Pinneberg. Quereinsteigerin darf in Pinneberg nicht mehr unterrichten. Kollegium und Eltern entsetzt über Ministerin. Demo am Sonnabend in Pinneberg.

  • Lehrerin Annika Dockhorn arbeitet seit fünf Jahren an einer Schule in Pinneberg
  • Nun soll sie plötzlich gehen – weil die 46-Jährige nicht studiert hat
  • Kollegen und Eltern sind entsetzt und demonstrieren am Sonnabend

Die Unterrichtssituation in Schleswig-Holstein ist an vielen Orten extrem angespannt. Deshalb schließen Quer- und Seiteneinsteiger viele Lücken, besonders an Grundschulen. Extrem stellt sich die Lage jetzt an einer Pinneberger Schule dar, wo gewilltes Personal zwar vorhanden wäre, aber vom Bildungsministerium nicht gewollt ist. Nun hält es Eltern und Lehrer wegen dieses Zwiespalts nicht mehr auf den Sitzen. Sie rufen zu einer Demonstration auf und haben eine Petition gestartet.

Das krasse und nur schwer nachvollziehbare Beispiel kommt von der Helene-Lange-Schule. Dort hat Annika Dockhorn fünf Jahre lang Grundschüler in Mathematik, Englisch, Sachunterricht, Religion und Deutsch als Zweitsprache (DaZ) unterrichtet. Sie leitete eine Mathefachschaft und arbeitete mit Kindern mit besonderen Lernschwierigkeiten. Doch nun darf sie nicht weitermachen. Eine Beschäftigung über einen Zeitraum von fünf Jahren ist das Maximum für sogenannte Vertretungskräfte an Schulen in Schleswig-Holstein.

Aus der Finanzbranche in die Schule, um junge Menschen gut ins Leben zu führen

Das ist der Makel, den die 46-Jährige aus Sicht des Bildungsministeriums hat: Die in der Praxis bewährte Lehrerin ist nämlich keine studierte Pädagogin, sondern gilt als Seiteneinsteigerin. Deshalb wird ihr die Weiterbeschäftigung an der Schule verwehrt. Sie hat Bankkauffrau gelernt, war zehn Jahre in der Finanzbranche tätig und hatte sich in ihrem alten Beruf zuletzt auf die Beratung zu Aktien und anderen kapitalbildenden Investitionen spezialisiert.

Quereinsteigerin Annika Dockhorn.
Annika Dockhorn hat zehn Jahre lange in der Finanzbranche gearbeitet. Dnach machte sie eine Ausbildung zur Lerntherapeutin. Sie sagt: „Der Bankberuf hat mich nicht mehr erfüllt.“ Viel lieber wollte sie jungen Menschen helfen, gut ins Leben zu starten. © Michael Rahn | Michael Rahn

Gut in Mathematik muss sie sein, sonst hätte sie in ihrem ersten Beruf nicht erfolgreich arbeiten können. Und offenbar hat sie ihre Kenntnisse so gut an die Schüler gebracht, dass die Pinneberger Schule die 46 Jahre alte Quereinsteigerin gern behalten hätte. Aber Bildungsministerin Karin Prien (CDU) stellte zum Auftakt des Schuljahres in einer Rede (siehe Video ab Minute 24) öffentlich zu dem Pinneberger Fall klar: „Wenn jemand nur eine Ausbildung zur Bankkauffrau hat, wird er nicht Lehrer werden in unserem Land.“ Für diesen Beruf müsse man eine akademische Ausbildung haben.

Bildungsministerin will Bankkauffrauen nicht zu Lehrerinnen machen

Empfohlener externer Inhalt
An dieser Stelle befindet sich ein externer Inhalt von Youtube, der von unserer Redaktion empfohlen wird. Er ergänzt den Artikel und kann mit einem Klick angezeigt und wieder ausgeblendet werden.
Externer Inhalt
Ich bin damit einverstanden, dass mir dieser externe Inhalt angezeigt wird. Es können dabei personenbezogene Daten an den Anbieter des Inhalts und Drittdienste übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung

„Unfassbar! Wie unvollständig und abwertend“, sagt eine Kollegin von Annika Dockhorn über die Aussage der Ministerin. Sie habe die 46-Jährige als kompetent in der Sache und pädagogisch wertvoll im Umgang mit den Kindern erlebt. Doch sowohl das unionsgeführte Ministerium als auch der CDU-Bildungspolitiker Martin Balasus sprechen sich klar für ein Hochschulstudium als Grundvoraussetzung für die Anerkennung als dauerhafte Lehrkraft aus.

Lehrerinnen fordern, dass Kollegien über Seiteneinsteiger mitentscheiden

Viele Kolleginnen denken da ganz anders: Claudia Hippe, seit 13 Jahren als ausgebildete Pädagogin an der Helene-Lange-Schule tätig, stellt sich vor die berufsfremde Kollegin, die nicht weiterunterrichten darf. Überall in der Wirtschaft seien multiprofessionelle Teams gefragt. Das gelte auch und gerade in der Schule. Sie fordert, dass die Kollegien ein Mitspracherecht bei der weiteren Beschäftigung von Seiten- und Quereinsteigern bekommen sollten. „Denn wir wissen, wie die Frauen und Männer im Unterricht zurechtkommen.“

Lehrkräfte und Eltern hoffen weiterhin auf eine weise Entscheidung am Ende der Debatten um Annika Dockhorns Weiterbeschäftigung. Es müsse doch eine Lösung möglich sein. Schließlich sei die Vertretungskraft nicht nur ausgebildete Bankkauffrau, sondern auch Lerntherapeutin. Welcher Titel am Ende hinter ihrer Aufgabe im Unterricht stehe, sei nebensächlich.

SPD-Bildungspolitiker Habersaat: „Vertretungskräfte gezielt weiterqualifizieren“

Martin Habersaat, bildungspolitischer Sprecher der SPD-Landtagsfraktion, unterstützt wie sein Haseldorfer Landtagskollege Thomas Hölck das Anliegen der Pinneberger Lehrer und Eltern. Habersaat sagt: „Es ist schon absurd, wenn Vertretungslehrkräfte nach fünf Jahren an die Luft gesetzt werden, um durch unerfahrene andere Vertretungslehrkräfte ersetzt zu werden. Zu Beginn dieses Schuljahres erreicht der Unsinn aber eine neue Stufe: Vertretungslehrkräfte müssen gehen, ohne dass sie ersetzt werden könnten. Klassen müssen zusammengelegt und Unterrichtsangebote gestrichen werden.“

Der Bildungspolitiker appelliert an die Ministerin, den Vorschlag von SPD und Lehrergewerkschaft GEW ernst zu nehmen. Demnach sollen Vertretungskräfte mithilfe von Hochschulen und anderen Einrichtungen gezielt weiterqualifiziert werden. „Wir haben hier ein Problem, das gelöst werden muss. Löst man es nicht, leiden darunter die verbliebenen Lehrkräfte durch Mehrbelastung und vor allem die Schülerinnen und Schüler“, mahnt Martin Habersaat.

FDP-Bildungspolitiker Vogt: „Kein wertschätzender Umgang“

Auch Christopher Vogt, bildungspolitischer Sprecher der FDP-Fraktion, mischt sich in die Debatte ein. Er klagt: „Fünf Jahre lang hat es Bildungsministerin nicht gestört, dass die Vertretungskraft ohne entsprechendes Studium unterrichtet hat. Erst als es um die Entfristung geht, sieht Karin Prien Probleme. Dieser Fall macht erneut deutlich, dass die Bildungsministerin kein überzeugendes Konzept für Quer- und Seiteneinsteiger an den Schulen hat.“

„Das ist kein angemessener und wertschätzender Umgang mit verdienten Vertretungskräften“, wettert der Liberale. Natürlich sollten Lehrkräfte in der Regel ein entsprechendes Studium und Referendariat absolviert haben. „Aber solange die Lücken in vielen Regionen und Fächern wegen der fehlgeleiteten Lehrkräftegewinnung oftmals groß sind, schießt sich das Bildungsministerium mit dieser Haltung ins eigene Knie – zum Leidwesen der Schulen sowie der Schülerinnen und Schüler. Dies gilt insbesondere für die MINT-Fächer, wie dieser Fall ja auch zeigt.“

Auch Bildungsministerin sieht Handlungsbedarf, um Lehrermangel auszugleichen

Getan werden muss etwas, das bekräftigt auch die Bildungsministerin immer wieder. Tatsächlich ist die Lage an der Helene-Lange-Schule in Pinneberg dramatisch trotz des Organisationstalents der Schulleiterin. Fast 50 Minusstunden müssen aufgefangen werden. Zwei Stellen sind unbesetzt, drei weitere Lehrkräfte ausgefallen. Eine Klasse musste dauerhaft geteilt, eine andere jetzt zumindest vorläufig gesplittet werden, weil Lehrkräfte erkrankten.

Mehr zum Thema

Bei der ersten Lehrerkonferenz nach den Sommerferien sollen Tränen geflossen sein, als verkündet wurde, dass Annika Dockhorn nicht wieder in die Schule zurückkehren dürfe. Viele Kollegen seien am Limit.

Im Pinneberger Kollegium flossen beim Start ohne beliebte Kollegin Tränen

Jetzt hoffen Eltern und pädagogische Kräfte der Helene-Lange-Schule, dass sich viele weitere, ähnlich Betroffene dem Aufruf zur Demonstration anschließen. Am Sonnabend, 14. September, um 11 Uhr wollen alle vor dem Kreiskulturzentrum Drostei in der Pinneberger Innenstadt zusammenkommen.

Angemeldet ist die Demo von den Eltern, die Annika Dockhorn über ein halbes Jahr lang als sehr motivierende Frau für ihre Kinder erlebten. Elternsprecherin Nicole Raslanas schwärmt: „Unsere Kinder sind aufgeblüht, sie gehen gern in die Schule.“