Grosshansdorf. Vor 120 Jahren feierte der Vorläufer der LungenClinic Großhansdorf Eröffnung. Patienten blieben Monate. Für Kinder gab’s eine Schule.
Frische Luft: Das war vor 120 Jahren das Allheilmittel im Kampf gegen die damals weit verbreitete Tuberkulose (TBC). Und weil es im 230 Einwohner zählenden waldreichen Großhansdorf viel frische Luft gab, lag es für die Landesversicherungsanstalt (LVA) der Hansestädte nahe, dort eine Lungenheilanstalt zu bauen. Die LVA kaufte 1898 ein idyllisch gelegenes Teichgrundstück am Wöhrendamm und feierte am 11. Dezember 1900 die Einweihung eines Genesungsheims mit 50 Betten für „blutarme und bleichsüchtige Rekonvaleszentinnen“ – mit Bleichsucht wurde TBC umschrieben.
Filmserie über das Krankenhaus online zu sehen
In 120 Jahren ist aus dem Heim die international renommierte LungenClinic geworden. Das Jubiläum sollte groß gefeiert werden – doch ausgerechnet eine tückische Lungenkrankheit verhindert dies. „Wegen der Corona-Pandemie ist natürlich kein Festakt möglich“, sagt die kaufmännische Geschäftsführerin Susanne Quante. Der Ausfall sei für alle schade, besonders aber für die außergewöhnlich vielen langjährigen Mitarbeiter. „25, 30 und mehr Jahre Betriebszugehörigkeit sind bei uns keine Ausnahme, das gibt es in den meisten anderen Unternehmen heutzutage so nicht mehr“, sagt Quante. Auf allen Ebenen engagierten sich auch viele junge Kollegen: „So werden Identifikation und Qualität weitergegeben, aber auch neue Ideen entwickelt.“
Ein Geschenk zum runden Geburtstag gibt es aber doch: eine Filmserie über das Krankenhaus und seine Geschichte. Die Folgen sind auf der Internetseite (www.lungenclinic.de) zu sehen. Der vierte und letzte Teil erscheint diese Woche. „Als es im Sommer noch möglich war, haben wir uns die ersten Episoden mit Popcorn in unserem alten Kino- und Theatersaal angeschaut“, sagt Susanne Quante.
Im Mittelpunkt der Videos stehen die Menschen. „Diese Klinik ist besonders, weil sie sich aus der normalen Tuberkulosemedizin zu einem Hochleistungs-Krankenhaus entwickelt hat“, sagt der Ärztliche Direktor Prof. Klaus Rabe. Irgendwann habe es einen Quantensprung gegeben. „Das hat damit zu tun, dass hier eine ganze Anzahl motivierbarer, engagierter, kreativer Köpfe arbeitet, die irgendwo sagen: Diese Faszination Lunge teilen wir.“ Patienten kommen auch zu Wort. So lobt eine Frau die „freundliche und lebensbejahende Atmosphäre im gesamten Haus.“
Ärzte verordneten Kranken Ruhe und Aufenthalt im Freien
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts waren die Behandlungsmöglichkeiten der Tuberkulose arg beschränkt: Die Mediziner verordneten vor allem Ruhe, Aufenthalt im Freien und Stärkungsgetränke. In Großhansdorf war der Andrang so groß, dass schon kurz nach der Eröffnung des vierstöckigen Hauses im Stil der Gründerzeit eine weitere Station mit 70 Betten errichtet wurde. Nur ein Jahr später folgte am Eilbergweg ein Invalidenheim für erkrankte Männer.
Zunächst betreuten Ärzte aus der Gemeinde die Patienten. Erst 1911 übernahm ein hauptamtlicher Arzt diese Aufgabe. 1917 wurde aus dem Krankenhaus ein Genesungsheim für Kinder. 1938 ging der erste OP-Saal in Betrieb, und damit wurden auch wieder Erwachsene behandelt. Die Kinder zogen an den Eilbergweg um, wo sie das Invalidenheim der Männer übernahmen.
Dort gab es sogar eine Schule. Tuberkulose wurde auch nach dem Zweiten Weltkrieg noch nicht konsequent mit Medikamenten kuriert. Die bis zu 165 Kinder, die im Durchschnitt neun Monate blieben, mussten im Bett bleiben, um ihre Lungen zu schonen. Einmal am Tag durften sie für eine Stunde Unterricht aufstehen. Schule und Kinderabteilung wurden erst 1970 geschlossen.
Starker Tabakkonsum ließ Lungenkrebs-Fälle steigen
Während die Zahl der Tuberkulosefälle kontinuierlich sank, forcierte der rasant steigende Tabakkonsum eine andere Krankheit: den Lungenkrebs. Zwischen 1958 und 1961 errichtete die LVA Hamburg, die 2005 in den heutigen Träger Deutsche Rentenversicherung Nord aufging, die modernste Lungen-Fachklinik Norddeutschlands. Das elfgeschossige Bettenhaus gefiel den Gemeindevertretern gar nicht, da es den parkartigen Charakter des Walddorfes zerstöre. Außerdem befürchteten sie, dass Kinder mit Kranken in Berührung kommen könnten aufgrund der Massierung von Bauten unmittelbar an der Straße in Schulnähe...
Bis in die 1970er-Jahre blieben die Patienten viele Monate in Großhansdorf: Die sogenannte Verweildauer lag bei heute kaum vorstellbaren 250 Tagen. Von 1990 bis 1992 wurde das Bettenhaus modernisiert. 2001 und 2002 wurden die Patientenzimmer durch den Umbau der Balkone vergrößert und die Fassade saniert. 2014 kam ein Trakt mit neuen Operationssälen hinzu. Hamburg und Schleswig-Holstein übernahmen jeweils 2,5 Millionen Euro, eine knappe Million brachte die Klinik selbst auf.
Sogar gut 81 Millionen Euro kostet jetzt der siebengeschossige Neubau mit Patientenzimmern und Intensivstation sowie Verbindungstrakt. Das Land hat 69 Millionen zugesagt. Damit können sich die Großhansdorfer auch mit 120 Jahren auf eine spannende Zukunft freuen – und nach Corona auf Jubiläumsfeiern mit vielen Gästen.