Kreis Segeberg. Bewegungsmangel und Reizüberflutung wirken sich negativ aus. Was im Kreis Segeberg geschehen soll, um Grundschülern zu helfen.
Immer mehr Kindern, die in die Grundschule kommen sollen, fehlt es an sozialer Reife. Zu dieser Erkenntnis kommt das Gesundheitsamt des Kreises Segeberg nach den Schuleingangsuntersuchungen. Viele Kinder können sich nicht konzentrieren, zeigen eine motorische Unruhe, leiden an Bewegungsmangel und Reizüberflutung. Auch das Sehen wird schlechter. Bund und Land wollen gegensteuern – und davon profitiert auch der Kreis Segeberg. Mehrere Grund- und Gemeinschaftsschulen sowie Kindertagesstätten werden im nächsten Schuljahr finanziell so ausgestattet, dass sie auffällige Kinder besser fördern können. Perspektiv-Schulen und -Kindertagesstätten sollen diese Aufgaben bewältigen.
Die Ergebnisse der Schuleingangsuntersuchungen sind für viele Fachleute alarmierend. Für das nach den Sommerferien beginnende Schuljahr wurden im Kreis Segeberg 2850 Kinder untersucht. Damit wurden alle künftigen Schulkinder erfasst. Nach Angaben des Kreisgesundheitsamtes nehmen die dabei ermittelten Defizite zu.
Immer mehr Kinder leiden an Wahrnehmungsstörungen und können schlechter sehen
Neben der mangelnden Bewegung gehört nach Ansicht der Experten des Kreisgesundheitsamtes auch eine weitgehend unzureichende Schulung der Sinneswahrnehmung der verschiedenen Sinnesorgane sowie Reizüberflutung im Tagesablauf der Kinder dazu. „Das alles kann die Auffälligkeiten verstärken oder sogar ursächlich sein“, teilt das Gesundheitsamt des Kreises mit. Kinder mit Wahrnehmungsstörungen zeigten häufig auch ein auffälliges Sozialverhalten.
Beim Schulckeck machen Kinder einen Seh- und Hörtest, werden gemessen gewogen und müssen Aufgaben lösen. Dabei stellte sich heraus, dass viele Kinder weniger Kenntnisse mitbringen als früher, eine schlechtere Sprachkompetenz haben und ihnen die gestellten Aufgaben ausführlicher erklärt werden müssen. Auch das wurde dabei festgestellt: Die Augengesundheit der Schulkinder wird schlechter. Mangelnder Aufenthalt im Freien sowie ein zu seltener Blick in die Ferne könnten nach Ansicht der Gesundheitsexperten die Gründe sein.
Zunnehmender Medienkonsum und Engpässe in der Kita-Betreuung sind ausschlaggebend
Ziel der Landesregierung ist es, die Bildungs- und Teilhabechancen der Kinder zu verbessern. Eine Landespolitikerin, die sich mit diesem Thema beschäftigt, ist Katja Rathje-Hoffmann aus Nahe (CDU), Vorsitzende des Landtagsausschusses für Soziales, KiTa, Frauen/Gleichstellung: Für sie beginnt Chancengerechtigkeit in der Kindertagesstätte: „Nach der primären Sozialisation der Kinder in der Familie ist die Kindertagesstätte der erste Kontakt zum größeren Umfeld außerhalb der Familie.“
Allerdings: Oft klappt es schon mit der „primären Sozialisation“ in der Familie nicht so richtig. Für den Landesverband der Kinder- und Jugendärzte sind zunehmender Medienkonsum der Kinder und Engpässe bei der Kita-Betreuung mit ausschlaggebend für eine abnehmende sozial-emotionale Reife vieler Kinder im Vorschulalter.
Das Land will Perspektiv-Kitas einrichten, um Kindern gezielt zu helfen
Eine Beobachtung, die auch von der Sozial- und -Familienpolitikerin Katja Rathje-Hoffmann geteilt wird: „Oft sind die Familienverhältnisse alles andere als geordnet, zu häufig beschäftigen sich Kinder mit Smartphones und Tablets.“ Für sie steht deshalb fest: „In der frühen Kindheit erleben die Kinder Verhaltensweisen und Lebensstile in vielen Bereichen, deswegen ist ihre Sozialisation in der Kindertagesstätte so enorm wichtig.“
Anfang des Jahres haben sich Fachleute aus Schulen, Kindertagesstätten, freien Trägern, Städten und Gemeinden, Ministerien und Elternschaft getroffen, um gemeinsam zu überlegen, wie es weitergehen soll. Das Ergebnis: In Schleswig-Holstein sollen Perspektiv-Kitas eingerichtet werden, in denen vor allem Kinder aus Familien mit einem geringen Bildungsstand der Eltern, mit Migrationshintergrund und psychosozialen Belastungen gefördert werden. „Dadurch“, so Katja Rathje-Hoffmann, „können Familien und Kinder noch besser unterstützt werden.“
Im Kreis Segeberg gibt es bisher nur zwei Förderschulen für sozial auffällige Kinder
Für die Vorbereitungen in diesem Jahr stellt das Land 250.000 Euro in den aktuellen Haushalt ein, im kommenden Jahr sind 2,05 Millionen Euro für die praktische Umsetzung vorgesehen. Voraussetzung für die Gründung von Perspektiv-Kindergärten ist das Vorhandensein von ähnlich gelagerten Perspektiv-Schulen, damit ein nahtloser Übergang für die betroffenen Kinder möglich ist.
Der Kreis Segeberg steht aktuell ganz unten auf der landesweiten Rangliste: Es gibt zwei Perspektiv-Schulen, in denen Kinder speziell gefördert werden. In Norderstedt ist das die Gemeinschaftsschule Ossenmoorpark, in Trappenkamp die örtliche Grundschule. Andere Kreise sind deutlich besser aufgestellt: Im Kreis Pinneberg zum Beispiel gibt es sechs Schulen, in denen Kindern mit Unterstützungsbedarf geholfen werden kann. Alleine in der Stadt Rendsburg gibt es bereits fünf Perspektiv-Schulen. Landesweit sind es 63 Schulen.
Elf weitere Schulen aus dem Kreis werden zu Perspektiv-Schulen ernannt
Das allerdings soll sich bald ändern. Bund und Länder haben sich verständigt., dass ab dem Schuljahr 2024/25 bundesweit rund 4000 Schulen gefördert werden. Je eine Milliarde kommen von Bund und den Ländern. An diesen Schulen wird in eine bessere Infrastruktur und Ausstattung investiert, aber auch bedarfsgerechte Maßnahmen der Schul- und Unterrichtsentwicklung und eine gezielte Stärkung multiprofessioneller Teams werden gefördert, teilt Bildungsministerin Karin Prien (CDU) mit. Das Ziel bleibt, der Name ändert sich: Was seit dem Schuljahr 2019/20 unter der Überschrift „PerspektivSchul-Programm“ in Schleswig-Holstein läuft, wird als „PerspektivSchule Kurs 2034 – das Startchancen-Programm in SH“ bis 2034 fortgesetzt.
Elf weitere Schulen aus dem Kreis Segeberg werden verpflichtend in dieses Programm aufgenommen. Die Auswahl wurde von Bildungsexperten anhand des jeweiligen sozialen Schulumfeldes vorgenommen, Bewerbungen durften nicht eingereicht werden. Darunter sind vier weitere Schulen in Norderstedt.
Schulen erhalten die Möglichkeit, pädagogische Mitarbeitende einzustellen
Die ausgewählten Schulen erhalten finanzielle Unterstützung, um pädagogische Mitarbeitende einzustellen. Darunter fallen zum Beispiel schulische Assistenzen, Ergotherapeuten und Logopäden. In Norderstedt wurden diese Schulen zusätzlich ausgewählt: Gemeinschaftsschule im Schulzentrum Nord, Grundschule Heidberg, die offenen Ganztags-Grundschulen am Wittmoor und Niendorfer Straße sowie die Schule Lütjenmoor.
Weitere Perspektiv-Schulen werden in Kaltenkirchen (Gemeinschaftsschule Marschweg, Grundschulen Alter Landweg und Flottkamp), Bad Bramstedt (Grundschule Maienbeeck), Boostedt (Grund- und Gemeinschaftsschule) und Bad Segeberg (Theodor-Storm-Grundschule) eingerichtet.
Kitas und Schulen sollen Hand in Hand arbeiten
Für den Kreis Segeberg bedeutet das: Es wird voraussichtlich auch weitere Perspektiv-Kitas geben. „Die Kooperation von Kitas mit einer Perspektiv-Schule ist verpflichtend“, sagt CDU-Politikerin Rathje-Hoffmann. Landesweit sollen 45 Perspektiv-Kindertagesstätten gegründet werden, wobei sich jede vorhandene Einrichtung für dieses Projekt bewerben kann, um an einem Auswahlverfahren teilzunehmen.
Warum der Kreis Segeberg bisher so schlecht mit Perspektiv-Schulen ausgestattet ist, weiß auch der Vorsitzende des Ausschusses für Bildung, Kultur und Sport des Kreistages, Alexander Wagner (SPD), nicht. „Ich freue mich allerdings, dass jetzt auf diese Weise nachgebessert wird.“
Kreisgesundheitsamt: Auch die Eltern sollen in die Pflicht genommen werden
Das Kreisgesundheitsamt regt an, dass nicht nur die Schulen bedarfsgerecht ausgestattet werden, sondern auch die Eltern in die Pflicht genommen werden: „Wünschenswert wäre eine Schulung der Eltern oder Familien zu kindgerechten Spielen, die alle Entwicklungsbereiche und auch die Sprache fördern und Bewegungsschulungen sowie eine Schulung zum kindgerechten Umgang mit digitalen Medien.“
In der Norderstedter Gemeinschaftsschule Ossenmoorpark, die seit zwei Jahren vom Startchancen-Programm profitiert, nach Antragsproblemen aber noch in der Startphase ist, werden aktuell sieben Kinder gefördert, die aus verschiedenen Gründen nicht beschulbar sind. Keines dieser Kinder hat einen Migrationshintergrund.
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Unterstützt werden zwei dafür abgestellte Lehrkräfte aus der Schule von zwei Sozialpädagogen, die vom SOS-Kinderdorf vermittelt wurden. Bezahlt werden die zusätzlichen Kräfte aus den Mitteln, die vom Land für Perspektiv-Schulen zur Verfügung gestellt werden.
Erste Erfolge in der Gemeinschaftsschule Ossenmoorpark
Kathrin Peters, seit März Leiterin der Schule Ossenmoorpark, kann kleine Erfolge und Fortschritte vermelden: „Es läuft sehr gut; die Kinder können langsam in den Schulalltag integriert werden.“ Räumlich sind die Kinder vom übrigen Schulbetrieb abgegrenzt: Der Spezialunterricht findet im Jugendzentrum der Schule statt.
Für diese Schule geht es weiter: Die Gemeinschaftsschule Ossenmoorpark wird im kommenden Schuljahr und in den Jahren danach bis 2034 aus den Landes- und Bundesmitteln des Starchancen-Programms gefördert. Bildungsministerin Karin Prien hat dabei dieses Ziel vor Augen: „Die Zahl derer, die die Mindeststandards in Mathematik und Deutsch verfehlen, soll halbiert und die Ausbildungsreife und Berufsfähigkeit gefördert werden.“