Boizenburg. Elbe-Werft und Boizenburger Fliesenwerke genossen Anerkennung über die DDR hinaus. Dennoch erlitten beide Schiffbruch.

Rund 200 Jahre Schiffbau-Geschichte endeten in Boizenburg 1998, als das traditionsreiche Unternehmen in Konkurs ging, nachdem der letzte Rettungsplan gescheitert war. Nach 1945 bis zur Wiedervereinigung 1990 waren bei der Elbe-Werft rund 600 Schiffe vom Stapel gelaufen.

Mit den Boizenburger Fliesenwerken standen beide Unternehmen mit zusammen rund 4000 Mitarbeitern für Produkte, die auf dem Weltmarkt konkurrieren konnten. Dass dieses Niveau keine Garantie bot, dass die Firmen den Weg von der Planwirtschaft in die westliche Marktwirtschaft überleben, wurde jedoch seit 1992 immer deutlicher.

Elbe-Werft: Vom Vorzeigeunternehmen zum Konkursfall

Die Produkte der Fliesenwerke waren in der DDR kaum zu bekommen, in Boizenburg wurde vor allem für den Weltmarkt und, noch wichtiger, für Devisen produziert. Die Elbe-Werft war im Vergleich auch zu vielen westlichen Konkurrenten bemerkenswert ausgestattet. So verfügte das Unternehmen über eine hochmoderne Laser-Schneidanlage, die große Stahlplatten für den Schiffbau computergestützt zuschneiden konnte. Auch die Auftragsbücher schienen gut gefüllt, hatte die Sowjetunion doch 1991 in Boizenburg ein rundes Dutzend Hochseetrawler für den Fischfang im Fernen Osten geordert.

Kampf um die Produktionskapazitäten in Europa

Die Werft hatte sich über Jahrzehnte als Unternehmen präsentiert, das mit Binnenschiffen gut im Geschäft war, mit Flusskreuzfahrtschiffen ebenso wie mit Fracht- und Spezialschiffen. Über die Europäische Gemeinschaft, dem Vorläufer der EU, versuchten Interessengruppen nun dafür Sorge zu tragen, dass der gesamtdeutsche Anteil an der zu bauenden Tonnage nicht zulasten der europäischen Nachbarn erweitert wird.

Die westdeutsche Konkurrenz wollte zugleich keine Marktanteile an Werften im Osten verlieren und in Mecklenburg-Vorpommern konkurrierten die Werften wiederum miteinander um Produktionskapazitäten, die den eigenen Standort sicherten.

Das erste deutsche Fliesenmuseum findet sich in Boizenburg
Das erste deutsche Fliesenmuseum findet sich in Boizenburg © BGZ / André Herbst

Werftarbeiter blockieren die Bundesstraße 5

Im Mai 1992 machten 400 Boizenburger Werftarbeiter Druck, blockierten die Bundesstraße 5 nach Lauenburg. Sie wollten die Schweriner Landesregierung auf diesem Weg zwingen, Farbe zu bekennen im Streit um die Verteilung von Produktionskapazitäten. 327.000 Tonnen wollte die EG zugestehen, das Land solle rasch die Verteilung auf die Werftstandorte verkünden.

Um die wichtigeren Entscheidungen wurde jedoch in Brüssel gestritten: So forderten Frankreich und Italien mit Blick auf die eigenen Werftkapazitäten, die in den neuen Bundesländern müssten nicht nur um die geplanten 40, sondern um 57 Prozent reduziert werden. Die maximalen Beihilfen sollten zudem von 36 auf 18 Prozent binnen eines Jahres halbiert werden.

Mit „Schurkenstück in eine beschäftigungspolitische Katastrophe“

Als Europa-Parlamentarier dann noch versuchten, eine baldige Behandlung im Ministerrat mit der Einschätzung zu verhindern, die Angelegenheit sei nicht dringlich, platzt IG-Metall-Bezirkschef Frank Teichmüller der Kragen: Dies sei ein „Schurkenstück, jedes Hinauszögern von Entscheidungen führt direkt in die beschäftigungspolitische Katastrophe.“

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Was schließlich auf dem Tisch lag, konnte keine der ums Überleben kämpfenden Werften zufriedenstellen. Für Boizenburg sollten statt der erhofften 30.000 Tonnen nur 22.000 Tonnen Neubaukapazität bleiben. Und dies verbunden mit der Festlegung, die an der Elbe gelegene Werft solle allein Seeschiffe bauen.

Erhalt der Arbeitsplätze gerät ins Hintertreffen

Zeitgleich lief die Suche nach Käufern. Wie bei den Fliesenwerken zeigte sich auch im Fall Elbe-Werft, dass die Mitarbeiter der Treuhand nicht zuerst den Erhalt der Unternehmen mit vielen Arbeitsplätze im Blick hatten. Die hätten sich Manager und viele Mitarbeiter, Betriebsrat wie Gewerkschafter gut in Eigenregie vorstellen können, doch ein damit verbundenes finanzielles Risiko passte so gar nicht in die Pläne der Treuhand.

Hinzu kam, viele der angeblichen Treuhand-Experten waren gerade erst den Universitäten entwachsen, außer an Erfahrung und Know-how mangelte es zudem häufig an der Bereitschaft, westliche Lehrmeinungen zu hinterfragen.

Erwerber setzt auf Schleusen- und Wasserbau statt auf Schiffe

Ein dänischer Interessent für EW war bereits 1992 aussortiert worden: Der Abbau von fast Zweidritteln der noch rund 900 Arbeitsplätze und das Fehlen von Investitionszusagen schienen IG Metall wie Landesregierung als nicht zukunftsweisend. Im Juni 1993 folgte dann der Verkauf durch die Treuhand an die Firma Petram und Brand aus Brake. Mit dem Verkauf an dieses Unternehmen von der Unterweser, das für die Zukunft des Standortes weniger auf Schiff-, denn auf Wasser- und Schleusenbau setzte, war das Ende der Elbe-Werft nur noch eine Frage der Zeit.

Einst ein DDR-Vorzeigeunternehmen, ging es mit der Elbe-Werft nach der Wiedervereinigung bergab.
Einst ein DDR-Vorzeigeunternehmen, ging es mit der Elbe-Werft nach der Wiedervereinigung bergab. © picture-alliance/ ZB | Jens Büttner

Arbeitsgruppe Privatisierung „vergisst“ Werft-Betriebsräte

Wie wenig die Verantwortlichen daran dachten, Mitarbeiter und Betriebsräte mitzunehmen, zeigt eine Episode von Ende Mai 1993: Zu einer Versammlung der „Arbeitsgruppe Privatisierung Schiffbau“ waren Treuhandvertreter und solche des Landkreises Hagenow und des Schweriner Wirtschaftsministeriums eingeladen, die EW-Geschäftsführung wie auch Politiker. Nur nicht der Betriebsrat des Unternehmens. „Das ist ein Unding, wir zwei Betriebsräte sind Mitglied der Arbeitsgruppe und werden vergessen“, kritisierte damals der Vorsitzende Horst Troschke.

Als nach weiteren Streiks und Werftbesetzungen 1998 die letzten EW-Mitarbeiter den Weg zur Arbeitsagentur beziehungsweise in eine Beschäftigungsgesellschaft antraten, schien der Schiffbau in Boizenburg endgültig Geschichte. Im Sommer war eine Rettung des Standortes mittels einer Übernahme durch die Wismarer MTW-Werft endgültig gescheitert. Fünf Millionen Euro wollte die norwegische Aker/RGI-Gruppe zahlen, doch die EU weigerte sich, entsprechend zusätzliche Schiffbaukapazitäten zu genehmigen.

EU verweigert Kaufinteressenten notwendige Kapazitäten

Auf dem ehemaligen Boizenburger Werftgelände wurden später mehrere Firmen tätig, auch im Schiff- und Wasserbau: Sektionen für Schiffe und Pontons sind hier ebenso entstanden wie große Brückensegmente für den Hamburger Hafen. Zudem wurden hier aus vorgefertigten Elementen neue Tore für die Geesthachter Schleuse gefertigt. Gewicht: fast 180 Tonnen.