Pinneberg. Annika Dockhorn leitet erste Klasse. Nach fünf Jahren als Vertretungskraft soll sie gehen. Warum Eltern und Kollegen für sie kämpfen.

Sie führt eine erste Klasse in Pinneberg. Sie unterrichtet an der Grundschule seit fast fünf Jahren in Mathematik, Englisch, Sachunterricht, Religion und Deutsch als Zweitsprache (DaZ). Sie leitet eine Mathefachschaft und arbeitet mit Kindern mit besonderen Lernschwierigkeiten.

Annika Dockhorn ist summa summarum eine hervorragende Lehrerin. Jedoch: Nach den Ferien soll die 46-Jährige nicht an die Helene-Lange-Schule zurückkehren dürfen. Eine Entscheidung, gegen die Eltern und Kollegen Sturm laufen.

„Unsere Kinder sind aufgeblüht, sie gehen gern in die Schule“, erzählt Nicole Raslanas. Die Mutter eines Erstklässlers hat Eltern und Kollegen zusammengebracht, um sich gemeinsam für den Verbleib der beliebten Lehrkraft an der Schule starkzumachen. Seit mehreren Wochen werden Gespräche geführt und seit Kurzem ist auch eine Petition im Internet freigeschaltet. 2000 Unterschriften sind notwendig, damit sich das Bildungsministerium mit der Eingabe beschäftigt.

Annika Dockhorn möchte Kindern helfen, gut ins Leben zu starten

Annika Dockhorn heißt die Frau, die Eltern, Kinder und Kollegen gern an der Helene-Lange-Schule behalten wollen. Die 46-Jährige ist tatsächlich keine studierte Pädagogin, sondern gilt als Seiteneinsteigerin. Sie hat Bankkauffrau gelernt, war zehn Jahre in der Finanzbranche tätig und hatte sich zuletzt auf die Beratung zu Aktien und anderen kapitalbildenden Investitionen spezialisiert.

Vertretungslehrkraft soll bleiben
Eltern, Großeltern und Kollegen sind weiterhin optimistisch, Annika Dockhorn an der Helene-Lange-Schule zu behalten. © Michael Rahn | Michael Rahn

„Der Bankberuf hat mich nicht mehr erfüllt“, erzählt Annika Dockhorn. Viel lieber wollte sie jungen Menschen helfen, gut ins Leben zu starten. Damals fehlten an der Schule Fachkräfte für etwa 60 Stunden Unterricht. Die Bankkauffrau stieg mit acht Stunden ein, machte nebenbei die Ausbildung zur Lerntherapeutin. Normalerweise dauert das drei Jahre. Annika Dockhorn schaffte die Prüfungen neben der Arbeit in der Schule, in die sie immer tiefer einstieg, bereits nach zwei Jahren.

Ausbildung zur Lerntherapeutin in zwei statt drei Jahren geschafft

Bei den Berufsverbänden für Lerntherapie muss sie sich jedes Jahr weiter qualifizieren. Und auch darüber hinaus besucht die engagierte Frau Seminare, um sich für ihre Aufgabe immer besser zu wappnen. Das macht Annika Dockhorn, obwohl ihre Verträge allenfalls jährlich verlängert wurden.

Trotzdem scheinen die Tage an einer schleswig-holsteinischen Schule gezählt, obwohl landesweit hunderte Grundschullehrer fehlen und Tausende Vertretungskräfte im Einsatz sind. Der Grund: In Schleswig-Holstein gilt die Regel, dass die Vertretungskräfte höchstens fünf Jahre oder acht Verlängerungen bleiben dürfen, ansonsten fürchtet man, dass sie sich fest einklagen können.

Landtagsabgeordneter rät, sich noch weiter zu qualifizieren

„Das Land setzt darauf, Möglichkeiten zum Seiten-, Quer- und Direkteinstieg ins Lehramt kontinuierlich auszubauen, und bietet daher eine Vielzahl an Qualifizierungsmaßnahmen an. Es berät jede Vertretungslehrkraft systematisch mit dem Ziel, eine verlässliche Zukunftsperspektive zu schaffen. Vielleicht liegt darin ja auch eine Chance für Frau Dockhorn“, sagt der Landtagsabgeordnete Martin Balasus (CDU).

Doch in der Regel wird ein Hochschulstudium erwartet, darauf weist das Bildungsministerium hin. Am besten wäre ein Studium mit pädagogischen Inhalten. Das kann die 46-Jährige nicht vorweisen, und doch bringt sie durch ihre Ausbildung zur Lerntherapeutin fundiertes Wissen mit. Davon ist Lehrerin Claudia Hippe, die seit elf Jahren an der Helene-Lange-Schule unterrichtet, vollkommen überzeugt. Pädagogik werde in der Praxis an der Schule vermittelt und nur wenig an der Hochschule.

Kollegin fürchtet doppelte Arbeit, wenn neue Vertretung kommt

Claudia Hippe gehört zu den 17 festangestellten Pädagoginnen an der Helene-Lange-Schule. Ihnen zur Seite stehen zehn Vertretungskräfte. Die Pädagogin weiß genau, wer nach dem möglichen Abschied von Annika Dockhorn die meiste Arbeit haben wird. „Wir fangen bei den neuen Vertretungskräften wieder von vorn an, müssen sie einarbeiten, Unterrichtspläne erstellen. Das ist doppelte bis dreifache Arbeit für uns.“

Und ohne Quer- und Seiteneinsteiger wird es noch lange nicht gehen. Etwa 400 sind zurzeit im Kreis Pinneberg allein an den Grundschulen beschäftigt. Rund 40 offene Stellen sind unbesetzt, Bewerbungen an einer Hand abzuzählen. Zudem lockt die nahe Hansestadt Hamburg. Dort werden gerade die Barrieren auch für nicht speziell ausgebildete Lehrkräfte gesenkt: Neu ist, dass Seiteneinsteiger nicht nur befristet, sondern auch dauerhaft beschäftigt werden können, wenn sie sich an den Schulen in der Praxis bewährt haben. 

Auch Großeltern hoffen darauf, dass Annika Dockhorn weiter unterrichten darf

Auf diese Lösung wird auch in Schleswig-Holstein gehofft: Deshalb werden Eltern und Kollegen an der Helene-Lange-Schule nicht nachlassen, um Annika Dockhorn zu kämpfen. Swetlana Hamar, deren Sohn einen großen Förderbedarf hat und besondere Aufmerksamkeit benötigt, erzählt mit Tränen in den Augen: „Mein Sohn ist dank Frau Dockhorn zum Mathe-Ass geworden. Sie hat ihm großes Vertrauen geschenkt und ihm ermöglicht, in seinem eigenen Tempo zu lernen.“

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„Unser Enkel hatte anfangs in der Schule überhaupt keine Lust, wollte nichts lernen. Seitdem Frau Dockhorn ihn unterrichtet, liest er uns mit Freude vor“, berichten Brigitte und Rüdiger Pahling. „Die Kinder gehen friedvoll miteinander um“, lobt eine Mutter. Eine andere Mutter, die ausgebildete Lehrerin ist, nennt einen weiteren Grund für einen neuen Umgang mit den Quereinsteigern: „Die Vertretungskräfte verstärken unsere multiprofessionellen Teams, die wir in den Schulen brauchen.“