Schwarzenbek. Es war das größte Bauvorhaben in der Nachkriegszeit im aufstrebenden Schwarzenbek. Doch der Lack ist ab. Was die Stadt dagegen tut.

1964: US-Präsident Lyndon B. Johnson beendet die Rassentrennung, Sean Connery jagt im James Bond-Thriller „Goldfinger“ den Bösewicht Gert Fröbe alias Auric Goldfinger, Barbra Streisand begeistert in „Funny Girl“ und in Deutschland erblicken 1,4 Millionen Babys das Licht der Welt. Es ist der geburtenstärkste Jahrgang unter den sogenannten Babyboomern. So viele Menschen brauchen Platz: Natürlich auch in Schwarzenbek, wo die Bevölkerung unter anderem auch durch die vielen Kriegsflüchtlinge stark angewachsen ist.

Auch der Umzug des Maschinenbauers Fette von Hamburg nach Schwarzenbek im Jahr 1952 hatte zu dem Bevölkerungswachstum beigetragen. Im Innenstadtbereich waren zwar um diese Zeit 324 neue Wohnungen entstanden, doch die reichten schnell nicht mehr aus. Deshalb entstand ab 1964 der Stadtteil Nordost, das größte Baugebiet mit tausend Wohnungen und eigener Infrastruktur.

Schwarzenbek: Stadtteil Nordost nach 60 Jahren Problemviertel

Ein großes Wohngebiet ist Nordost nach wie vor, aber es gibt Probleme: Es fehlen Treffpunkte. Die evangelische Kirche versucht das zu kompensieren, indem sie Angebote im Familienzentrum wie den Schwangerentreff oder den Frauenflohmarkt installiert. Die Familienbildungsstätte ergänzt das mit vielen Angeboten rund um die Familie.

Aber die Gaststätte mit Kegelbahn am Verbrüderungsring ist seit Jahrzehnten geschlossen, ebenso der Einkaufsmarkt und die umliegenden Geschäfte. Der Ladenkomplex verfällt und dient als Treffpunkt für grölende Jugendliche und Trinker. Die Stadt ist dabei, das Holzhaus an der Cesenaticostraße wieder als Jugendtreff zu beleben.

Schwarzenbek: Fahrstuhl defekt bei Vonovia-Hochhaus
Das Wohngebiet wird bestimmt durch hohe Mehrfamilien- und Reihenhäuser. © bgz | Marcus Jürgensen

Dabei hat alles so gut angefangen. Unter Bürgermeister Hans Koch wurden die Pläne für ein großes Wohngebiet schon zu Beginn der 1960er-Jahre entwickelt, weil die Bevölkerung immer stärker wuchs. Der Druck nahm im Laufe der Planungen und der mehrjährigen Bauzeit immer weiter zu, weil ebenfalls im Jahr 1964 im benachbarten Lanken der Bau der Sachsenwald-Kaserne begann, die das Panzerbataillon 164 beherbergte.

Viele Soldaten wurden in Schwarzenbek ansässig, wie der langjährige CDU-Fraktionschef Hans-Joachim Delfs oder Karl-Heinz Lehmann vom Vorstand der DLRG. Auch der Bau der Bundesgrenzschutzkaserne direkt an der B 207 (heute Lupuspark) brachte zahlreiche Neubürger, die Wohnraum benötigten.

Erschließung von Nordost dauerte mehr als zehn Jahre

Der Bau begann 1964, bis das gesamte Gebiet bebaut war, dauerte es aber bis in die 1970er-Jahre. Die Straßennamen spiegeln auch den Zeitgeist wider. Der Bau begann unter Bürgermeister Hans Koch, der sich für die Verbrüderung in Europa engagierte und der „Architekt“ der Städtepartnerschaften mit Aubenas (Frankreich), Zelzate (Belgien), Sierre (Schweiz), Cesenatico (Italien) und dem mittlerweile aus dem Bund ausgeschiedenen niederländischen Delfzijl eingesetzt hatte. So tragen auch die Straßen rund um den alles verbindenden Verbrüderungsring die Namen dieser Städte und der angrenzende Park ist dem schweizerischen Sierre gewidmet.

Bauruinen bestimmten lange die Optik im Stadtteil Nordost.
Bauruinen bestimmten lange die Optik im Stadtteil Nordost. © Stefan Huhndorf | Stefan Huhndorf

Soldaten und Grenzschützer brauchten Wohnraum in der ehemaligen Grenzstadt

„Das Baugebiet Nordost war ein wichtiger Schritt in der Stadtentwicklung. Das Thema hat die Menschen und auch die Verwaltung bewegt. Ich habe sehr umfassende Unterlagen dazu im Archiv“, sagte Stadtarchivar Dr. Lukas Schaefer. Wie wichtig das Projekt war, zeigt auch eine Antwort auf eine Anfrage der Kirchengemeinde aus dem Jahr 1966, als dort die Überlegungen begannen, das Kirchenzentrum St. Elisabeth am Verbrüderungsring zu errichten:

„Zusammenfassend ist festzustellen, dass ein größeres neues Wohngebiet mit etwa 4000 Menschen im Nordosten der Stadt entstehen wird. Dieses Gebiet, das auch die Wohnungen für die Bundeswehr- und die Bundesgrenzschutzangehörigen enthält, einschließlich der vorhandenen Bebauung an der Möllner Straße muss als selbständiges Wohngebiet lebensfähig werden, zumal die Bahnlinie Berlin-Hamburg eine problematische Trennlinie gegen die südlich gelegenen Wohn- und Geschäftsgebiete und die dort befindlichen öffentlichen Einrichtungen darstellt. Aber auch die übrige zur gleichen Zeit laufende Bautätigkeit lässt ein nicht unerhebliches Anwachsen der Bevölkerungszahl in den älteren Gebieten näher gelegenen Zonen der Stadt in Kürze erwarten.“

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Ganz so viele Bewohner sind es dann letztlich doch nicht geworden. In dem von Mehrfamilien- und Reihenhäusern geprägten Quartier leben heute knapp 2300 Menschen aus mittlerweile 28 Nationen in gut 1000 Wohnungen. Was ihnen fehlt, ist ein Treffpunkt. Denn das Einkaufszentrum ist Geschichte, weil alle Geschäfte nach der Einweihung des nahe gelegenen Lupusparks im Jahr 2001 nach und nach schlossen. Ein Versuch, den Rot-Kreuz-Laden und die Eisenbahnfreunde in dem Gebäudekomplex anzusiedeln, wurde nach wenigen Jahren wieder eingestellt, weil die Energiekosten in dem alten Haus einfach zu hoch werden.

Aber auch die Integration ist ein wachsendes Thema, weil immer mehr Menschen mit Migrationshintergrund in dem Quartier leben. So ist die Kita St. Elisabeth die einzige von neun Kitas in der Europastadt, die eine Sprachförderung anbietet. Mit 200 Plätzen in zehn Gruppen ist diese Einrichtung die größte in der Europastadt. Der Anteil der Flüchtlingskinder hier auch mit am größten. Gerade in den Vormittagsgruppen hat mehr als jedes zweite Kind einen Migrationshintergrund.