Geesthacht. Gynäkologische Praxis residiert im selben Gebäude – hat mit den Johannitern aber gar nichts zu tun. Was die Ärztinnen derzeit erleben.
Der Innenhof zwischen Buntenskamp, Bergedorfer Straße und Schillerstraße ist Geesthachts medizinischer Mittelpunkt. Gleich zwei Versorgungszentren bieten ihre Dienste an, hinzu kommen die zahlreichen niedergelassenen Ärzte.
Es gibt Praxen für Augen, Hals, Nasen, Ohren und die Haut, die Urologie, Neurologie, Frauenheilkunde, Gynäkologie und Geburtshilfe, Kieferorthopädie und Zahnarzt, Osteopathie und Orthopädie, Logopädie und den Pflegedienst, Krankengymnastik, Reha und Hörgeräte, flankiert von zwei Apotheken und dem Auxilium-Hospiz.
Die vielen Einrichtungen an Geesthachts medizinischem Mittelpunkt verwirren Patienten
Ein riesiges Schild im Zentrum der Fläche führt die Praxen und ihre Spezialgebiete auf, große Säulen verweisen auf medizinische Leistungen in den Häusern A, B, C, D und E, Pfeile deuten nach hüben und drüben. Wer nach unten blickt, schaut auf Parkplatzschilder mit den Namen von weiteren Praxen.
Es ist nicht leicht, in diesem Hinweisdschungel die Orientierung zu behalten. „Für den Laien ist das völlig unübersichtlich“, findet auch Dr. Gabriele Speckin. „Die Menschen wissen nicht, wer mit wem zusammenhängt.“ Und genau das ist gerade ein Problem für die Frauenärztin.
Bei den Johannitern ist der Betrieb nur bis zum Jahresende gewährleistet
Sie betreibt zusammen mit der Fachärztin für Gynäkologie und Geburtshilfe Dr. Katharina Steffens eine Praxis im selben Gebäude wie das MVZ der Johanniter, für das am 23. September ein Insolvenzantrag gestellt wurde. Die beiden Frauen praktizieren ein Stockwerk darüber.
Die Nachricht über die finanziellen Schwierigkeiten des Johanniter-MVZ hat auch viele ihrer Patientinnen nervös gemacht, die sich die bange Frage stellten: „Ist auch meine Ärztin betroffen?“. Hintergrund der Sorgen: Bei den Johannitern ist der Betrieb nur bis zum Jahresende gewährleistet.
Der Wegfall der Praxis würde eine riesige Lücke hinterlassen
„Es trudeln hier täglich Anfragen persönlich und via Telefon ein, um zu erfragen, wie lange unsere Praxis noch aufhat. Das Telefon klingelt durchgehend. Schwangere fragen mich schon, ob Sie sich um eine neue gynäkologische Praxis bemühen müssen“, berichtet Dr. Katharina Steffens. „Wir wurden mit Anfragen bestürmt“, ergänzt Dr. Gabriele Speckin.
Ein Wegfall der großen gynäkologischen Praxisgemeinschaft würde eine riesige Lücke hinterlassen, deshalb die Aufregung. Aber dazu kommt es nicht. Die beiden Ärztinnen versichern: „Wir stehen mit dem MVZ der Johanniter in keinerlei wirtschaftlichen Verbindung.“ Und deshalb gehe auch im neuen Jahr die gewohnte Versorgung „mit Freude und Leidenschaft“ weiter, ganz so, wie gehabt.
Als selbstständig niedergelassene Gynäkologinnen frei von Investoren
„Die ambulante gynäkologische Versorgung in Geesthacht ist und wird weiterhin gesichert sein. Wir sind als selbstständig niedergelassene Gynäkologinnen frei von Investoren und MVZs“, betont Dr. Katharina Steffens. Für die nahe Zukunft sind auch Investitionen für die Infrastruktur der Praxis geplant. Bereits jetzt ergänzen auch Themen wie Ernährungs- und Vitalstoffmedizin das klassische medizinische Angebot.
In der Gynäkologie in Schleswig-Holstein liegt der Durchschnitt im Quartal bei etwa 1000 Kassenpatienten, die auf einen in Vollzeit tätigen Arzt kommen. Diese Zahl gilt als Grundlage für Wirtschaftlichkeit. Wie viele Patientinnen die beiden behandeln, bleibt Berufsgeheimnis.
Der „Dino von Geesthacht“ praktiziert seit 1992
Als selbstständig niedergelassene Ärztinnen arbeiten die Frauen deutlich mehr als 40 Wochenarbeitszeitstunden. Abrechnung, Organisation, Nachbereitung müssen ja auch noch erfolgen. Bei angestellten Ärzten in den MVZs sieht es im Regelfall anders aus. Die haben feste Arbeitszeiten, wie jeder Angestellte auch.
„Wir haben eine ganz besondere Konstellation, wir sind keine Gemeinschaftspraxis. Wir teilen unsere Kosten für das gemeinsame Personal, die Funktionsräume und Investitionen durch zwei, haben aber zwei getrennte Kassenarztsitze und jede unseren eigenen Patientenstamm“, erklärt Dr. Gabriele Speckin das Konzept der Praxis.
„Ich bin der Dino von Geesthacht“, meint sie. Die Ärztin begann in der 1985 gegründeten Praxis am 1. Oktober 1992. Damit sei sie die dienstälteste Kassenärztin in der Stadt, erzählt die Frauenärztin. „Als ich anfing, war ich die jüngste.“
Lang ist es her: Als Ärzte Schwierigkeiten hatten, Jobs zu finden
Zu der Zeit habe es eine Ärzteschwemme gegeben. „Wir hatten Schwierigkeiten, Jobs zu finden, das kann man sich heute überhaupt nicht vorstellen“, erinnert sich Dr. Gabriele Speckin. „1993 wurde die Niederlassungsfreiheit wegen dieses Überangebotes eingeschränkt, bis dahin konnten Ärzte ihren Tätigkeitsbereich frei wählen. Ich bin die letzte Ärztin, die in Geesthacht zugelassen wurde ohne Niederlassungsbeschränkung. Mein Kassensitz ist mit mir entstanden, den gab es vorher nicht.“
Dr. Katharina Steffens wurde von ihrem Vorgänger Dr. Bernd Roeder angesprochen. „Er zog um und suchte eine Nachfolge“, erzählt sie. Sie hatte Interesse, musste aber zunächst ein Bewerbungsverfahren durchlaufen, weil die Sitzvergabe nun durch die Kasse geregelt ist und der bleibende Sitz des scheidenden Arztes offiziell ausgeschrieben werden musste. „Das war kein Selbstgänger“, sagt Dr. Katharina Steffens. Seit dem 1. Juli 2023 ist sie nun für ihre Patientinnen da.
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Insolvenzantrag für das Krankenhaus war nicht absehbar
Die beiden Ärztinnen kennen beide aus eigener Anschauung das Krankenhaus der Johanniter. Dr. Gabriele Speckin war dort Oberärztin bis zur Selbstständigkeit, Dr. Katharina Steffens seit 2018 als Oberärztin in Vollzeit. Sie hält in der Einrichtung am Runden Berge weiterhin eine Zehn-Prozent-Stelle.
„Der Insolvenzantrag kam von jetzt auf gleich, das war nicht absehbar“, berichtet Dr. Katharina Steffens. Zuvor umlaufende Gerüchte über Schwierigkeiten habe sie vor Ort nicht vernommen. „Das Johanniter-Krankenhaus liegt auch uns am Herzen. Eine Insolvenz fände ich ganz traurig. Es wäre ein Drama für Geesthacht, wenn sich niemand für eine Übernahme finden würde“, sagt Dr. Gabriele Speckin.