Reinbek. Russland-Kenner Thomas Overbeck aus Reinbek spricht über die Ukraine-Krise und mögliche Folgen für die Wirtschaft.
Der Konflikt um die Ukraine dauert an, Politiker der Nato-Bündnispartner bemühen sich um eine Lösung auf der Gesprächsebene. Sollte es zu einer Eskalation kommen, werde man nicht zögern, Sanktionen zu verhängen, das hat Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) angekündigt Die hat es 2014 bei der Annexion der Krim durch Russland schon einmal gegeben. Wie wirken sich die aktuelle Krise und eine mögliche Eskalation auf die Wirtschaft in unserer Region aus? Wir haben mit Thomas Overbeck (62), Inhaber des Reinbeker Unternehmens Timm sowie Präsident des Deutsch-Russischen Wirtschaftsbundes, gesprochen.
Herr Overbeck, wie viele Unternehmen in Stormarn und unserer Region gibt es, die wirtschaftliche Beziehungen zu Russland unterhalten?
Thomas Overbeck Das ist schwer zu schätzen, lokal erheben wir keine Zahlen. Bundesweit gibt es mehr als 3000 mittelständische Unternehmen, die wirtschaftliche Kontakte in verschiedenen Ausprägungen nach Russland haben. Viele Politiker meinen, das deutsche Russlandgeschäft sei nicht sehr stark. Aber der Markt hat Potenzial: Seit dem Einbruch 2014 durch die Sanktionen nach der Annexion der Krim sind die Geschäfte stetig gewachsen trotz der eingeschränkten Warenverkehre oder der Schwierigkeiten beim Reisen. Die Exporte haben sich allein im vergangenen Jahr um 15 Prozent gesteigert, die Importe, vor allem weil die Öl- und Gaspreise so gestiegen sind, um 54 Prozent.
Welche Branchen vor allem sind mit Russland im Geschäft?
Das sind vorwiegend Exporteure aus der Industrie, beispielsweise Prozess-, Chemie- und Medizintechnik. Aus Reinbek ist Lutz-Aufzüge neu dabei, das Maschinenbauunternehmen Amandus Kahl ist ebenso stark in Russland engagiert. oder mein Unternehmen. Wir selbst verkaufen Technologie für die Sicherheit beim Abfüllen brennbarer Flüssigkeiten an Raffinerien, Tanklager, Häfen oder Chemiewerke.
Wie wirkt sich die Krise auf die Wirtschaftsbeziehungen aus?
Nach dem, was wir wissen, laufen die meisten Geschäfte nach wie vor in ruhigen Bahnen. Ausgenommen sind Firmen, deren Mitarbeiter in der Ukraine sitzen und gerade aus dem Land gerufen werden. Reisen nach Russland sind derzeit eher durch die Corona-Restriktionen erschwert.
Sind Sie häufig in Russland? Wie läuft die Kommunikation dort ab?
Ich möchte im Mai wieder nach Russland reisen und hoffe, dass die Einschränkungen dann nicht mehr nötig sind. Ich spreche sehr schlecht Russisch, das reicht gerade mal für einen Restaurantbesuch oder um sich in der Metro zurechtzufinden. Und unsere Geschäftspartner sprechen kaum Englisch, die Kommunikation läuft daher meist über Dolmetscher. Es gibt aber Situationen, die muss man persönlich besprechen. Überhaupt basieren die Geschäfte mit Russland sehr stark auf persönlichen Kontakten.
Wie nimmt die Bevölkerung die Krise wahr?
Die Meinungen sind stark von den Staatsmedien beeinflusst, obwohl man sich auch im Internet informiert. Die Russen sind sehr enttäuscht von den Europäern. Aus ihrer Sicht haben sie uns die Wiedervereinigung geschenkt. Im Gegenzug hat man Annäherung und Hilfe erwartet. Russland ging es in den 90er-Jahren wirtschaftlich sehr schlecht. Sogar das Brot war knapp. Diese Annäherung ist aber ausgeblieben. Stattdessen sind die Nato-Grenzen immer weiter nach Osten verschoben worden. Die aktuelle Krise lässt sich vielleicht mit der Kuba-Krise von 1962 vergleichen, als die Sowjetunion Waffen auf Kuba kurz vor den Grenzen der USA stationieren wollte.
Hat sich die Lage an der Grenze zur Ukraine jetzt etwas entspannt, nachdem Putin dort die ersten Soldaten wieder abgezogen hat?
Das kann ich von hier nur schlecht bewerten. Die Lage ist nach wie vor kritisch. Zumindest gibt es keine weitere Verschärfung, das ist ja schon einmal ein Erfolg.
Wie wahrscheinlich ist es, dass russische Panzer über die Grenzen in die Ukraine rollen?
Für Putin ist es zunächst ein Erfolg, dass er so viel Aufmerksamkeit erreicht hat. Die jetzige Eskalation macht es so schwierig, das Ganze durch politische Gespräche wieder aufzulösen. Wenn wir jetzt aber geschickt agieren, den Russen die Hand reichen durch engere Zusammenarbeit in der Klimapolitik und in der Wirtschaft, haben wir die Chance, uns wieder anzunähern und mehr Verständnis füreinander zu entwickeln.
Ministerin Baerbock hat ja Sanktionen angekündigt, sollte es zu einer Eskalation kommen. Was hätten diese für Auswirkungen auf die Wirtschaft in Deutschland sowie in Russland?
Eine weitere Eskalation bis hin zum Krieg hätte natürlich einen gravierenden Einfluss auf die russische und auch auf unsere Wirtschaft. Denn russische Gaslieferungen würden gekappt werden. Würde das SWIFT-Abkommen mit Russland (es regelt ein Telekommunikationsnetz, über das unter anderem Überweisungen an ausländische Finanzinstitute getätigt werden können, Anm. d. Red.) gelöst werden, könnten Gas- und Öllieferungen auch von uns nicht mehr bezahlt werden. Ausgleichslieferungen aus den USA nach Deutschland wären in meinen Augen kein Ausweg. Denn es gibt keine ausreichenden Kapazitäten, weder an Tankschiffen, die die Rohstoffe liefern könnten, noch an Hafenanlagen, wo diese Lieferungen gelöscht und umgeladen werden könnten. Die nächsten derartigen Anlagen sind in Rotterdam. Wir sind der größte Abnehmer für russisches Gas in Europa, und auch für russische Firmen würden Sanktionen schwierig werden: Mehr als 50 Prozent ihrer Exporte gehen nach Europa. Europa ist ein bedeutender Kunde für Russland.
Was wünschen sie sich für die Zukunft der deutsch-russischen Beziehungen?
Es ist zwar verlockend, über Sanktionen Druck zu erzeugen, aber ich bitte zu bedenken, dass die Wirtschaftspolitik schon immer ein fundamentaler Bestandteil der Außenpolitik war. Wenn wir die Chance ergreifen und, wie es auch im Koalitionsvertrag der Regierung steht, Russland die Hand reichen, können wir zukunftsträchtige Technologien zur beiderseitigen wirtschaftlichen Entwicklung auf dem russischen Markt anbieten, beispielsweise beim Thema Wasserstoff. Dann könnten unsere Exportraten wieder drastisch steigen. Denn immerhin werden deutsche Produkte in Russland besonders geschätzt.