Henstedt-Ulzburg. Schon über 100 Mitglieder in Henstedt-Ulzburg: Vereinsgründer erklärt Pläne, spricht über gesetzliche Hürden und soziale Verantwortung.
- Verein „420 Forever“ soll eine Cannabis-Anbauvereinigung werden
- Bis Ende September hofft Gründer Joey Claussen auf die Genehmigung des Landes
- Ehemalige Kultdisco „Joy“ wird derzeit umfangreich umgebaut
Vergangenheit und Zukunft könnten nicht näher beieinander liegen. An der Front des Hallenkomplexes am Kirchweg in Henstedt-Ulzburg hängen noch die schwarz-weiß-pinken Banner der im April geschlossenen Kultdiskothek Joy. Daneben stellt sich ein Verein vor: „Forever 420 e. V.“ Dahinter verbirgt sich ein mutiges Vorhaben, gestartet von Joey Claussen, dem Inhaber des Joy. Er will die Möglichkeit, die das neue Cannabisgesetz bietet, nutzen und genau hier einen Cannabis Social Club, also eine Anbauvereinigung, etablieren. Und das ist längst im Gange, denn das Gebäude ist eine Großbaustelle.
Dabei fehlt noch das Okay der Behörden. Deswegen sind hier auch noch keine Pflanzen zu sehen. Wobei die Überlegungen schon fast ein Jahr alt sind. „Ich habe mich schon im September des Vorjahres damit beschäftigt, als der Referentenentwurf des Cannabisgesetzes rauskam und man wusste, wie Deutschland sich aufstellen möchte, um die Teil-Legalisierung durchzuführen.“
Joy in Henstedt-Ulzburg: Ehemalige Kult-Disco wird ein Cannabis Social Club
Anbauvereinigungen sind quasi Genossenschaften. Die Mitglieder sind gemeinsam zuständig für das Züchten und Ernten, sind aber auch die einzigen, die hiervon etwas abbekommen dürfen. Und zwar maximal 25 Gramm pro Tag oder 50 Gramm im Monat. Für einen normalen Joint braucht es ungefähr ein halbes Gramm.
Davon abgesehen, ist es Erwachsenen zwar sowieso nun gestattet, pro Person zu Hause bis zu drei Pflanzen zu besitzen und abzuernten. Doch nicht alle wollen ihr eigenes Ding machen, daher ist der Club so reizvoll. „Am 27. November haben wir uns gegründet. Seitdem gibt es das rege Vereinsleben.“
Sieben Gründungsmitglieder haben jeweils fünfstellige Summen investiert
Und Claussen ist der Vorsitzende. „Die sieben Leute, die von Anfang an diese Idee hatten, haben jeweils eine fünfstellige Summe in dieses Projekt investiert, gesagt, sie geben den Kredit an den e. V. – so müssen wir uns kein Geld von Banken einholen. Es ist unser Erspartes.“
Und so gebe es drei Säulen: Neben dem Vorstand sind das ein „Anbau-Rat“ – und die gesetzlich vorgeschriebene Abteilung für Prävention. „Der Beauftragte für Prävention muss eine Vorbildung haben. Ich habe einen alten Schulfreund, den Tobi, kontaktiert, der ist Heilerziehungspfleger und hat schon Suchtvorschulungen gemacht.“
Insgesamt seien es aktuell 115 Mitglieder. „Sie haben eine einmalige Startgebühr von 42 Euro gezahlt. Der Monatsbeitrag wird dann geschätzt zwischen 89 und 119 Euro sein.“ Aber erst, wenn man wisse, wie hoch die Kosten seien. Doch der Antrag auf Genehmigung ist erst kürzlich eingereicht worden, und zwar beim zuständigen Landeslabor in Neumünster.
Cannabis wird erst gezüchtet, wenn die Genehmigung vorliegt
Das Züchten würde erst beginnen, sobald der Club eine Genehmigung erhalten hat. Dafür gibt es eine Bearbeitungsfrist von drei Monaten, und zwar ab dem Zeitpunkt, sobald die vollständigen Unterlagen vorliegen. Nach Auskunft des Ministeriums für Landwirtschaft, ländliche Räume, Europa und Verbraucherschutz seien bislang neun Anträge eingegangen. Neben jenem aus Henstedt-Ulzburg sind darunter zwei weitere aus dem Kreis Segeberg, nämlich von Vereinen mit Sitz in Nahe und Traventhal. Weitere Anbauvereinigungen sind geplant in Pinneberg, Molfsee, Schwentinental, Rendsburg, Schleswig und Lübeck.
Von einem Boom kann also nicht die Rede sein. Das hat mehrere Gründe. Erstens: Der bürokratische Aufwand, so Joey Claussen. „Mein Vorteil: Ich habe mit dem Papierkram jahrelange Erfahrung, Corona war die perfekte Übung. Der Antrag war über 35 Seiten lang, wir mussten x Konzepte schreiben. Alles ist eingereicht. Jetzt warten wir nur.“
Dann: Die Kosten für Räumlichkeiten, Equipment und Pflanzen sind hoch, könnten auch noch weiter steigen durch Auflagen. „Die Behörden könnten sagen: Normale Kohlefilter reichen uns nicht, ihr braucht hier noch für 20.000 Euro eine Abluft-Filteranlage.“ Da sei man den Mitgliedern gegenüber ganz offen. Bisher liege „der Gesamt-Invest bei 100.000 Euro“.
Paradox: In den Clubräumen darf nicht gekifft werden
Ein drittes Problem: In den Clubs dürfen keine Raucher-Lounges sein, der Konsum des geernteten Stoffs ist vor Ort verboten, so paradox es klingen mag, und zwar in einem Radius von 100 Metern um den Eingang. Mitgebrachte Zigaretten wären hingegen erlaubt. Auch, einen Joint zu bauen. Aber eben nicht, sich diesen anzustecken. „Diese Regelung hat in keinster Weise einen sinnvollen Hintergrund. Die Mitglieder müssen rausgehen und auf offener Straße kiffen.“ Das gemeinsame Genießen fällt also flach. Aus Sicht von Claussen wäre das Gegenteil besser, auch der Prävention wegen, also: Raucht jemand vielleicht zu viel, oder verträgt eine Cannabissorte mit höherem THC-Gehalt nicht so gut? „Der Community-Gedanke ist beschnitten.“
Dabei ist es durchaus spannend, wer hier zusammenkommt. „Was wir in den letzten Monaten kennengelernt haben: Die Hanf-Freunde, Liebhaber, einige nennen es Aktivisten, diese Szene vernetzt sich gerne auf Veranstaltungen, aber auch in einem gemütlichen Umfeld wie hier. Wir konnten viele Mitglieder schon kennenlernen, die freiwillig mithelfen, diesen Club mit aufzubauen. Man merkt, dass dahinter auch eine große soziale Komponente steckt.“ Es ist eine bunte Mischung. „Kiffer sind ein absoluter Querschnitt der Gesellschaft. Wir haben Leute, die gerade 21 geworden, welche, die 55 sind und das seit 30 Jahren machen. Ein Großteil ist männlich. Wir haben nur drei Frauen bei uns.“ Warum? „Ich glaube, Frauen konsumieren weniger, wenn sie Kiffer sind.“
Wer seinen Ernteanteil privat verkauft, fliegt aus dem Verein
Der Verein dürfe gerne weiterwachsen, bis zu 400 Mitglieder wären machbar. Alle werden vorher allerdings einem Kennenlern-Check unterzogen. Auch, um weitestgehend sicher zu sein, ob eine Person charakterlich passt. Ein Risiko ist allen bewusst: Wenn jemand seine Ernteanteil nicht selbst raucht, sondern verkauft. Das wäre illegal. In einem solchen Fall wird das Mitglied rausgeworfen, das ist in der Satzung geregelt.
Ende September, so ist die Hoffnung, soll die Genehmigung vorliegen. Und dann? „Wir haben drei Räume, in denen wir anbauen. Zwei sind als Blüteraum konzipiert, einer als Vegetation. Insgesamt knapp über 80 Quadratmeter Anbaufläche.“ Umgerechnet: rund 250 bis 300 Pflanzen unterschiedlicher Sorten. „Hoffentlich werden wir zu Weihnachten vier schöne Sorten ernten dürfen, um uns selbst zu belohnen für die Arbeit, die wir hier reingesteckt haben.“
Ein Unternehmen ist der Club allerdings nicht. Geld lässt sich also keines verdienen. Aber vielleicht mit anderen Ideen. „Es ist kein Geheimnis: Ich möchte mich in den nächsten Jahren, vielleicht Jahrzehnten, weiter in dieser Szene ausbreiten, quasi vom Alkohol weg und zu der Droge, die ich für die beste halte. Und ich kann es mit meinem Gewissen besser vereinbaren, als Leute abzufüllen.“ Denn in der Disco ging es eben darum, möglichst viel einzunehmen mit Bier, Schnaps oder Longdrinks.
Vereinsvorsitzender will auch als Unternehmer in der Cannabisbranche aktiv sein
Claussen will in der noch jungen Branche als Unternehmer Fuß fassen. „Ob das nun die Jungpflanzen-Produktion ist oder ob es doch eine medizinische Komponente bekommt, wird sich zeigen. Vielleicht gibt es ja auch noch eine offizielle Freigabe für den Konsumentenmarkt. Denn viele Leute, die nur wenig konsumieren, fallen noch komplett durch das Raster.“ Wie er das meint: „Du kannst dir deine drei Pflanzen hinstellen, erntest vielleicht doch 150 Gramm, das rauchst du in einem Jahr nicht weg. Und abgeben darfst du es nicht.“ Im Gegensatz dazu basiere ein Social Club darauf, dass die Mitglieder viel konsumieren. „Das ist unattraktiv für jemanden, der nur mal einen Joint im Jahr raucht.“
Deswegen geht er auch davon aus, dass die absolute Zahl der Menschen, die kiffen, gar nicht zugenommen hat. „Was alles behauptet wurde: Deutschland wird ein Kiffer-Land, der Verkehr bricht zusammen. Ich würde sogar behaupten, dass der Konsum in den Szenekreisen nicht gestiegen ist, es ist genauso viel wie vorher, nur entspannter. Auch die Justiz wird langsam, aber sicher merken, dass die wegbleibenden Cannabis-Straftaten eine Entspannung sind, selbst wenn alte Fälle noch aufgearbeitet werden müssen.“
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Wo er aber eine Gefahr sehe, das sei der Jugendschutz. „Denn durch die Legalisierung wird mit dem Thema offener umgegangen.“ Selbst, wenn nicht in Gegenwart von Kindern geraucht wird, nehmen diese auf offener Straße den Geruch ja wahr. Deswegen wäre er auch jederzeit bereit, für Präventionsveranstaltungen und Aufklärung an örtliche Schulen zu gehen. „Wenn man es sinnvoll macht, müssten Social Clubs wie wir dazu verpflichtet werden. Früher gab am UKE doch auch den Tag ,Nichtrauchen ist cool!‘“
Joy: Claussen will Location nicht mehr verkaufen
Vor den Augen seines zweijährigen Sohnes kiffe er „auf gar keinen Fall“, betont er. Das wäre rechtlich auch nicht erlaubt. „Ich bin junger Vater und gehe absolut verantwortungsbewusst damit um.“ Er rechnet auch damit, dass es nicht nur in Henstedt-Ulzburg am Vereinssitz Kontrollen geben werde, sondern möglicherweise auch bei ihm und seiner Familie zuhause.
Den Plan, die Marke „Joy“ zu verkaufen, samt Inventar, hat er übrigens verworfen. Die Main Hall, also die große Tanzfläche, wird auch künftig als Eventlocation zu mieten sein. Dafür muss diese aber baulich noch getrennt werden vom Cannabis Social Club. Anfragen gebe es einige, „teils Firmen, aber vor allem aus dem privaten Bereich, Geburtstage, Klassentreffen, das kostet 1000 bis 2000 Euro“. Und zwar inklusive Getränke und Personal. „Wir können eine Originaldisco vermieten. Der Gastgeber muss nur dekorieren, wenn er Bock hat.“ Auch andere Veranstaltungen wird Claussen, dann mit seiner Firma JDC, durchführen. Sein wichtigstes Standbein bleibt allerdings das Nordic Bowling, wenige Meter entfernt im Gewerbepark Nord.
Info: 420forever.de