Henstedt-Ulzburg. Inhaber Joey Claußen schließt in wenigen Monaten. Er sieht viele Gründe für den dramatischen Niedergang der Partykultur.
Dass Joey Claußen einmal auf seiner eigenen Beerdigung sprechen würde, hätte er nie gedacht. Doch genauso fühlt es sich für ihn an, als er im Joy, seiner Diskothek in Henstedt-Ulzburg, auf die Bühne steigt und von dort Freunden und Weggefährten die bittere Nachricht verkündet. „Das Joy muss sterben.“ Diesen brutalen Satz wird er später sagen. Doch es ist tatsächlich so: „Noch zehn Partys“ werde es im nächsten Jahr geben, am 27. April ist die letzte, dann war es das mit einer Institution. Das Disco-Sterben verschont auch einen Club nicht, der eigentlich als krisensicher und etabliert galt.
Ein Trugschluss. „Wir müssen den Betrieb tatsächlich einstellen, weil es sich nicht mehr machen lässt.“ Ihm stockt kurz die Stimme. „Ich feiere ein trauriges Jubiläum, mein zehnjähriges. Das wird keine einfache Nummer heute. Im Dezember 2013 bin ich das erste Mal hier reingekommen.“ Er bekam die Chance auf ein Praktikum als Barkeeper, damals durch seinen Vorgänger. Der Rest ist Geschichte. „Ihr wisst, was wir hier gerissen haben, ihr kennt den Werdegang. Und auch wenn hier ganz viel Liebe drinsteckt und ganz viele Leute über Jahre mitgeholfen haben, reicht es manchmal nicht.“
„Das Joy muss sterben“: Vorzeige-Disco in Henstedt-Ulzburg gibt auf
Der 29-Jährige dankt seinem Team, „dass ihr die letzten Monate hier durchgehalten habt“. Denn: Wie frustrierend muss das sein, wenn die Partys, die angeboten werden, die Konzepte, kaum noch angenommen werden? Er hat vor der Bekanntmachung noch einmal die Kassenauswertung studiert. Dabei nimmt er den Zeitraum vom 1. April bis Silvester. „Unter dem Strich sind es 40 Prozent weniger als im Vorjahr. Das reicht nicht. 2022 hatten wir im Schnitt 260 Gäste, jetzt sind es 145. Das Joy braucht 200, um wirtschaftlich zu arbeiten, und da reden wir von einem Drittel Kapazität. Selbst bei den 1-Euro-Partys kamen nur 180 Leute.“
Gebrummt hat der Club fast gar nicht mehr. „Es sind ganz viele Abende dabei, die einfach todesleer sind. Und ich frage mich, wir fragen uns: Woran liegt das, warum wird dieser Laden nicht voll, warum geht es allen Diskotheken so schlecht momentan? Wir haben Corona überlebt, das Joy war 19 Monate geschlossen, ich stand hier schon mal und habe geheult, weil ich nicht wusste, was ich mit diesen Räumlichkeiten machen soll.“
Corona: Das „Joy“ wird Teil eines viel beachteten Modellprojektes
Dann wurde das Joy im August 2021 Teil eines Modellprojektes in Schleswig-Holstein für die Wiedereröffnung von Clubs, verbunden mit einem ausgefeilten Corona-Schutzprinzip. Dass ausgerechnet hier an Weihnachten 2021 trotz „2G plus“ ein Superspreader-Event stattfand, war damals eine Verkettung unglücklicher Umstände und einer hoch infektiösen Virusvariante geschuldet. Aber: Dem Joy schadete das nicht, vielmehr war man plötzlich sogar bundesweit bekannt.
Die Gäste kamen zunächst wieder, als die Corona-Einschränkungen nach und nach verschwanden. Parallel hatte Claußen das Nordic Bowling eröffnet, ein „Megaerfolg“, sagt er. Doch irgendwie ist es auch symptomatisch, dass die Menschen lieber die ruhigen Kugeln schieben als auf dem Dancefloor zu eskalieren.
Noch im Frühjahr: „Alles war super, das Konto war voll“
2022 auf der Joy-Weihnachtsfeier habe er gesagt: 2023 werde „ganz, ganz schwer“ Denn: „Ich dachte, dass das Gas, der Strom abgestellt werden, dass uns die Energiekrise mit voller Härte trifft. Ich war mir sicher, auch durch mediale Berichterstattung: Es wird eine enge Kiste.“ Doch es kam zunächst anders, die Partys zum Jahresende liefen gut, auch der Januar, also die wichtigste Zeit. „Alles war super. Wir haben Die Atzen gebucht, haben einen fetten Geburtstag gefeiert, das Konto war voll.“
Das Joy, mit maximal 600 Gästen ein kleiner Club, war nicht tot zu kriegen, dachte er. Krisen habe man viele überstanden. „Corona war nur die Spitze. Wir hatten hier einen Totschlag, Mafiosi vor dem Laden, die unsere Türsteher vor den Augen von 400 Leuten k.o. geschlagen haben. Und wir haben es trotzdem geschafft, solche Krisen zu bewältigen“, so Claußen.
„Diese Generation hat die Pandemie in voller Härte abgekriegt“
„Das Problem ist mittlerweile ein anderes geworden. Seit dem Joy-Geburtstag am 6. April ist dieser Laden einfach zu leer. Es hat viele Gründe. Wir haben eine Inflation, unsere Gästegruppe ist sehr jung. Das bedeutet: Die Gäste, die jetzt kommen würden, haben nur halb so viel im Portemonnaie wie sonst. Unsere Kosten sind ungefähr um 30 Prozent gestiegen in der Zeit. Ich habe mehrere Tausend Euro an Strom nachgezahlt, wir haben hohe Gema-Kosten, die Mehrwertsteuer-Diskussion. Die Schere ist mittlerweile enorm.“
Dazu kommt: „Die Leute gehen heutzutage einfach nicht mehr oft zum Feiern, weil sich das Mindset nach Corona geändert hat. Diese Generation, die jetzt im Joy-Alter von 17 bis 19 Jahre wäre, hat die Pandemie in voller Härte abgekriegt. Das sorgt dafür, dass Hauspartys, Sit-Ins cool sind, man trifft sich beim E-Gaming.“ Die Folge: „Das Erlebnis, was wir hier abends versuchen, zu unseren Gästen zu bringen, ist einfach nicht mehr so gefragt.“
Wenn etwas noch funktioniert, dann „Ü30“-Abende
Sie haben die Besucher befragt. „Es ist wirklich, und das wird der Hauptgrund sein, die Desozialisierung der Jugend durch die Pandemie. Sie wollen chillen, sich ein bisschen unterhalten, wollen keine Regeln, illegale Partys sind also manchmal interessant, aber auch Hauspartys. Da brauchst du keinen Ausweis, du wirst nicht abgetastet, deine große Schwester kauft dir eine Flasche Woddi.“
Alles ist unberechenbar geworden. Bei einer 90er-, 2000er-Nacht vor dem Tag der Deutschen Einheit waren es 480 Gäste. „Genau diese Party haben wir jetzt letzten Samstag gemacht, weil sie so gut lief. Und da kamen 80. Du kannst nicht mehr planen. Und das Joy wird extrem schnell extrem teuer.“ Trotzdem: Wenn überhaupt noch etwas läuft, dann „Ü30“, hier hat er sogar Zuwachs registriert. Aber diese Zielgruppe zieht maximal einmal im Monat los.
Abi-Partys: „Auf Feiern haben wir keinen Bock“, sagen Jahrgänge
Krass sei es bei den Abi-Partys gewesen. „Wir haben immer die Jahrgänge unterstützt. Da gab es welche, die haben 20.000 Euro mit nach Hause genommen. Jetzt hatten wir die Situation, dass es zwar Komitees gibt, aber der Jahrgang gegen diese arbeitet und sagt: Auf Feiern haben wir keinen Bock.“ Und so wurden zwar teilweise Tickets im Vorverkauf erworben, zu den Partys kam aber kaum jemand.
Natürlich: Auch sein Marketing ist eingebrochen, es werden eben nur noch 20 statt 200 Plakate gedruckt. „Wir sind in diesen Trichter reingefallen. So wie es aktuell an den regelmäßigen Öffnungstagen, Freitag und Samstag, läuft, würde es unsere Firma als Ganzes nicht über den nächsten Sommer hinaus schaffen.“
Joy und Nordic Bowling gehören zur selben GmbH, dazu kommen Außenevents wie in diesem Jahr das Festival in Kaltenkirchen oder eines im Freibad Beckersberg. Aber all das wird das Joy nicht querfinanzieren können. Ganz wichtig, betont er: Das Nordic Bowling ist nicht in Gefahr. „Das läuft bombig. Wenn das nicht wäre, wäre ich im August Pleite gegangen.“
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Henstedt-Ulzburg: Das „Nordic Bowling“ ist nicht gefährdet
Dennoch: Die finanzielle Situation ist nicht leicht. Neue Investitionen in das Bowling-Center sind derzeit nicht drin. Und Claußen ist junger Familienvater, auch in das eigene Haus müsste Geld gesteckt werden. Die nächsten Monate werden anstrengend. „Das Beste wäre, wenn sich ein Käufer findet. Aber ich sage, wie es ist: Das Joy komplett geschlossen zu lassen, nur die Pacht zahlen, aber Strom abmelden, alles abmelden, ist günstiger, als es weiter zu betreiben.“ Er mahnt: „Wir müssen Anfang des nächsten Sommers genug Geld auf dem Konto haben, damit zumindest das Nordic Bowling durchkommt und damit wir die Außenevents machen können.“ Denn auch Bowling ist ein Saisongeschäft für den Winter und keine Outdoor-Aktivität.
Zum Verkauf steht alles – nur nicht der Name „Joy“, den wird Claußen nicht abtreten. „Sollte sich ein Käufer finden, der Bock hat, viel Marketingbudget, ein junges Team, dann soll er kommen und sein Glück versuchen.“ Das wird aber nicht mehr er sein. „So oder so: Wir ziehen unser Programm bis Ende des Jahres durch, werden danach noch zehn Partys veranstalten. Die Events sind nur Samstage. Ich hoffe, dass die Gäste kommen und sich von uns verabschieden. Das würde ich mir unter einem ehrenvollen Abgang vorstellen.“