Schwarzenbek/Lauenburg. Warme Winter und ein gut gedeckter Tisch lassen Wildschweinbestände weiter wachsen. Größter Feind des Schwarzkittels ist das Auto.
Aktuell verzeichnet die Polizei in manchen Gebieten des Kreises Herzogtum Lauenburg eine auffällige Häufung von Wildunfällen. Über das Wochenende 2./3. September waren es allein um Schwarzenbek ein rundes Dutzend, die gemeldet wurden. In der Vergangenheit ballten sich derartige Unfälle, je nach Wild, in bestimmten Jahreszeiten. Doch die scheinen immer weniger ein verlässlicher Parameter.
Ein offenes Geheimnis: Viele Landwirte und Waldbesitzer werfen Jagdpächtern vor, nicht genug zu tun, um wachsende Wildbestände zu regulieren. Tatsächlich haben milde Winter und über Jahrzehnte fehlende natürliche Jäger dazu geführt, dass der Bestand enorm angestiegen ist.
Kreis Herzogtum Lauenburg: Mehr Wildunfälle weil der Bestand wächst
Wildschweinrotten sind dafür verantwortlich, dass die Schäden in Maisackern und anderen Kulturen massiv ansteigen. Zudem wächst die Gefahr, dass sich die auch für Haustierbestände hoch gefährliche afrikanische Schweinepest massiv ausbreitet. Auch die Rehe haben sich prächtig vermehrt: Massive Verbissschäden auf Feldern und an neu gepflanzten Bäumen sorgen für Streit.
Auf besonders unfallträchtigen Streckenabschnitten, etwa der Bundesstraße 404 zwischen Autobahn 24 und Schwarzenbek, wurden Tempobeschränkungen erlassen, um die Gefahr zu reduzieren. Dennoch rückten am Wochenende mehrfach Streifenwagenbesatzungen aus, um Wildunfälle aufzunehmen.
Wenn Wildschweine zum gefährlichen Geschoss werden
Die Mehrzahl von ihnen endet für Rehe, Hasen, für Füchse und Wildschweine tödlich. Wenn sie Pech haben, etwa nach dem Zusammenprall schwer verletzt entkommen, verenden sie erst Tage später nach langen Qualen. Viele Autoinsassen kommen glimpflich davon. Doch das ist keineswegs immer der Fall.
Ist der Unfallgegner ein Hase von vielleicht vier Kilo oder ein Reh mit 20 Kilogramm Lebendgewicht, ist es etwas anderes, als wenn ein schnell fahrender Pkw einen Hirsch oder ein ausgewachsenes Wildschwein frontal trifft. Alljährlich sterben in Deutschland Menschen, weil etwa eine große Bache oder ein kapitaler Keiler die Windschutzscheibe des Unfallwagens durchschlagen.
Kreisjägermeister fordert: Auf Leitbachen nicht schießen
Wesentlich häufiger sind allerdings Unfälle mit jungen Wildschweinen oder jungen Rehen. Ein Grund sei die gezielte Jagd auf ausgewachsene Tiere, ist Kreisjägermeister Hubertus Meyer-Loos überzeugt. Eine erfahrene Leitbache kenne die Gefahren, die vom Straßenverkehr ausgehe, habe gelernt, sie zu umgehen. „Wenn dann genau diese Tiere geschossen werden, irren die Rotten ohne dieses Wissen durch das Gelände und über Straßen.“ Zudem werde jüngeren Tieren die Chance genommen, von den Erfahrenen zu lernen.
Im Widerstreit zwischen Waldbesitzern und Landwirten einerseits und Jägern andererseits sollte Augenmaß walten, fordert Meyer-Loos: „Es ist allen mehr gedient, wenn junges Wild, Überläufer und junge Bachen geschossen werden.“ Damit werde einerseits die Fortpflanzungsquote deutlicher gesenkt. Mit den ausgewachsenen älteren Tieren bleibe zugleich mehr Erfahrung erhalten.
Liebestolle Rehböcke und orientierungslose Jungtiere
Wildunfälle geschehen inzwischen weitgehend losgelöst von den Monaten, die früher als besonders kritisch galten. Etwa im Juli und August, wenn liebestolle Rehböcke Ricken weite Strecken treiben, häufig ohne Rücksicht auf Gefahren auch über Straße und Gleise. Manchmal noch bevor die neue Generation Rehwild im Frühjahr auf die Welt gekommen ist, haben die trächtigen Rehe ihren Nachwuchs aus dem Vorjahr verjagt. Auf sich allein gestellt, sind die unerfahrenen Jungtiere häufig orientierungslos. Ja sie nehmen selbst streunende Hunde oder heranrasende Autos nicht als Gefahr wahr.
Aktuell sind besonders Wildschweinrotten unterwegs, hat der Mensch ihnen doch vielerorts ihren Tisch entlang von Straßen reichlich gedeckt. Gefahr droht besonders im Umfeld von Maisäckern, weiß Daniel Stephan, Chef der Polizei in Lauenburg. Tatsächlich gebe es für Wildunfälle verschiedene Ursachen.
Wildgatter entlässt Tiere in gefährliche Zukunft
Manche sind durch den Klimawandel bedingt, andere gehen direkt auf bestimmte Eingriffe von Menschen zurück. „Nachdem 2019 das frühere Jagdgatter der Familien Bismarck im Sachsenwald geöffnet werden musste, konnten die bis dahin durch einen Zaun geschützten Hirsche und Wildschweine die B404 nach wenigen Metern erreichen“, bestätigt Meyer-Loos.
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Um Lauenburg bewege sich die Zahl der Wildunfälle aktuell etwa auf durchschnittlichem Niveau, sagt Daniel Stephan. Das sind in Juli und August etwa zehn Unfälle im Monat. Wildschweine seien die vergangenen Wochen weniger betroffen gewesen, wohl aber Rehe und Kitze, Hasen und auch ein Dachs.
Kreisleitstelle informiert nach Wildunfall den Jagdpächter
Meist meldeten Autofahrer die Unfälle. Die Einsatzleitstelle könne neben der Polizei auch den zuständigen Jagdpächter informieren. „Die Leitstelle hat eine Liste der Jagdberechtigen. Für den Fall, dass verletztes Wild geflohen ist, ist die schnelle Information wichtig“, betont Stephan. Der Pächter könne dann auch, wie ansonsten die Polizei, eine Bestätigung über den Unfall für die jeweilige Kfz-Versicherung ausstellen.
Wer eine solche Unterschrift benötigt, sollte nicht zu lang warten, bis er den Wildunfall meldet, mahnt Meyer-Loos. Es gehe zuerst einmal darum, verletzten Tieren lange Qualen zu ersparen.
Ist Tempo 100 im Wald eine angemessene Geschwindigkeit?
Neben der gewachsenen Population sieht der Kreisjägermeister vor allem ein Problem: Das Straßennetz ist die vergangenen Jahrzehnte immer dichter geworden, zerschneidet die Landschaft, zugleich hat der Verkehr zugenommen. „Wer nachts durch einen Wald fährt, sollte sich fragen, ob Tempo 100 wirklich die angemessene Geschwindigkeit ist.“
Dass Wildunfälle rund um das Jahr geschehen, verwundert kaum. Beschränkte sich die Kinderstube des Schwarzwildes in Deutschland früher auf die Wintermonate, bringen Bachen heute fast rund ums Jahr Frischlinge auf die Welt. Kalte Winter oder Futtermangel regeln den Bestand nicht mehr.
In trockenen Sommern sterben Frischlinge an Keimen
Wohl aber in manchen Jahren sommerliche Dürreperioden. Meyer-Loos: „Wenn immer Tränken austrocknen, die Tiere sich an wenigen ballen, sterben viele Frischlinge, weil sie sich dort an vermehrt auftretenden Keimen infizieren.“
Für den Bestand bedeutet dies nur einen kleinen Rückschlag. „Früher hatten wir alle sieben Jahre eine Buchenmast, inzwischen tritt das Phänomen alle zwei Jahre auf“, so Meyer-Loos. Zu Deutsch: Das Überangebot an fettreichen Bucheckern als Futter lässt die Wildschweinbestände trotz gelegentlicher Dämpfer weiter wachsen.