolle.
Ronny Zimmermann, der für das Schiedsrichterwesen zuständige DFB-Vizepräsident, sagt: „Viel zu oft hören junge Schiris nach ihrer Ausbildung zu schnell wieder mit dem Pfeifen auf. Als Hauptgrund wird häufig der Praxisschock genannt, der durch das DFB-Patensystem abgemildert werden soll. Mit der Aktion ‚Profi wird Pate‘ machen wir diese Unterstützung für unerfahrene Unparteiische noch bekannter.“
Nur ein einziges Foul muss Nachwuchs-Schiedsrichter Marcel Kertzsch ahnden
Als Marcel Kertzsch das Spiel im immer stärker werdenden Oststeinbeker Regen anpfeift, zückt Ittrich Notizblock und Zettel. Viel zu notieren gibt’s glücklicherweise nicht. Die überlegene Gästemannschaft schießt direkt ein paar Tore, knifflige Situationen hat der junge Schiedsrichter vor den Augen des Profis kaum zu lösen. Nur einmal muss er ein Foul ahnden. Nach dem Abpfiff verschwinden die beiden Unparteiischen für einige Minuten für eine Besprechung in der Kabine.
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Dabei ging es auch um Details wie Laufwege, die Lautstärke der Pfiffe und die Ausstrahlung, verrät Ittrich später. „Es ist immer wichtig, seine Entscheidungen so gut wie möglich zu präsentieren. Das hat er heute wirklich sehr, sehr gut gemacht“, lobt Ittrich den Youngster. Ein Ritterschlag für den Neuling, der in seinem Leben noch keine zehn Spiele geleitet hat.
Schiri-Youngster Kertzsch: „Finde es cool, dass ich dafür ausgewählt wurde“
Er sei heute schon besonders aufgeregt gewesen, erzählt der 16-Jährige, der selbst in der B-Jugend des Oststeinbeker SV kickt. Die Aktion des DFB „finde ich cool und es ist natürlich toll, dass ich dafür ausgewählt wurde“. Die Schiedsrichterei bringe ihm Spaß. Aber ob er selbst auch einmal auf der ganz großen Bühne pfeifen will? „Das weiß ich noch nicht.“
Darauf kommt es auch gar nicht an, betont derjenige, für den das Rampenlicht mittlerweile ganz normal ist. „Schiedsrichter zu sein“, sagt Ittrich, „ist eine sensationelle Lebensschulung. Dabei lernst du für dein Leben alle Attribute, die du brauchst.“ Den Jüngeren zur Seite zu stehen, das begreife er als Teil seiner Aufgabe. „Wir Schiedsrichter aus den Profiligen haben alle die Verpflichtung, das zu tun, nicht nur als Pate, sondern ständig bereitzustehen und sich um jüngere Schiris zu kümmern. Wir müssen für alle Schiedsrichter da sein so gut es geht. Das ist unser Job.“
Seit 15 Jahren sinkt die Zahl der Schiedsrichter. Doch die jüngste Entwicklung macht Mut
Der DFB hat „das Jahr der Schiris“ ausgerufen, „Profi wird Pate“ ist nur eine von mehreren Aktionen. Damit solle der Fokus auf „eine der größten Herausforderungen im deutschen Fußball“ gelenkt werden, wie es auf der Internetseite des Verbands heißt. Die Zahl der Referees sank über mehr als 15 Jahre. Den Amateurfußball stellt das zunehmend vor Probleme. Diesem Trend wollen der DFB und seine Landesverbände wahrnehmbarer und wirkungsvoller entgegenwirken.
Mut machen die jüngsten Entwicklungen. In der Saison 2022/2023 war die Zahl erstmals nicht mehr rückläufig, sondern leicht steigend. Mehr als 53.600 Unparteiische leiteten insgesamt rund 1,3 Millionen Spiele. Einer von ihnen ist nun der Oststeinbeker Marcel Kertzsch. So unaufgeregt er das Juniorenspiel geleitet hat, so entspannt lässt er den Sonntag auch ausklingen. Als sich der Medienrummel aufgelöst hat, besucht er seine Großmutter.