Oststeinbek. Was ist in Oststeinbek seit der Flutkatastrophe 2018 getan worden? Dazu gehen die Meinungen auseinander.
Innerhalb von gut anderthalb Stunden ergossen sich am 10. Mai 2018 137 Liter Regen pro Quadratmeter auf Oststeinbek und den Ortsteil Havighorst. Die Glinder Au schwoll an, Wasser floss auf die Straßen, die sich in Bäche verwandelten. Keller und Tiefgaragen liefen voll, Autos wurden zerstört, Gleise unterspült.
Die nördliche Wand der historischen Wassermühle brach unter den Fluten ein und wurde weggerissen, der Strom fiel aus. Bei den aktuellen Bildern aus Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz steigen bei vielen Oststeinbekern angstvolle Erinnerungen auf.
Flutkatastrophe: Schweizer verweist auf die bisherige Arbeit
„Aber da hören die Gemeinsamkeiten auch schon auf: Bei uns brauchte niemand um seine Angehörigen bangen“, betont Jürgen Schweizer, Oststeinbeks stellvertretender Bürgermeister. Mit Blick auf die dortige Not stellt er fest: „Wir sind glimpflich davongekommen.“
Das lag weniger an den plötzlichen Niederschlagsmengen, als vielmehr an der der Landschaft und an den Bodenverhältnissen: Schleswig-Holstein ist vergleichsweise flach. Doch auch hier sucht sich das Wasser seinen Weg und sammelt sich an neuralgischen, tief liegenden Punkten.
Bereits 2016 gab es ein Starkregenereignis
Bereits am 22. Juli 2016 hatte es ein verheerendes Starkregenereignis gegeben, doch spätestens seit 2018 arbeitet die Gemeinde an einer Starkregenvorsorge. Politik und Verwaltung ziehen an einem Strang. „Wir haben schon eine Menge gemacht“, sagt er.
Die Betroffenen jedoch fühlen sich allein gelassen. Auch bei Patrick und Ulrike Hartwigsen, die nicht nur mit ihren Betrieben, „Kompositionen mit Grün“ und „Homelike Living“, sondern auch mit ihrem Wohnhaus direkt an der tiefsten Stelle Oststeinbeks sitzen, werden alte Wunden aufgerissen. „Wir hatten zwei Totalschäden und zwei Sanierungen“, fasst Patrick Hartwigsen zusammen.
Zehn Jahre länger arbeiten für eine vernünftige Gebäudeabsicherung
„Außerdem haben wir ein Pumpsystem eingebaut, einen Schacht und ein Schott. Und wir haben die Elektrik so verlegen lassen, dass ein Wasserstand von bis zu 50 Zentimetern nicht gleich einen Kurzschluss verursacht, damit die Pumpen auch arbeiten können. Dafür muss ich jetzt zehn Jahre länger arbeiten.“ Seit Mittwoch denken die Hartwigs darüber nach, ein zweites Schott zu montieren und einen noch größeren Pumpenschacht zu errichten.
Niemand fühle sich verantwortlich, das sei schon traurig. „Da wird eine Talsperre gebaut und alle sagen, damit hätten sie nicht gerechnet, dass sie überläuft“, sagt er bestürzt. „Das muss man doch berechnen können.“
Vorwurf: Kommune tut zu wenig für die Sicherung gegen Starkregen
Er erzählt: „Gerade wird die Brücke saniert an der Ecke Möllner Landstraße/Stormarnstraße. Ich hätte mir gewünscht, dass dort ein zweites Rohr verlegt worden wäre. Aber stattdessen wurde nur eine Art Bypass am Bordstein der Stormarnstraße errichtet. Bei Hochwasser geht die Entlastung doch gegen null“, fürchtet der Unternehmer.
Er winkt ab: „Alles, was hier bei mehr als 100 Liter Niederschlag pro Quadratmeter liegt, führt in die Katastrophe.“ Die Anwohner vom Wiesenweg und nahe dem Forellenbach hätten die gleichen Probleme.
Entwässerungsstruktur ist nicht für starke Regenereignisse ausgelegt
„Unsere Nachbarn an der Möllner Landstraße werden auch regelmäßig überschwemmt. Für den Neubau dort wurde das Grundstück erhöht, das Wasser wird also auch noch zu uns hereinrauschen. Wir sind angeblich ein Einzelfall.“
Das bestätigt allerdings auch Mathias Mucha (44), seit November 2019 Geschäftsführer des Zweckverbandes Südstormarn. „Starkregen heißt an sich, dass es sich um ein besonders starkes Regenereignis handelt, für das die Entwässerungsstruktur überhaupt nicht ausgelegt ist“, erläutert er.
Nicht alles, was technisch machbar ist, ist auch ökonomisch sinnvoll
Es gibt technische Vorgaben, welche Leistungsfähigkeit Entwässerungssysteme haben müssen. Alles darüber hinaus ist eine Kosten-Nutzen-Abwägung. „Technisch ist vieles machbar, würde aber die Solidargemeinschaft überfordern, da alles über Gebühren finanziert wird“, so Mucha.
„Schließlich bauen wir auch keine 20-spurigen Autobahnen, damit es zu Ferienbeginn nicht zu Staus kommt. Im Wasserrecht ist verankert, dass nicht nur eine Partei, die die Wasserwirtschaft angeht, die Probleme lösen muss. Also könne es nicht allein die Aufgabe des Abwasserentsorgers sein, Vorsorge zu treffen.
Hauseigentümer sind zur Vorsorge verpflichtet
Gefordert sei auch der Hauseigentümer. „Es gibt im Wasserrecht auch eine Pflicht zur privaten Eigenvorsorge“, sagt der Geschäftsführer und erläutert: „Wenn man dort baut, wo eine Senke ist, muss man damit rechnen, dass durch diese Lage höhere Kosten entstehen.“
So wie bei Britta und Dirk Rieckmann, deren Haus in Havighorst an der Grenze zu Boberg innerhalb einer Stunde volllief. „Es ist schrecklich. Alles ist wieder da, wenn ich die Bilder sehe“, erzählt Britta Rieckmann. „Ich kann da echt mitfühlen.“ Ohnehin vergehe kein Tag, an dem sie nicht an die schreckliche Stunde denke, an dem ihr erst zwei Wochen zuvor bezogenes Haus volllief und sie und ihr Mann alles verloren.
Hausbesitzer müssen teurere Versicherungen bezahlen
„Heute geht es mir wieder gut, weil wir an den Türen und vor der Garage 40 Zentimeter hohe Flutschutztore eingebaut haben“, berichtet sie. „Ich kann nur ruhig schlafen, wenn die installiert sind. Deshalb nehmen wir sie nur ab, wenn unsere Mütter zu Besuch kommen.“
Auch eine passende Gebäudeversicherung hat das Paar mittlerweile gefunden. „Die ist etwas teurer, aber das nehmen wir in Kauf, wirklich abgesichert zu sein.“ Das Unglück fiel in die Zeit, als die neue Versicherung noch nicht griff.
Flächen zur Versickerung und Rückhaltemöglichkeiten müssen geschaffen werden
Eine große Rolle bei einer effektiven Entwässerung spiele aber vor allem die Stadtplanung, also die Kommune, sagt der Zweckverbandsgeschäftsführer. Sie müsse darauf achten, dass nicht zuviel Fläche versiegelt werde, dass es ausreichend Flächen zur Versickerung und Rückhaltemöglichkeiten gebe. Lösungen funktionierten dann, wenn diese Drei, einander die Hände reichten.
Doch laut Schweizer ist die Gemeinde nicht untätig geblieben: „Wir haben einiges gemacht“, sagt er. Zuerst gab es eine Topographie-Analyse. „Wir haben den Überlauf an der Stormarnstraße in der Ortsmitte überarbeitet, wir haben eine Anlage Am Südhang gemeinsam mit dem Eigentümer und dem Zweckverband erweitert. Dort hat Oststeinbek 50.000 Euro investiert.“
Jetzt werden die Dachrinnen öffentlicher Gebäude regelmäßig gereinigt
Der Eigentümer hatte bereits selbst viel getan, berichtet Schweizer. Er habe seine Kasematten erhöht und zwischen seinem und dem Nachbarhaus in einer Rinne ein Überlaufrohr für den Ernstfall gebaut, das nun unter Beratung des Zweckverbandes ertüchtigt worden sei. „Wir haben auch nach ähnlichen Projekten gesucht, aber leider passen die Voraussetzungen nicht überall so gut zusammen wie dort“, bedauert er.
Auch intern in der Verwaltung gebe es jetzt einen Plan für Starkregenereignisse, berichtet Schweizer: Die Dachrinnen der öffentlichen Gebäude werden systematisch gereinigt, damit sie nicht verstopfen, die Sporthalle wird mit Schotts abgedichtet.
Ein Projekt zur Starkregenvorsorge soll Hausbesitzer sensibilisieren
Aktuell hat die Gemeinde mit dem Beraterbüro OCF, das auch Oststeinbeks Klimaschutzkonzept entwickelt hat, ein Projekt zur Starkregenvorsorge am Start: Unter dem etwas sperrigen Titel „Aktiv – Klimaangepasste Nachbarschaft“ sollen Eigentümerinnen und Eigentümer motiviert werden, sich und ihre Grundstücken und Gebäuden zu schützen. Dafür sind Praxiswerkstätten geplant. Das Projekt dauert drei Jahre und wird vom Bund gefördert.
Carsten Bendig, Fraktionsvorsitzender von Ostbek.net und Vorsitzender des Umweltausschusses, berichtet ebenfalls von den Projekten sowie vom Ortsentwicklungskonzept für Havighorst, bei dem das Thema ebenfalls eine Rolle spielen werde: „Etwa 30 Prozent der Havighorster haben Probleme mit der Regenentwässerung“, schätzt er.
Flächen für Regenrückhaltebecken und Überflutungsbereiche gesucht
Deshalb werde in der Ortsmitte auch eine Fläche für ein neues Regenrückhaltebecken gesucht. Außerdem würden auch kontrollierte Flutflächen gesucht, etwa im Forellenbachpark. Der Investor für das Gelände südlich des Willinghusener Weges habe die Auflage erhalten, dort ein unterirdisches Regenrückhaltebecken zu bauen, das das Regenwasser kontrolliert wieder abgibt. Denn dort lasse eine Tonschicht eine Versickerung ohnehin nur bedingt zu.