Kiel. Viele der Aushilfen unterrichten ohne abgeschlossene Ausbildung. Hamburger Umland besonders betroffen. „Schulen fürchten um ihren Ruf“.
Ohne sie bräche vermutlich der Unterrichtsbetrieb in vielen Schulen in Schleswig-Holstein zusammen – ohne die Vertretungs- oder Aushilfslehrkräfte. Mal sind es pensionierte Lehrerinnen und Lehrer, mal sind es junge Menschen mit einem Bachelor-Abschluss, mal sind es auch fertig ausgebildete Lehrer, die keine Festanstellung finden und sich mit einem befristeten Job „über Wasser halten“. Und dann gibt es auch noch die große Gruppe der Vertretungslehrer ganz ohne Uni-Abschluss.
Mehr als 4000 Vertretungskräfte unterrichten an Grund-, Gemeinschafts- oder Berufsschulen sowie Gymnasien in Schleswig-Holstein. Diese Zahl nannte das Bildungsministerium jetzt auf eine Kleine Anfrage des SPD-Abgeordneten Martin Habersaat. Überdurchschnittlich viele dieser Aushilfslehrer sind an Schulen im Hamburger Umland beschäftigt. Ganz vorne liegt der Kreis Pinneberg.
Es ist ein Thema, über das viele Schulen lieber schweigen. Das jedenfalls sagt Martin Habersaat. Er dürfte es wissen: Bevor Habersaat für die SPD in den Kieler Landtag wechselte, unterrichtete er am Krause-Gymnasium in Hamburg-Barmbek. „Die Schulen reden nicht gerne offen über die Zustände, weil sie natürlich um ihren guten Ruf fürchten, aber auch, weil das Ministerium sie nicht gerade dazu ermuntert, das zu tun“, sagt der SPD-Bildungsexperte.
Schule in Schleswig-Holstein: 1280 Vertretungslehrer ohne Ausbildung im Umland
Laut einer sogenannten Stichtagserhebung unterrichteten im gesamten letzten Schuljahr laut der Antwort aus dem Bildungsministerium 4178 Vertretungslehrkräfte an den Schulen im Norden. Darunter waren 1051 Personen mit einer vollständigen Lehramtsausbildung – 742 fertig ausgebildete Pädagogen und 309 Pensionäre. Lässt man diese 1051 in der Betrachtung außen vor, so unterrichteten immerhin 3127 Lehrkräfte ohne abgeschlossene Ausbildung Schüler im Norden. Blickt man auf die Kreise im Hamburger Umland, so liegen hier die Zahlen noch über dem Landesdurchschnitt. So arbeiteten in den Kreisen Pinneberg 411, Segeberg 327, Stormarn 309 und Herzogtum Lauenburg 233 Menschen ohne abgeschlossene Lehramtsausbildung.
Inzwischen ist laut Habersaat landesweit jede zehnte Lehrkraft „gar kein richtiger Lehrer“. An den Grundschulen seien es laut dem jüngsten Bericht zur Unterrichtssituation im Durchschnitt sogar 15,9 Prozent. „Wir finden im Land heute Schulen, bei denen die Hälfte des Kollegiums aus Menschen besteht, von denen wir froh sind, dass es sie gibt, die aber eben keine fertig ausgebildeten Lehrerinnen und Lehrer sind“, kritisiert der Bildungsexperte der SPD.
Schulen sind auf Vertretungslehrer angewiesen
„Die Schulleitungen und wir alle sind auf diese Vertretungslehrkräfte angewiesen. Aber wir gehen nicht gut mit ihnen um“, mahnt Habersaat. Nach fünf Jahren befristeter Anstellung würden sie freigestellt, damit sie sich nicht auf eine unbefristete Stelle klagten. In diesen fünf Jahren dürften die Aushilfen aber alles machen, bis hin, eine Klasse zu leiten. Aber einen verlässlichen Weg in den Schuldienst gebe es nicht für sie. Die hohe Zahl belaste zudem die Kollegien, die immer wieder neue Kräfte anlernen müssten, sagt Habersaat.
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Aus Sicht des SPD-Politikers sind Schulen in den Hamburger Umlandkreisen Kiel oder Lübeck gegenüber im Nachteil. Hamburg stelle junge Lehrer verlässlicher ein als das Nachbarland im Norden, biete Lehrkräften ein attraktiveres Arbeitszeitmodell an und „eile auch in vielen anderen Bereichen Schleswig-Holstein bildungspolitisch gerade davon.“ Habersaat spricht von einem „Standortnachteil“ für Schleswig-Holstein.