Hanna-Lotte Mikuteit

Boizenburg

Wenn Karl-Heinz Krause (52) durch die neuen Werkhallen geht, fangen seine Augen an zu funkeln. "Das hier ist das Modernste, was es weltweit gibt", sagt der Geschäftsführer der Boizenburger Fliesenfabrik und zeigt stolz auf die Förderbänder mit den 40 mal 40 Zentimeter großen Fußbodenfliesen.

Immer vier Stück in einer Reihe schieben sich in den großen Brennofen. Vorher wurden sie aus Tonmehl gepresst, dann getrocknet und in mehreren Schichten in hellem Beige glasiert. Gebrannt wird bei mehr als 1100 Grad. "Knapp drei Stunden dauert der Weg einer Fliese über die insgesamt 235 Meter langen Fertigungsstraßen", sagt der technische Geschäftsführer Jürgen Hoclas (52) - fast alles vollautomatisch.

Selbstverständlich ist das nicht. Die Entwicklung des Boizenburger Fliesenwerks ist eine ostdeutsche Erfolgsstory. Erst vor zwei Jahren haben der Rostocker Drogist Krause und der ehemalige Boizenburger Produktionsleiter Hoclas das Unternehmen aus dem Konkurs gekauft.

Inzwischen sind 72 Millionen Mark investiert - mit kräftiger Förderung von Land und EU. Die alten, teilweise baufälligen Industriegebäude wurden abgerissen oder saniert, fünf neue Betriebsteile gebaut. 243 Beschäftigte arbeiten in der neu gegründeten GmbH & Co. KG, etwa 80 Handwerker in einem ausgegliederten Servicebereich. "Es war ein Glückstreffer", sagt der langjährige Betriebsratsvorsitzende Hans-Georg Hartmann (59), "aber auch der einzig mögliche."

Auferstanden aus Ruinen. Das Fliesenwerk, seit hundert Jahren neben der Elbewerft tragende Wirtschaftskraft Boizenburgs, hatte Anfang der 90er- Jahre glücklos mit einem hessischen Fliesenhersteller aus Gießen fusioniert. Als Krause 1999 den Mecklenburger Teil der maroden Firma kaufte, hatten die meisten den ehemals volkseigenen Betrieb schon aufgegeben. "Das Ganze war ein bisschen verrückt, aber da war dieses unternehmerische Kribbeln", sagt der umtriebige Kaufmann, der als Großhändler für Farben, Lacke und Tapeten nach der Wiedervereinigung groß wurde. Mit Hilfe von Politik und Verwaltung machte er sich mit dem Fliesenfachmann Hoclas, der seit 26 Jahren im Werk ist, an die "ostdeutsche Lösung" des Problems. Wichtig: Betriebsrat Hartmann und Belegschaft zogen mit.

Inzwischen sind alle neuen Maschinen ausgepackt, im Logistikzentrum wird Palette um Palette eingelagert. "Etwa 5,5 Millionen Quadratmeter Fliesen haben wir im vergangenen Jahr produziert", so Krause. Seit März wird im Vier-Schichten-Betrieb gearbeitet. Es gibt 1600 unterschiedliche Produkte - von der einfachen weißen Wandfliese bis zu aufwendig gestalteten Bodenfliesen und Dekoren.

Fliesen aus Boizenburg kleben in Straßenunterführungen in Hongkong, in den sechs Röhren des Rotterdamer Benelux-Tunnels und in kuwaitischen Autohäusern, 60 Länder stehen auf der Exportliste. "Aber im eigenen Land kämpfe ich seit zwei Jahren darum, meine Produkte auch im westdeutschen Fachhandel zu verkaufen", sagt der Kaufmann. Der Umsatz lag 2001 bei 30,7 Millionen Euro. Seit der Übernahme schreibt das Unternehmen schwarze Zahlen.

"Für Boizenburg ist das ein unheimlicher Gewinn", sagt Helmut Böhm, der für die Wirtschaftsförderung in dem Elbstädtchen zuständig ist. Einerseits als größter Arbeitgeber, aber, und das hält Böhm fast für entscheidener: "Es ist für die Identität der Menschen wichtig." Fliesen aus Boizenburg, das war in der DDR ein feststehender Begriff - obwohl die meisten in den Westen exportiert wurden. Bis zu 1800 Menschen arbeiteten in dem Großbetrieb.

Auch wenn die Ansiedlung in den Gewerbegebieten der Stadt floriert, auf dem Gelände der geschlossenen Werft neue Firmen entstehen - die Rettung des Fliesenwerks hat hohe symbolische Bedeutung. Gerade hat die Stadtverwaltung eine Vorlage beschlossen, sich künftig Fliesenstadt Boizenburg zu nennen.