Fredeburg/Ratzeburg. Für einen klimastabilen Forst muss das Schalenwild deutlich reduziert werden. Experten und Forstwirte fordern höhere Abschussquoten.

Diese Woche geben Wissenschaftler der Fachhochschule Göttingen und der TU Dresden gemeinsam mit Waldexperten verschiedener Institutionen und Vertretern des Kreises Herzogtum Lauenburg bei Fredeburg den Startschuss für das Projekt Wild-Wald-Innovation (WiWaldI) in Schleswig-Holstein. Bundesweit werden auf rund 700 Flächen Daten erhoben, um zu klären, wie sehr der Wildbestand die Entwicklung der heimischen Wälder und ihre Widerstandskraft gegen den Klimawandel beeinflusst.

Übergroßer Wildbestand bereitet fast deutschlandweit Probleme. Wer dabei zuerst an Wildschweine denkt, liegt mit Blick auf den Wald allerdings daneben. Die bereiten eher der Landwirtschaft als den Waldbesitzern Probleme, wenn die Schwarzkittel sich ungehemmt vermehren und die Rotten auf der Suche nach Fressbarem Mais- und Kartoffeläcker heimsuchen, Viehweiden umpflügen, aber auch vor Gärten und Mülleimern nicht haltmachen.

Klimawandel: Scheitert der Wald der Zukunft an zu hohem Rehbestand?

Auf die Verjüngung unserer Wälder wirkt sich der hohe Bestand an Rehen und teils auch Hirschen negativ aus. Und damit auch auf den notwendigen Umbau zu klimastabileren Wäldern. Eine Vielzahl junger Bäume wird von hungrigem Schalenwild frühzeitig „verbissen“, die jungen Triebe, mit denen Bäume wachsen, werden abgefressen.  

Hinzu kommen die Schäden, die entstehen, wenn Rehböcke und Hirsche ihre neu gewachsenen Geweihe vom Bast befreien: Beim sogenannten „Fegen“ wird die empfindliche Rinde gerade jüngerer Bäume stark beschädigt, ja teils von den Stämmen geradezu abgeschält. Wie groß die Probleme sind und, im zweiten Schritt, wie sie verhindert werden können, sind zentrale Fragen für die Zukunft der Wälder.

Kreisforsten sind Pilotprojekt für Schleswig-Holstein

Die Kreisforsten Herzogtum Lauenburg sind in Schleswig-Holstein das einzige Waldgebiet, das in die wissenschaftliche Untersuchung von WiWaldI aufgenommen wird. In den jeweiligen Regionen werden Flächen bestimmt und eingezäunt, um Verbiss und Fegeschäden der Vegetation zu vermeiden. Der Schutz soll sich nicht allein auf Bäume begrenzen, auch Waldbodenpflanzen werden einbezogen. Zum Vergleich wird in geringer Entfernung ein gleich großes Areal definiert, das nicht eingezäunt wird. 

Wenn sich Rehe in freier Wildbahn in so großer Zahl versammeln wie hier in Brandenburg, schrillen bei manchen Landwirten und vielen Waldbesitzern die Alarmglocken.
Wenn sich Rehe in freier Wildbahn in so großer Zahl versammeln wie hier in Brandenburg, schrillen bei manchen Landwirten und vielen Waldbesitzern die Alarmglocken. © ZB | Z1022 Patrick Pleul

Im Abstand von mehreren Jahren wollen Wissenschaftler der Hochschule für angewandte Wissenschaft und Kunst Hildesheim/Holzminden/Göttingen (HAWK) die Entwicklung aufnehmen und analysieren. Das Team um Prof. Torsten Vor, Alexander Seliger und Jan Zäh wird durch die Technische Universität Dresden unterstützt. „Aus den Ergebnissen sollen Schlüsse auf den Einfluss von Wild auf die Waldentwicklung gezogen werden“, erläutert Kreissprecher Tobias Frohnert.

Fernziel ist ein sich selbst erhaltender Dauerwald

Involviert in das Vorhaben ist auch die Arbeitsgemeinschaft Naturgemäße Waldwirtschaft (ANW), in der Waldbesitzer und Forstwirte ebenso organisiert sind wie Wissenschaftler und Menschen, die den Wald nutzen und schützen wollen. Bereits 1950 gegründet und in Landesgruppen organisiert, kümmert sich die ANW sehr viel länger als die meisten anderen Beteiligten um das, was wir heute eine nachhaltige Forstwirtschaft nennen. Zielsetzung:  „Nach den Grundsätzen der naturgemäßen Waldwirtschaft entwickeln sich bewirtschaftete Wälder zu Dauerwald.“

Nicht nur Wildschweine besuchen unsere Gärten. Auch Rehe lassen es sich hier gern schmecken.
Nicht nur Wildschweine besuchen unsere Gärten. Auch Rehe lassen es sich hier gern schmecken. © BGZ

Dieses Ziel schließt die noch in den vergangenen Jahrzehnten praktizierten Kahlschläge großer Flächen für die Holzgewinnung aus. Der Wald soll sich, vom Menschen begleitet, schließlich selbst erhalten. Um etwa jungen Bäumen die Chance zu geben, zu Baumriesen heranzuwachsen, werden alte Bäume gezielt gefällt mit dem Ziel, dem Nachwuchs hinreichend Licht zu verschaffen, sodass er sich im Schutz des Dauerwaldes entwickeln kann.

Lösungen für einen klimastabilen Wald müssen gefunden werden

Die ANW hat als Teilnehmer am 2021 abgeschlossenen Projekt BioWild Vorarbeit für das laufende Vorhaben geleistet. Abgesehen davon, dass der Zusammenhang zwischen Wilddichte und Waldentwicklung untermauert werden konnte, wurde deutlich, dass eine übergroße Rehdichte nicht nur der Waldverjüngung schadet, sondern auch einer gewünschten breiteren Durchmischung und speziell dem Umbau zu einem klimastabileren Wald.

„Die für den Waldumbau wichtigen Eichen, Ahorne und Douglasien sind von Verbiss sehr viel stärker betroffen als die weit weniger bedeutsamen Fichten oder Buchen“, erläutert Thomas Schwichtenberg. Der Förster aus dem Lauenburgischen ist Landesvorsitzender der ANW-Landesgruppe Schleswig-Holstein und Hamburg. Wer für die Zukunft einen Wald wolle, der dem sich verschärfenden Klimawandel mit immer häufigeren Extremen widerstehen kann, heißen Sommern, langen Trockenperioden und vermehrt auftretenden Stürmen und Hagel, komme nicht umhin, nach Lösungen zu suchen.

Klimaresistente Bäume stehen auf dem Speiseplan ganz oben

Wenn selbst um junge Buchenanpflanzungen Zäune gezogen werden, um diese zu schützen, sei dies ein untrügliches Zeichen, „dass der Schalenwildbestand in der Region viel zu groß ist“, mahnt Schwichtenberg. Ein weiteres Problem: „Während Dam- und Rotwild einer staatlichen Abschussplanung unterliegen, gibt es die für Rehwild nicht. Es liegt an uns, dies vor Ort zu regeln.“

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Wie können Jäger überzeugt werden?

Das ist kein einfacher Prozess, sind die Interessen von Waldbesitzern und Jagdpächtern doch häufig unterschiedlich. Eine gesunde Waldentwicklung und ein hoher Wildbestand – mancherorts noch gepaart mit dem Wunsch, Träger prächtiger Geweihe für die Jagd hervorzubringen – stehen gegeneinander.

Doch der ANW-Vorsitzende sieht Fortschritte: „Das Land macht derzeit einen runden Tisch. Eine Richtlinie zu Hege und Bejagung von Schalenwild soll überarbeitet werden.“

Kasten:

Der Schlussbericht des Projektes BioWild sieht Fortschritte und positive Tendenzen: „Über ein im Projekt erarbeitetes Simulationsmodell werden die Auswirkungen von Wild-Verbiss auf die Holzproduktion, den CO₂-Speicher und die Rentabilität abgeleitet.“

An anderer Stelle: „Die Projektergebnisse haben maßgeblich dazu beigetragen, das Bewusstsein von Waldbesitzenden und Jagenden zu bilden, dass Wildeinflüsse die Waldentwicklung maßgeblich beeinflussen können. Auch die politisch Verantwortlichen hinauf bis zur Bundebene haben aufgrund der Datenlage erkannt, dass der Wildeinfluss hinsichtlich des Erfolges des angestrebten Waldumbaus eine wichtige Rolle spielt.“ Entsprechende Regelungen in den gesetzlichen Grundlagen seien bereits vollzogen oder würden in Angriff genommen.: „Auch im Vertragsrecht ändern sich nach und nach Inhalte pro Wald.“