Aumühle. Laut Recherchen des „ZDF Magazin Royale“ sollen in Waldhütte im Sachsenwald 21 Unternehmen residieren. Politiker fordern Konsequenzen.

Wenige Tage, nachdem die Existenz einer möglichen Steueroase im Sachsenwald durch eine investigative Recherche von Jan Böhmermann und der Internetplattform „Frag den Staat“ im „ZDF Magazin Royale“ bekannt geworden ist, fordern Landtagsabgeordnete in Schleswig-Holstein Konsequenzen und finden deutliche Worte für das, was in der abgeschiedenen Waldhütte passiert – beziehungsweise nicht passiert. Wie berichtet, sollen in dem Gebäude im Sachsenwald des Unternehmers Gregor von Bismarck, Ururenkel des ersten deutschen Reichskanzlers, 21 Unternehmen residieren und dort einen extrem niedrigen Steuersatz zahlen.

Beate Raudies, finanzpolitische Sprecherin der SPD-Fraktion und Vizepräsidentin des Landtags, sagt: „Angesichts der wachsenden Ungleichheiten in unserem Land stehen alle in der Verantwortung, einen Beitrag im Sinne des Gemeinwohls zu leisten.“ Immer wieder zeige sich, dass Unternehmen und wohlhabende Einzelpersonen von steuerlichen Vorteilen und Schlupflöchern profitieren. „Aus unserer Sicht ist es deshalb höchste Zeit, Steuerprivilegien abzubauen und ein System zu fördern, das Chancengleichheit und Gerechtigkeit für alle sichert“, sagt die Landtagsabgeordnete für den Wahlkreis Elmshorn. Ein faires Steuersystem sei der Grundpfeiler der Gesellschaft. Jeder solle sich mit einem gerechten Anteil an der Solidargemeinschaft beteiligen.

Steueroase im Sachsenwald: „Bismarck würde sich im Grabe umdrehen“

„Dass Herr von Bismarck als Gutsbesitzer die Gewerbesteuer nicht nur selbst festlegen kann, sondern außerdem noch an sich selbst abgibt, berührt bei vielen Menschen wohl mehr als ‚nur‘ das Gerechtigkeitsempfinden. Wir sehen die Landesregierung in der Pflicht, der Sache auf den Grund zu gehen und gegebenenfalls auch gesetzgeberisch tätig zu werden. Wir werden ihr mithilfe von kleinen Anfragen Gelegenheit zur Aufklärung geben“, so Raudies weiter.

Uta Röpcke, parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen-Landtagsfraktion, nennt die Recherche auf Nachfrage unserer Redaktion „fantastisch journalistisch aufbereitet“. „Als regional wohnhafte Abgeordnete betrifft mich die Recherche direkt“, sagt die Wohltorferin. „Angesichts aktuell extrem angespannter Haushaltslagen in Kommunen, Land und Bund sei das in dem Beitrag dargestellte Konstrukt möglicherweise zwar legal, aber maximal absurd.“ Denn auf allen Ebenen werde aktuell über Konsolidierungsmaßnahmen für die öffentlichen Haushalte beraten und würden teilweise tiefe Einschnitte gemacht. Röpcke: „Eine Steueroase in Schleswig-Holstein hat hier keinen Platz und gehört trockengelegt. Der alte Bismarck würde sich im Grabe umdrehen.“

Es gab bereits Versuche, die Situation zu ändern, sie scheiterten aber

Laut Röpcke hat es bereits 1975 Versuche gegeben, etwas an der Situation zu ändern. „Warum 1990 nach der damaligen Debatte im Landtag nichts weiter passiert ist, können wir zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht sicher sagen. Die mir vorliegenden Informationen aus der Debatte deuten jedoch darauf hin, dass sich die umliegenden Gemeinden damals nicht offen dafür gezeigt hatten, das Gebiet zu übernehmen.“

Das bestätigt gegenüber unserer Redaktion Philipp Anz, der seinerzeit bei den Jungsozialisten (Jusos) und im SPD-Ortsverein Aumühle aktiv war. Laut ihm hat es in der Regierungszeit von Björn Engholm (SPD), der von 1988 bis 1993 Ministerpräsident in Schleswig-Holstein war, Versuche gegeben, den Sachsenwald zu inkommunalisieren. „Dieser Versuch scheiterte an den angrenzenden Gemeinden, Aumühle, Wohltorf, Dassendorf und so weiter. Grund: Die erwarteten Investitionen in die Infrastruktur, Wege, Ver- und Entsorgung, Sicherheit und so weiter wurden bereits damals höher eingeschätzt, als die zu erwartenden Steuermehreinnahmen: Grundsteuer für 6000 Hektar, Gewerbesteuern, aus Forstbetrieb, Jagdpacht, Gastronomie, Schmetterlingsgarten“, so Anz.

Andrea Tschacher (CDU) will prüfen, ob Regelung noch zeitgemäß ist

In einem Facebook-Kommentar stellt Anz die Frage, ob heute ein neuer Anlauf klappen würde. Die Politik jedenfalls scheint gewillt, die Regelng genauestens unter die Lupe zu nehmen. Uta Röpcke: „Ob der Landtag gesetzgeberisch tätig werden muss, werden wir uns im Rahmen weiterer Beratungen genau anschauen. In jedem Fall gibt es voraussichtlich politischen Handlungsbedarf auf unterschiedlichen Ebenen. Wo genau, prüfen wir jetzt.“

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Andrea Tschacher, CDU-Landtagsabgeordnete für den Wahlkreis Lauenburg Süd, sagt auf Nachfrage unserer Redaktion: „Die Erhebung der Gewerbesteuer ist Aufgabe der Gemeinden. Für gemeindefreie Gebiete regelt eine entsprechende Landesverordnung die Erhebung, wie im vorliegenden Fall beschrieben. Dass ein gemeindefreies Gebiet, das andere Aufgaben wahrnehmen muss beziehungsweise wesentlich weniger Aufgaben hat als normale Kommunen, auch andere Hebesteuersätze erhebt, liegt auf der Hand.“ Dennoch müsse man bei dem beschriebenen Fall prüfen, ob die Auslegung dieser Regelung noch zeitgemäß sei. „Denn eine Ausnutzung dieser Regelung werden wir nicht akzeptieren“, so Andrea Tschacher. 

Auch Martin Habersaat, stellvertretender Vorsitzender der SPD-Landtagsfratkion aus Reinbek, zeigt sich gewillt, der Sache auf den Grund zu gehen: „Wir wussten, dass der Sachsenwald gemeindefreies Gebiet ist. Nur dass es dort so rege Gewerbetätigkeiten gibt, war uns nicht bekannt. Das ist schon merkwürdig. Deshalb haben wir eine Reihe von kleinen Anfragen dazu gestellt, die beispielsweise die Zahl der Parkplätze und der Toiletten für die Mitarbeitenden dort betrifft.“ Habersaat vermutet, dass sich die aktuelle Situation am Stangenteich erst in den jüngsten paar Jahren entwickelt hat.