Reinbek/Grosshansdorf. Vier junge Auszubildende aus Reinbek und Großhansdorf sprechen über ihre Motivation. Warum das Gehalt für sie nicht den Ausschlag gibt.
Volle Intensivstationen, drastische Hygieneauflagen und eine immense Verantwortung – seit Beginn der Pandemie sind Krankenpfleger einer Dauerbelastung ausgesetzt, die viele von ihnen an ihre Leistungsgrenzen gebracht hat. Dennoch entscheiden sich junge Menschen auch unter dem Eindruck von Corona für eine Ausbildung in dem Beruf. Die Arbeitszeiten oder die Bezahlung sind vermutlich nicht Grund für die Berufswahl. Woher kommt ihre Motivation?
Warum die Krankenpflege trotz Corona für junge Azubis ein Traumberuf ist
Leonie Bergmann (20) und Lena Kasten (18) absolvieren ihre Ausbildung zur Pflegefachfrau im Reinbeker Krankenhaus St.-Adolf-Stift. Als die jungen Frauen im September starteten, warf die dritte Corona-Welle bereits ihren Schatten voraus. Für sie sind es vor allem die zwischenmenschlichen Begegnungen, die die Pflege zu ihrem Traumberuf machen. „Das Zuhören, das Gespräch mit den Patienten, Ängste nehmen“, sagt Bergmann. „Manchmal bin ich Pflegerin, Freundin und Psychologin in einem.“
Es ärgere sie, dass Pflegekräfte in der öffentlichen Wahrnehmung oft abqualifiziert würden. „Viele denken, ich wasche den ganzen Tag nur Patienten und leere Bettpfannen. Das merke ich auch im Bekanntenkreis“, sagt die Hamburgerin. „Dabei bedeutet der Beruf so viel mehr, wir haben reale pflegerische und medizinische Verantwortung. Wir können nicht ohne die Ärzte, aber die auch nicht ohne Pflegekräfte arbeiten.“
Lena Kasten (18) möchte das Gefühl haben, gebraucht zu werden
Die 20-Jährige weiß, wovon sie spricht. Auch Bergmanns Vater ist in der Krankenpflege tätig. „Ich wusste, worauf ich mich einlasse“, sagt sie. Schon während der Schulzeit war für die Hamburgerin klar, dass sie dem Beispiel ihres Vaters folgen wollte. Auch Corona konnte die 20-Jährige davon nicht abbringen. Anders war es bei Lena Kasten. Die Pandemie war einer der Gründe, warum sich die 18-Jährige entschied, Krankenpflegerin zu werden.
„Ich habe zuerst eine schulische Ausbildung im Bereich Tourismus angefangen“, erzählt sie. Schnell merkte die Hamburgerin, dass das nicht das Richtige für sie ist. „Ich habe mich nicht gebraucht gefühlt“, sagt Kasten. „Ich wollte etwas beitragen, erst recht, nachdem mehrere Bekannte an Corona erkrankt sind.“ Schon während der Schulzeit habe sie Praktika in der Pflege absolviert. „Und so kam eins zum anderen.“
150 Azubis lernen am St. Adolf-Stift in der hauseigenen Pflegeschule
Beide besuchen die hauseigene Pflegeschule des Reinbeker St.-Adolf-Stifts. Rund 150 Azubis lernen dort in sechs Klassen. Seit 1952 haben mehr als 1500 Schüler ihre Ausbildung in Reinbek abgeschlossen. In den vergangenen Monaten fand der Unterricht unter erschwerten Bedingungen statt. „Seit zwei Monaten sind wir im Homeschooling“, erzählt Leonie Bergmann.
„Technisch sind wir top ausgestattet, aber es geht natürlich trotzdem Stoff verloren“, sagt sie. Das Anlegen eines Verbandes lasse sich gemeinsam am Dummy einfach besser üben als zu Hause. Die neue, generalistische Pflegeausbildung dauert drei Jahre und umfasst auch die Bereiche der Psychiatrie, Pädiatrie und Altenpflege. Theorie-Unterricht in der Schule und Praxis-Blocks im Krankenhaus wechseln sich ab.
Leonie Bergmann (20) lernte den Alltag auf der Covid-Station kennen
Wie der Stationsalltag unter Pandemiebedingungen aussieht, konnte Leonie Bergmann bereits hautnah miterleben. „Während meines ersten Praxis-Blocks war ich gleich auf der Covid-Station eingesetzt“ erzählt sie. Die Zimmer betreten die Pfleger nur mit Schutzkittel, Haube für die Haare, Handschuhen und FFP3-Maske. „Auf Dauer ist das An- und Ausziehen sehr belastend“, erzählt die 20-Jährige. Daneben schwinge immer die Sorge mit, sich dennoch zu infizieren.
„Während der Zeit auf der Station habe ich mich weniger mit Leuten getroffen, aus Sorge, ich könnte Corona übertragen“, so die 20-Jährige. Vor jedem Besuch bei ihren Eltern habe sie einen Test gemacht – trotz täglicher Testung vor Dienstbeginn. Abgeschreckt hat Bergmann ihre Zeit auf der Corona-Station dennoch nicht. Im Gegenteil. „Ich denke, ich habe wichtige Erfahrungen gesammelt“, sagt sie.
Kontakt zu den Patienten macht für die Azubis ihren Beruf aus
Sarah Gunst absolviert ihre Ausbildung zur Pflegefachfrau in der LungenClinic Großhansdorf. Als die 21-Jährige im Februar 2020 startete, war noch nicht abzusehen, welches Ausmaß die Corona-Pandemie wenige Wochen später entwickeln würde. Auch für Gunst ist es der Kontakt zu den Patienten, der den Beruf ausmacht. „Das Psychosoziale ist mir sehr wichtig“, sagt sie.
Gunst hat in Volksdorf Abitur gemacht, hat dann zunächst eine Ausbildung zur Rettungssanitäterin begonnen. „Das ist ein toller Job, aber mir fehlte die Patientennähe“, sagt sie. Viele Bekannte und ehemalige Klassenkameraden reagierten mit Unverständnis, wenn sie erzähle, dass sie Krankenpflegerin werden wolle. „Oft bekomme ich zu hören, warum ich mir die Pflege antue, wo ich doch Abi habe“, sagt die 21-Jährige.
Es gibt zahlreiche Möglichkeiten, sich weiterzubilden
Gunst sagt: „Für mich ist das überhaupt kein Widerspruch.“ Mittlerweile ist die Hamburgerin im dritten Lehrjahr, wird im kommenden Jahr ihr Examen machen. Zurzeit ist sie auf der Pneumologie-Station eingesetzt. Bereut hat sie ihre Entscheidung nie. „Ich wollte etwas Praktisches machen und Verantwortung übernehmen“, sagt die 21-Jährige. Außerdem biete der Beruf viele Weiterbildungs- und Karrieremöglichkeiten. „Viele wissen nicht, dass es zahlreiche Bereiche gibt, in denen man sich spezialisieren kann“, erzählt Gunst, „etwa den Bereich Atem- oder Schmerztherapie.“
Außerdem sei der Beruf zukunftssicher. Ein gewichtiges Argument, das auch für Gunsts Kollegin Julia Brzozowska eine Rolle bei der Berufswahl gespielt hat. Die 23-Jährige hat ihre Ausbildung in der LungenClinic im Oktober begonnen. „Pflegekräfte werden immer gebraucht“, sagt sie. Auch Brzozowska gefällt die Patientennähe. „Ich wollte immer gern mit Menschen arbeiten“, sagt die Hamburgerin, die derzeit in der Thoraxchirurgie eingesetzt ist.
Personalmangel zwingt die Pflegekräfte oft, zu priorisieren
Doch es gibt auch Dinge, die die Beiden kritisieren. „Der Personalmangel ist ein echtes Problem“, sagt Gunst. Während ihrer Ausbildung sei ihr bewusst geworden, „welche massiven Probleme sich ergeben, wenn zu wenig Leute da sind.“ Die 21-Jährige erzählt: „Zu Hochzeiten der Pandemie gab es regelmäßig Situationen, in denen man priorisieren muss, in denen man entscheiden muss: Zu welchem Patienten gehe ich jetzt zuerst?“ Weniger dringliche Wünsche müssten dann hintenanstehen.
„Dabei hätte ich häufig gern mehr Zeit für die Patienten, um auch mal länger zuzuhören“, so Gunst. Gerade während des coronabedingten monatelangen Besucherstopps seien die Pfleger für die Patienten die einzigen Bezugspersonen und Gesprächspartner gewesen. „Die Kollegen waren in den vergangenen zwei Jahren regelmäßig an der Belastungsgrenze“, sagt die 21-Jährige.
Die jungen Azubis wünschen sich mehr Wertschätzung
Der Beruf müsse attraktiver werden, ist auch Julia Brzozowska überzeugt. „Pflegekräfte und ihre Arbeit müssen mehr wertgeschätzt werden“, sagt die 23-Jährige. Dabei gehe es aber nicht nur um das Gehalt. „Die Arbeitsbedingungen sind viel entscheidender“, sagt Gunst. „Viele Kollegen würden sich, wenn sie die Wahl zwischen mehr Gehalt und einer besseren Personalversorgung hätten, für letztere entscheiden“, ist die Auszubildende sicher.
Daneben sei es Aufgabe der Krankenhäuser und des Gesetzgebers, Weiterbildungsmöglichkeiten zu schaffen und vor allem, die Arbeitszeiten familienfreundlicher zu gestalten. „Die Pandemie hat jetzt ein Schlaglicht auf die Pflege geworfen, aber die Aufmerksamkeit ebbt schnell ab“, beklagt Gunst und betont: „Applaus auf den Balkonen ist eine nette Geste, aber bringt uns weder mehr Geld noch mehr Personal.“ Empfehlen können Sarah Gunst und Julia Brzozowska Ausbildungssuchenden ihren Beruf trotz allem. Gunst: „Es sind die kleinen Dinge, die ein unglaublich befriedigendes Gefühl geben. Manchmal genügt es, wenn man einem Patienten einen Kaffee bringt und die Dankbarkeit spürt.“