Geesthacht. Jahrelang haben 1800 Frisöre Haare gesammelt, nun ist das Projekt in der Endphase. Im Geesthachter Hafen wurde die „Nudel“ getestet.
Das Gebilde sieht aus wie eine riesige Weißwurst. Aber was hat das gut 20 Meter lange haarige Ungetüm im Geesthachter Hafenbecken zu suchen? Spaziergänger blieben neugierig stehen wegen der mysteriösen Monsterschlange, zumal auch die Feuerwehr mit zwei Booten auf dem Wasser war.
Auf dem Steg lief derweil Emidio Gaudioso hin und her, dirigierte die Aktion und stand jedem Rede und Antwort. Der Bückeburger war das erste Mal in Geesthacht. Natürlich hatte er Lampenfieber. Denn das neue Material, das hier zu Wasser gelassen wurde, hatte solch einen simulierten Großeinsatz noch nicht erlebt.
Großeinsatz im Hafen Geesthacht: Mit Haaren gegen die Ölpest
Die Passanten wären noch erstaunter gewesen, wenn sie gewusst hätten, was zur Hälfte in dem seltsamen Ding drin steckt. Ganz gewöhnliche Haare sind es, seit zwei Jahren abgeschnitten von etwa 1800 Frisören bei ihren Kunden in Deutschland und ein paar Nachbarländern. Die andere Hälfte bilden geschredderte Weinkorken für die Schwimmfähigkeit. Ummantelt wird alles von einer hauchdünnen Hülle aus 95 Prozent Baumwolle mit einem Anteil von fünf Prozent Elastan.
Die Mega-XXL-Wurst – oder wahlweise besser „Nudel“ genannt, denn ihr Miterfinder ist Italiener – soll Einsatzkräften wie Feuerwehren oder auch dem Technischen Hilfswerk bei Öl- und ähnlichen Unfällen auf dem Wasser helfen, so der Plan der Gründer des Start-up-Unternehmens Hair Help The Oceans. So war die Gemeindewehr denn auch gern dabei, um das neue Produkt auf dem heimischen Elbwasser exklusiv zu testen.
Die Boote der Feuerwehr zogen einen Kreis um den imaginären Ölteppich
Die beiden Boote zogen die Haarwurst um einen imaginären Ölteppich zu einem geschlossenen Kreis zusammen, den sie zum Anleger vor Pier 3 schleppten. Noch einmal ließe sich die bleiche Seeschlange nicht nutzen. Wäre wirklich ein Unfall passiert, wären die Haare im Inneren jetzt vollgesogen mit Öl und würden entsprechend entsorgt. Haare eignen sich gut für das Aufnehmen von fetthaltigen Substanzen. „So vermeiden wir die Chemiekeule auf dem Wasser“, sagt Emidio Gaudioso.
Den Kontakt zur heimischen Feuerwehr hatte Metehan Doglali hergestellt, der Stadtfriseur aus Geesthacht. Auch Emidio Gaudioso ist Frisör. Der Geesthachter hatte ihn im März auf einer Fachmesse angesprochen und für seine Heimatstadt Werbung gemacht. Dass vor Ort gerade der 100. Stadtgeburtstag gefeiert wird, fand Emidio Gaudioso als Anlass so toll, dass er für einen Test des Prototyps Geesthacht beehrte.
Die Zertifizierung ist in Nordrhein-Westfalen in Arbeit
Eine Zertifizierung für die Ölfresser-Nudel würde gerade von einem Amt in Nordrhein-Westfalen erstellt, erzählt er. Sie fehlte bisher, ohne sie dürfte er das Produkt nicht an die Rettungskräfte verkaufen. „Ich hoffe, dass es bis Ende des Jahres so weit ist“, sagt Emidio Gaudioso. Über Preise mag er noch nicht sprechen. Die Hülle wird von einem Unternehmen in Süddeutschland produziert, die „Nudelfertigung“ erfolgt in Bückeburg.
Ihm schweben bereits weitere Produkte vor. Am Steg in Geesthacht führte er ein Kissen vor, das verhindert, dass beim Betanken von Motorbooten Benzintropfen ins Wasser gelangen, und aus Winzhärchen, die zu klein für die „Nudel“ sind, will er ein Mehl produzieren, das bei Autounfällen auf auslaufende Betriebsstoffe gestreut werden kann und ökologisch besser sein soll als die bisherigen Möglichkeiten.
Alle vier Monate schickt Geesthachts Stadtfriseur 15 Kilo Haare nach Bückeburg
Metehan Doglali macht seit dem Frühjahr 2023 mit beim Haaresammeln für den Umweltschutz. Etwa alle vier Monate schickt er ein neues Paket nach Bückeburg, so ähnlich halten es die anderen Innungskollegen. Aus dem Lauenburgischen sind fünf Salons dabei. Sie zahlen zudem monatlich 25 Euro. Das jüngste Paket ist gerade fertig und wiegt wie immer gut und gern 15 Kilogramm. Früher wären die Haare im Abfalleimer gelandet, jetzt sollen sie Dienst tun für den Umweltschutz.
Über 300 seiner Kunden hat Metehan Doglali informiert über die Aktion, schließlich könnten es auch ihre Haare sein, die in der Hülle den Weg nach Geesthacht zurückgefunden haben. Gut 20 von ihnen hatten sich eingefunden auf der Tribüne an den Elbterrassen, darunter Leon Haralambous von der Geesthachter SPD-Fraktion. Auch er hatte Haare gelassen für das Projekt.
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Schreckmoment beim Start – die Haarwurst zerriss an einem Steghaken
Sie sahen einen Start mit Pech – der sich dann aber doch als Glücksmoment erwies. Der Prototyp blieb zunächst an einem Haken am Steg hängen, als er zu Wasser gelassen wurde. Der riesige Schlauch riss entzwei, ein Teil der Füllung quoll auf den Steg.
Emidio Gaudioso war schnell mit einem Kabelbinder zur Hand, flickte und knotete im Nu die beiden losen Enden zusammen, und die Riesennudel konnte ihren Dienst aufnehmen. Gerade diese Blitzreparatur beeindruckte die Männer der Feuerwehr enorm. „Das war superklasse“, lobte Andree Kleinert von der Feuerwehr Grünhof-Tesperhude. Auch der Rest gefiel den Männern. Nicht ausgeschlossen also, dass die Riesennudel mal in Geesthacht ihren Dienst tut.