Wentorf. Debatte um Gedenkort in Wentorf. Uni Hamburg enthüllt fragwürdige Ehrung an Denkmal für Kriegsopfer. Wo nun Kränze niedergelegt werden.
Etwas abseits vom Rathaus in Wentorf steht das Mahnmal im Schatten einiger Eichen am Burgberg. Jahr für Jahr legt dort zum Volkstrauertag eine kleine Abordnung aus Politik, Bürgermeister, dem Pastor und einigen Gästen einen Kranz nieder im „Gedenken an die Opfer der beiden Weltkriege“. Die Wentorferin Iris von Kluge, Vorsitzende des Ortsverbandes der Grünen, ist jedoch froh, dass eine politische Arbeitsgruppe für diese Gedenkstunde jetzt einen neuen Ort vor der Alten Schule gefunden hat. Mit Blick auf den Stein des Anstoßes sagt sie: „Das Mahnmal am Burgberg mutet eher wie ein Kriegerdenkmal als wie ein Friedensdenkmal an. Das Mahnmal passt nicht mehr zu den weltoffenen Reden, die dort gehalten werden.“ Es wirke martialisch.
Tatsächlich ist das, was im Schatten aussieht wie ein Kreuz, ein Schwert: „Dieses excaliburhafte Schwert, was in den Steinen steckt, als warte es nur darauf, herausgezogen zu werden“, kritisiert von Kluge und fügt hinzu: „Dazu die runenartigen Inschriften.“ Anlass für die Änderung ist jedoch, dass auf der Namenstafel SS-Mitglieder genannt sind. Ein Schock für den Bürgerausschuss, als dies bekannt wurde. Deshalb hat die Politik die Arbeitsgruppe installiert.
Heldengedenken? Enthüllung der Universität Hamburg schockiert Wentorfer
Iris von Kluge sieht sich in ihren widerstreitenden Gefühlen an den Volkstrauertagen der Vergangenheit durch einen Aufsatz Dr. Andreas Körbers für die Universität Hamburg bestätigt: Er hat bereits 2009 darauf aufmerksam gemacht, dass einer der Namen der des SS-Unterscharführers Reinhold Grieger ist. Auch wenn die Stätte nicht explizit als „Heldengedenken“ gedacht sei, spreche die Gestaltung des gesamten Denkmals diese Sprache, schreibt er. „Mir ist es ein Herzensanliegen, dass wir uns mit der Geschichte Wentorfs auseinandersetzen und einen neuen Umgang mit diesem Ort finden“, sagt die Grünen-Politikerin.
Bürger haben das Denkmal 1925 für die Gefallenen des damals einzigen Weltkrieges errichtet, 2025 wird es 100 Jahre alt. Die Inschrift auf dem Schwert lautet „Fürs Vaterland“ und auf der Rückseite: „Treue bis zum Tod“. Hinten gibt es auch eine Tafel mit den Namen der Gefallenen des ersten Krieges. Seit 2009 ziert den Sockel zudem eine durch Spenden finanzierte Bronzetafel mit 109 Namen: Es sind die Wentorfer, die im Zweiten Weltkrieg gefallen oder seitdem vermisst sind.
Diese Namen sind von William Boehart, Wentorfer Überlebenden des Krieges sowie Ehrenamtlichen des Wentorfer Heimat- und Bürgervereins recherchiert worden. Der heute 77 Jahre alte Boehart war bis 2012 Archivar in Wentorf. Er bestätigt den martialischen Eindruck: „Ja, das ist ein Heldendenkmal, das war der Geschmack der 1920er Jahre“, sagt er. Auch an die Recherche erinnert er sich: „Ob die Namen zu einfachen Soldaten oder zu SS-Mitgliedern gehörten, haben wir als Gruppe nicht thematisiert.“ Die Gruppe sei die erste gewesen, die sich mit der Gedenkstätte befasst habe. „Ich finde es gut, wenn sich eine neue Generation kritisch damit auseinandersetzt“, erklärt Boehart.
Volkstrauertag: Die Alte Schule in Wentorf ist eine Übergangslösung
Die Geschichte des Nationalsozialismus hätten er und der Heimat- und Bürgerverein allein in Texten herausgearbeitet. Archivar Dr. Lukas Schaefer hat bestätigt, dass unter den Namen auch SS-Mitglieder waren. Er überprüft zurzeit nochmals alle Namen. „Als wir im Bürgerausschuss davon gehört haben, wo wir unsere Kränze niederlegen, waren wir schockiert – durch alle Fraktionen hinweg“, berichtet Iris von Kluge. „Wir waren uns einig, dass wir dort nicht einfach so weitermachen und das Gedenken feiern können.“
Ein Ergebnis der AG sei das diesjährige Gedenken an der Alten Schule am 17. November. „Das ist eine Übergangslösung“, sagt Iris von Kluge. „Jetzt haben wir Zeit, uns zu überlegen, wie wir weiter vorgehen.“ Eines ist ihr wichtig: „Es geht uns gar nicht darum, das Gedenken wegzuwischen oder uns über Einzelne zu erheben.“ Vermutlich habe jede Familie in ihrer Geschichte Themen aus der NS-Zeit zu verarbeiten.
CDU will im kommenden Jahr zu einem würdevolleren Rahmen zurückkehren
Vielmehr wollen die Grünen die Auseinandersetzung der Bevölkerung mit ihrer Historie anregen. Torsten Dreyer, Fraktionschef der Grünen, sagt: „Dieser Ort lädt doch dazu ein, das Thema zu reflektieren. Es ist wertvoll, dass wir in Wentorf so etwas haben, damit wir uns an diesem Thema reiben können. Und uns fragen können, was muss passieren, dass so viel Leid entsteht?“
Dreyer weist auf eine weitere Inschrift hin: „Da steht: ‚Dem lebenden Geist unserer Toten‘. Wir aber waren die Täter! Deshalb wünschen wir uns, dass wir als Gemeinde dies nicht unwidersprochen lassen – sei es mit einer zusätzlichen Tafel, einem QR-Code oder einer künstlerischen Auseinandersetzung. Es geht darum, das Leben aller Menschen zu würdigen.“
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„Wir nutzen das Ehrenmal schon als Ort, um allen Opfer der Weltkriege zu würdigen“, sagt hingegen Heiko Faasch, Fraktionschef der CDU. Nachdem öffentlich geworden sei, dass mindestens einer der Gefallenen SS-Mitglied gewesen ist, habe man überlegt, den Ablauf des Gedenkens neu zu gestalten und auch, ob man dort überhaupt noch einen Kranz niederlegen könne. „So sind wir auf die Alte Schule gekommen“, sagt Faasch. „Dieses Jahr tragen wir dies als CDU als Kompromiss mit, aber wir wünschen uns, nächstes Jahr zu einem würdevolleren Rahmen zurückzukehren. Denn wir verstehen die Stätte eher als Mahnmal und wollen die Erkenntnisse der Arbeitsgruppe nutzen, um die Gedenkstätte zu verändern.“
Gestaltung und Ablauf des Volkstrauertages soll überdacht und geändert werden
Auch laut Bürgerausschuss sollen die Gestaltung und der künftige Ablauf des Volkstrauertages überdacht und geändert werden. Die Gedenkrede hält auch dieses Jahr Bürgervorsteher Lutz Helmrich, ergänzt um einen Beitrag von Bürgermeisterin Kathrin Schöning. „Uns geht es vor allem darum, Geschichte wieder erlebbar zu machen“, unterstreicht sie. „Unser ursprünglicher Impuls war, wie wir auch junge Menschen an das Thema heranführen könnten.“ Deshalb freut sie sich über eine Neuerung: Die Gemeindejugendpflege zeigt zusammen mit dem Kinder- und Jugendbeirat am Sonnabend, 16. November, von 16 bis 20 Uhr für junge Leute einen Anti-Kriegsfilm in der Aula des Gymnasium (Hohler Weg 16).
Der Gedenktag soll auch im Kompromissjahr 2024 würdevoll begangen werden. Am Volkstrauertag treffen sich alle Interessierten um 11.30 Uhr an der Alten Schule (Teichweg 1). Bürgervorsteher Lutz Helmrich will nach der Kranzniederlegung die Gedenkrede halten. Im Anschluss will die Bürgermeisterin auch auf die aktuellen Entwicklungen eingehen. „Alles ist noch im Werden“, erläutert Schöning. „Aber wir hoffen, dass wir nächstes Jahr für diesen Teil der Geschichte am Burgberg sensibilisieren und so dort mit einer neuen Haltung den Toten der Weltkriege gedenken können.“