Pinneberg. Laut Urteil darf eine beliebte Quereinsteigerin weiter an einer Grundschule unterrichten. Doch das Bildungsministerium geht dagegen vor.
Landauf, landab halten Vertretungslehrkräfte viele Schulen in Schleswig-Holstein am Laufen. An einigen Schulen stellen sie fast die Hälfte des Kollegiums. Die meisten hangeln sich von einem Halbjahresvertrag zum nächsten. Doch spätestens nach fünf Jahren soll Schluss sein, damit sich die bisweilen sehr beliebten Vertretungskräfte nicht einklagen. Ein krasser Fall beschäftigt seit einigen Monaten die Justiz, und der spielt in Pinneberg.
Annika Dockhorn (46) heißt die Frau, über deren Qualifikation seit einem halben Jahr öffentlich debattiert wird. Leidtragende sind die Kinder der Helene-Lange-Schule, die fast schon ihre beliebte „Lehrerin“ aufgeben mussten. Alle Eingaben und Proteste von Kollegen, Eltern und Schülern nutzten nichts. Erst das Arbeitsgericht in Elmshorn stoppte den Rauswurf. Annika Dockhorn hofft seitdem: „Ich möchte eine gute und konstruktive Lösung für alle Beteiligten herbeiführen.“ Doch das Ministerium legte jüngst Berufung gegen das Urteil des Arbeitsgerichts ein.
Quereinsteiger: Mindestens zwei Verfahren gegen Bildungsministerium
Damit geht die Auseinandersetzung weiter. Der Fall der Pinneberger Lehrerin wirkt wie ein Einzelfall. ist aber keiner. Bekannt ist etwa auch der juristische Streit einer männlichen Lehrkraft im Raum Eckernförde. Er hatte jahrzehntelang Schulkinder stark gemacht, um sie vor Gewalt zu schützen. In der Corona-Zeit wechselte er direkt in den Unterricht. Er prozessiert ebenso für eine Festanstellung.
Und tatsächlich stehen die beiden Quereinsteiger mit dem Problem nicht allein da. Nach der jüngsten Statistik sind in Schleswig-Holstein mehr als 4000 Männer und Frauen als Vertretungskräfte im Einsatz. Etwa ein Viertel von ihnen hat einen pädagogischen Abschluss, darunter fallen auch pensionierte Lehrer oder Rentner, die aushelfen. Die Hälfte hat einen anderen Hochschulabschluss. Und ebenfalls gut 1000 Frauen und Männer unterrichten und unterstützen ohne einen Hochschulabschluss.
Als Bankkauffrau unterrichtete sie zuerst nur Mathematik, später fast alles
Tatsächlich hat auch die Pinneberger Lehrkraft nicht studiert. Stattdessen lernte sie Bankkauffrau und war zehn Jahre in der Branche tätig, bis sie feststellte, dass es wertvoller sei, Kinder auf das Leben vorzubereiten. Dank ihrer Qualifikation war sie zuerst als Mathelehrerin im Einsatz und bildete sich als Lerntherapeutin weiter. Vor gut einem Jahr übernahm sie eine erste Klasse, führte die Kinder nach Auskunft von Eltern und Großeltern mit viel Freude ans Lernen.
Doch dann sollte sie gehen. Die Höchstzeit für Vertretungskräfte, etwa fünf Jahre, war abgelaufen. Aber vor dem Arbeitsgericht in Elmshorn klagte Annika Dockhorn gegen ihren Rauswurf durch das Ministerium – und erhielt recht. Die Richterin sah es als erwiesen an, dass die Vertretungskraft längst nicht nur phasenweise jemanden vertritt, sondern als Lehrerin volle Verantwortung für ihre Schulkinder übernommen hatte.
Pinneberger Vertretungslehrerin ist vorläufig im Einsatz. Wie lange noch?
Da die Not an ihrer Schule weiterhin groß war, darf die Pinnebergerin dort nach dem Richterspruch wieder eingesetzt werden und springt dort ein, wo Not an der Frau ist. Wie es langfristig weitergeht, ist nun offen. Darüber entscheidet jetzt wohl die nächsthöhere Instanz.
Die SPD-Fraktion im Landtag hatte sich im Sommer für eine gezielte Übernahme auch von nicht hochschulerprobten Vertretungskräften starkgemacht. Doch die Regierungsfraktionen lehnten die Initiative ab, legten aber ihrerseits ebenfalls einen Prüfauftrag vor, Seiten- und Quereinsteiger besser zu qualifizieren und die Multiprofessionalität in den Schulen zu stärken.
SPD-Landtagsfraktion will Schulleitern mehr Mitspracherecht bei Einstellung einräumen
Nach Ansicht des Abgeordneten Martin Habersaat (SPD) sollten künftig die Schulleiter eine stärkere Rolle bekommen, um Quereinsteiger auch langfristig ins Team einzubinden. Sie seien es, die am besten beurteilen können, ob die Kollegen den Unterricht bewältigen. „Wir müssen einfach immer gut sein, sonst bekommen wir doch gar nicht laufend neue Verträge“, sagt Lothar Koch (52), der als Gewaltpräventions-Trainer in der Corona-Zeit die Lücken in den Reihen der ausgebildeten Pädagogen in einer Schule in Eckernförde geschlossen hatte.
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Koch kämpft ohne das vom Land geforderte Hochschulstudium ähnlich wie Annika Dockhorn um einen dauerhaften Platz in der Schule. 1100 andere stehen in Schleswig-Holstein unter dem gleichen Druck. Und alle wissen, ohne Vertretungskräfte bricht landauf und landab so manche Schule zusammen.