Norderstedt. Reform der Straßenverkehrsordnung gibt mehr Spielraum für Verkehrsberuhigung. Wie Stadtverwaltung und Politik in Norderstedt reagieren.

Ohechaussee, Segeberger Chaussee, Niendorfer Straße, Am Exerzierplatz, Glashütter Damm, Ochsenzoller Straße: Was haben diese Straßen in Norderstedt gemeinsam? Zonen, auf denen Tempo 30 gilt, teils ganztägig, teils nachts, teils tagsüber während der Schulzeit. Die Meinungen hierüber sind in der Stadt stets geteilt gewesen. Künftig könnte es allerdings noch weitaus mehr derartige Abschnitte geben. Denn die Bundespolitik hat mit einem neuen Straßenverkehrsgesetz und einer veränderten Straßenverkehrsordnung allen Städten einen zuvor ungekannten Spielraum gegeben.

Es geht darum, dass Kommunen verkehrsberuhigende Maßnahmen einfacher umsetzen können. Tempo 30 ist bislang etwa mit Rücksicht auf Lärmschutz, vor Schulen, Kitas oder Altenheimen möglich. Nun könnte das auch möglich sein vor Spielplätzen, Zebrastreifen und Fußgängerüberwegen, entlang viel genutzter Schulwege – oder als sogenannter „Lückenschluss“. Das bedeutet: Eine Strecke von maximal 500 Metern zwischen zwei bestehenden 30er-Zonen dürfte ebenso herabgestuft werden.

Neues Gesetz: Bald deutlich mehr Tempo 30 in Norderstedt?

Weitere Erleichterungen betreffen Sonderspuren für den Radverkehr, für Busspuren, oder aber Flächen für Anwohnerparken, wie es in Norderstedt schon vielfach praktiziert wird. Der Gedanke hinter all dem: Sofern die Verkehrssicherheit nicht beeinträchtigt wird, sollen Gesundheitsaspekte, Umwelt- und Klimaschutz sowie städtebauliche Entwicklungen noch mehr berücksichtigt werden.

Die Marommer Straße in Norderstedt ist eine wichtige Ost-West-Verbindung zwischen Ulzburger Straße und Herold-Center. Sie wird grundlegend umgestaltet im Sinne besserer Bedingungen für den Radverkehr. Dafür fallen zahlreiche Parkplätze weg.
Auf der Marommer Straße gibt es seit Kurzem neue Radwege, die teils auch auf der Fahrbahn verlaufen. © Christopher Mey | Christopher Mey

Für Norderstedt sind das viele Hausaufgaben. Und tatsächlich ist die Reform längst Thema im Rathaus, wie Baudezernent Christoph Magazowski bestätigt. „Gerade bei den 30er-Zonen hat sich etwas getan, das liegt aber bei der Verkehrsaufsicht.“ Diese Behörde ist formal dem Dezernat von Oberbürgermeisterin Katrin Schmieder zugeordnet, der Fachbereich für Verkehrsflächen aber Magazowski. Die Verkehrsaufsicht ist zuständig dafür, Tempolimits anzuordnen, und zwar ohne politischen Auftrag, sondern auf rechtlicher Basis. Das hat in der Vergangenheit durchaus auch für Diskussionen gesorgt.

Baudezernent kündigt an: Verwaltung wird Vorschläge machen

„Wir werden uns jetzt aufgrund der Änderung des Gesetzes und aufgrund der Urteile, die in dieser Richtung gefällt worden sind, in enger Zusammenarbeit mit der Verkehrsaufsicht auf den Weg machen und gucken, wie wir damit umgehen. Auch der Lärmaktionsplan ist übrigens in Abstimmung mit der Verkehrsaufsicht hergestellt worden, das ist nicht aus den Wolken gegriffen“, so Magazowski weiter.

Glashütter Damm: Neue Buslinie kommt zum Jahreswechsel 2024/2025. Diskussionen gibt es über eine Haltestelle auf Höhe Immenhorst, weil die Stadt Norderstedt hier zwei Linden fällen und die Fahrbahn für eine Haltebucht verbreitern will.
Im Glashütter Damm gibt es eine Tempo-30-Zone, die allerdings nur tagsüber von 7 bis 18 Uhr gilt. © Christopher Mey | Christopher Mey

Ob die Verwaltung nun Vorschläge vorlegen wird mit Blick auf mehr Verkehrsberuhigung? Der Baudezernent kündigt das an, will aber nicht zu sehr im Detail vorgreifen. „Ich denke, es wird der Weg sein, den wir wählen müssen. Die Verkehrsaufsicht ist in ihren Anordnungen schon autark, aber man möchte die Bevölkerung und die politischen Vertreter auf dem Weg mitnehmen. Wir werden uns da zusammensetzen und der Politik Vorschläge unterbreiten.“

Forderung nach Tempo 30: „Manchmal haben die Bürger auch Recht“

Nicht nur aus den Fraktionen, sondern insbesondere auch seitens der Bürger kommen oftmals Forderungen, Hinweise oder Ideen. „Es gibt jede Menge Anträge im Ausschuss für Stadtentwicklung und Verkehr, sowohl von der Politik als auch von Einwohnern, ob nicht eine Tempo-30-Zone in einem Bereich möglich ist.“ Das werde jeweils geprüft, und zwar bei der Verkehrsaufsicht. Nicht alles geht. „Aber manchmal haben die Bürger auch Recht“, sagt der Baudezernent.

Kürzlich einigten sich die Fraktionen darauf, rund um den Glashütter Damm zahlreiche verkehrsberuhigende Maßnahmen einzuführen. Auch ein durchgehendes Tempo 30 sei möglich, hatte die Verwaltung mitgeteilt.

Tempolimit: Sorge vor Verdrängungseffekten

Was nun, auf Basis der neuen Straßenverkehrsordnung, passieren wird, steht noch nicht fest. Doch die Aussagen des Baudezernenten deuten darauf hin, dass die Stadt aktiv werden dürfte. Auch die Politik sieht hier die Verwaltung am Zug, zeigt sich aber gleichzeitig offen. „Wenn Tempo 30 nachweislich für weniger Lärm, für weniger Feinstaub sorgen sollte, können wir uns das angucken“, sagt CDU-Fraktionschef Gunnar Becker. „Wir müssen es aber ganzheitlich für Norderstedt sehen.“ Ein Thema ist die Gleichbehandlung, das andere auch die möglichen Verdrängungseffekte. Man könne da nicht „punktuell“ planen, so Becker.

Mehr zum Thema

Seit 2022 ist Norderstedt Mitglied in der bundesweiten Initiative „Lebenswerte Städte durch angemessene Geschwindigkeiten“, zusammen mit mehr als 1000 Städten und Gemeinden. Das Votum damals war sehr knapp, die Mitgliedschaft auch eher symbolisch, die Forderung aber zumindest ähnlich dem, was nun gesetzlich verankert worden ist. Die Grünen setzen sich traditionell für eine Verkehrswende ein, entsprechend ist Marc-Christopher Giese, Fraktionschef, auch zufrieden, dass „die Bundesebene endlich der Meinung ist, Kommunen deutlich mehr Spielraum zu geben. Jetzt statten sie uns ein bisschen mehr mit Werkzeugen aus“.

Tempo 30 in Norderstedt: „Es würde nicht überall helfen“

Nicolai Steinhau-Kühl (SPD), Vorsitzender des Ausschusses für Stadtentwicklung und Verkehr, begrüßt die neue Gesetzeslage, betont aber zugleich: „Es kann nicht das Ziel sein, überall Tempo 30 hinzubekommen, es würde nicht überall helfen, auch wenn die eine oder andere Fraktion das gerne hätte.“ Dennoch könne er sich „durchaus vorstellen, dass die eine oder andere Straße umgewandelt wird“, verweist aber ansonsten auf die Verkehrsaufsicht.

Die FDP „begrüßt“, wenn „Tempo 30 an Gefahrenstellen, vor Kitas, Schulen leichter möglich wird“, so der Fraktionsvorsitzende Tobias Mährlein. „Aber niemals würden wir ein stadtweites Tempo 30 unterstützen“. Vorerst ist die Politik in der Sommerpause. Im Herbst könnte eine Richtung absehbar werden, was sich auf Norderstedts Straßen verändern könnte.